Etwa 30 Prozent der Azubis in der Pflege lösen ihre Ausbildungsverträge vorzeitig auf. Ein großes Problem für viele Arbeitgeber. Sie setzen daher auch immer stärker auf Bewerber aus dem Ausland.

Rafael Riethig denkt nicht ans Aufhören. Nach mehr als 20 Jahren in der Gastronomie hat er einen Neuanfang gewagt und eine Ausbildung als Pflegefachkraft angefangen. "Ich wollte etwas machen, das gut für die Gesellschaft ist", so der 41-Jährige. "Nennen Sie es Midlife-Crisis!" Sein erstes Ausbildungsjahr neigt sich gerade dem Ende zu und Riethig ist nach wie vor begeistert von seinem neuen Beruf.

"Es passt alles", sagt er, auch wenn die Arbeit in der Pflege am Anfang ungewohnt gewesen sei. "Wenn man da steht und alle Berührungsängste fallen lassen muss, macht das schon was mit einem", sagt Riethig. "Man hat mit Ausscheidungen und Gerüchen zu tun, die man noch nie in seinem Leben wahrgenommen hat." Das habe er aber schon nach einigen Tagen im neuen Job überwunden.

"Es passt alles" - Rafael Riethig liebt seinen neuen Beruf.

Azubis erleben "Realitätsschock"

In vielen Fällen läuft es nicht so glatt. Aus Zahlen des Bundesfamilienministeriums geht hervor, dass etwa 30 Prozent der Pflege-Azubis ihre Ausbildungsverträge vorzeitig auflösen. Das muss nicht in jedem Fall ein Ende der Ausbildung an sich bedeuten, schließlich kann diese bei einem anderen Träger fortgesetzt werden. Die Auflösungsquote entspreche "in der Tendenz den durchschnittlichen Lösungsquoten in den dualen Berufsausbildungen", so das Ministerium.

Dennoch sind Verantwortliche wie Dana Wiens besorgt. Sie leitet den Geschäftsbereich Pflegeschulen der Deutschen Angestellten-Akademie in Nordrhein-Westfalen und hält die hohen Abbrecherquoten für ein "echtes Problem".

Ein Grund für die Abbrüche sei der "Realitätsschock". "Die Schüler sehen die Überlastung der Fachkräfte und denken: 'Irgendwann bin ich das'", so die Pflegeschulleiterin. Die Situation in der Pflege habe sich in den vergangenen Jahren zugespitzt. "Die Menschen werden älter und dadurch immer kränker. Auf der anderen Seite gibt es zu wenig Personal", sagt Wiens. Gleichzeitig sinke das Niveau der Bewerberinnen und Bewerber. "Wir haben es mit immer mehr Auszubildenden zu tun, die eigentlich gar nicht ausbildungsfähig sind."

Die Arbeitsbedingungen seien oft ein "Realitätsschock", warnt Pflegeschulleiterin Wiens.

Minuspunkt Schichtdienst

Arbeitgeber kämpfen deshalb um die besten Kandidatinnen und Kandidaten. Anna Ferrari wirbt auf Jobmessen und an weiterführenden Schulen um die Pflegekräfte von morgen. Die Kinderkrankenschwester arbeitet als Praxisanleiterin in einer Einrichtung für stationäre Intensivpflege von Kindern in Bielefeld und weiß um die Nachteile des Pflegeberufs. "Man kann nicht abstreiten, dass die Arbeitszeiten durch den Schichtdienst nicht besonders lebens- und familienfreundlich sind", sagt sie.

Ferrari betont aber auch die schönen Seiten des Berufs. Die Pflege könne sehr vielfältig sein und trotz aller Belastungen sei es eben doch möglich, Zeit mit den Patientinnen und Patienten zu verbringen. Der Schlüssel, um die Abbruchquote in der Ausbildung zu senken, sei eine enge Betreuung der Azubis, sagt Ferrari. Außerdem müssten Arbeitgeber den Auszubildenden bei der Work-Life-Balance entgegenkommen.

"Ich finde es wichtig, den Azubis in der Ausbildung zu vermitteln, dass sie Grenzen ziehen dürfen, zum Beispiel, wenn sie spontan am Wochenende einspringen sollen." Auszubildende bekämen mit, wie in ihren Betrieben mit dem Thema umgegangen werde, so Ferrari.

Pflegeazubi Riethig fühlt sich nicht überlastet

Für Azubi Rafael Riethig ist die Arbeitsbelastung bisher kein Thema. "Ich komme aus der Gastronomie, ich finde es in der Pflege eher entspannt", sagt er. Allerdings hat er im Rahmen seiner praktischen Ausbildung bisher nur eine Einrichtung kennengelernt - ein Altenheim. Im Krankenhaus war er bisher noch nicht tätig.

"Vielleicht hatte ich auch einfach Glück mit meinem Arbeitgeber", sagt Riethig. "Es kann sein, dass es in anderen Häusern anders abläuft." Von seinen Mitschülerinnen und Mitschülern, die bei anderen Ausbildungsträgern tätig sind, habe er unterschiedliche Dinge gehört. "Manche müssen ihren Praxisanleitern hinterherlaufen, um betreut zu werden."

Lösungsvorschläge: Schulsozialarbeit und Sprachförderung

Pflegeschulleiterin Wiens glaubt, dass es durchaus möglich ist, die Abbrecherquoten zu senken. Sie fordert unter anderem Gelder für Schulsozialarbeit, um die Azubis bei persönlichen Problemen besser betreuen zu können. Außerdem brauche es zusätzliche Mittel für die Sprachförderung von ausländischen Azubis.

Ein Drittel der Azubis an ihren Pflegeschulen komme direkt aus dem Ausland, so Wiens, beispielsweise aus Indien, Marokko, Vietnam oder dem Iran. Die Abbrecherquote unter ihnen sei ähnlich hoch wie bei einheimischen Azubis, habe aber zum Teil andere Gründe. "Bei ausländischen Schülern gibt es sprachliche Barrieren, die dann zu inhaltlichen Defiziten führen können", so Wiens. Dennoch führe kein Weg daran vorbei, noch mehr auf Auszubildende aus dem Ausland zu setzen. In Deutschland gebe es schlicht nicht mehr genug geeignete Bewerberinnen und Bewerber.

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