Die Warnung des Handelsverbandes Deutschland war deutlich: Die Steigerung des Mindestlohns von 12,82 Euro auf 13,90 Euro im kommenden Jahr könne für junge Leute einen fatalen Anreiz setzen, mahnte Hauptgeschäftsführer Stefan Genth im Frühjahr. „Wenn der Mindestlohn steigt, kann der direkte Eintritt in den Arbeitsmarkt für junge Menschen auf den ersten Blick attraktiver erscheinen als eine Ausbildung“, mahnte Genth. Der Mindestlohn sei somit geradezu eine „Bedrohung für die Attraktivität der dualen Ausbildung“.

Eine Mahnung, die gleichlautend auch aus anderen Branchenverbänden kam – und offensichtlich ihre Berechtigung hat, wie neue Zahlen der Bertelsmann-Stiftung zeigen. Statt eine Ausbildung oder ein Studium zu beginnen, will fast jeder fünfte Schulabgänger (19 Prozent) erst einmal jobben – unter den Absolventen mit niedrigem Schulabschluss sogar jeder Vierte (25 Prozent). Das geht aus der Jugendbefragung „Ausbildungsperspektiven 2025“ hervor, für die im März und April 1755 junge Menschen im Alter von 14 bis 25 Jahren befragt wurden.

Ein Trend, den die Bertelsmann-Stiftung „besorgniserregend“ nennt. Zwar sei es gut möglich, dass ein Teil der jungen Menschen nach einem „gap year“ dann doch perspektivisch eine Ausbildung oder ein Studium aufnimmt. Vor dem Hintergrund, dass derzeit bereits 2,86 Millionen junge Menschen – 19 Prozent der 20- bis 34-Jährigen – ohne berufliche Qualifikation sind, sei aber Vorsicht geboten.

„In Zeiten von Fachkräftemangel und demografischem Wandel müssen junge Menschen frühzeitig über die Vorteile und den persönlichen Nutzen von beruflicher Qualifikation informiert werden. Andernfalls locken ‚Helferjobs‘ mit schnellen und kurzfristig besseren Verdienstaussichten“, heißt es in der Studie.

Im schlechtesten Fall blieben die jungen Menschen langfristig in diesen Jobs hängen und stünden den Unternehmen später nicht als qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft fehlten im Vorjahr bundesweit mehr als 570.000 qualifizierte Arbeitskräfte – mit erheblichen negativen Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

„Sich beruflich zu qualifizieren, muss für junge Menschen attraktiver sein, als ungelernt zu arbeiten. Ohne reguläre Ausbildung steigt das Risiko, arbeitslos zu werden oder im Niedriglohnsektor zu verharren“, sagt Helen Renk, Expertin der Bertelsmann-Stiftung für berufliche Bildung. „Das können wir uns aufgrund des Fachkräftemangels und demografischen Wandels nicht erlauben.“

Niedrig Gebildete zweifeln an ihren Chancen

Grundsätzlich genießt die berufliche Ausbildung bei den Jugendlichen durchaus einen guten Ruf. Für 86 Prozent ist sie nach wie vor eine „gute Basis für eine berufliche Karriere“. 43 Prozent der befragten Schüler streben eine Ausbildung an, 40 Prozent möchten auf jeden Fall studieren. Von den Schülern mit niedrigem Abschluss können sich fast neun von zehn Befragten grundsätzlich vorstellen, in Zukunft eine Ausbildung zu beginnen.

Zugleich aber schätzen die jungen Menschen mit niedriger Schulbildung ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz deutlich pessimistischer ein als der Rest. 35 Prozent von ihnen glaubt nicht daran oder ist sich nicht sicher, einen Ausbildungsplatz zu bekommen.

Sie führen ihre Probleme bei der Ausbildungsplatz-Suche vor allem darauf zurück, dass ihnen das Schreiben einer Bewerbung schwerfalle oder sie nicht die geforderten Qualifikationen vorweisen könnten. „Ausgerechnet diejenigen jungen Menschen, für die eine Ausbildung die naheliegendste Wahl nach der Schule ist, zweifeln am häufigsten an ihren Chancen. Das kann einer der Gründe dafür sein, warum viele von ihnen zunächst lieber in Aushilfsjobs arbeiten möchten“, sagt Clemens Wieland, Experte der Bertelsmann-Stiftung für berufliche Bildung. Gerade junge Menschen mit niedriger Schulbildung müssten dabei beim Übergang zwischen Schule und Beruf bedarfsgerecht unterstützt werden.

Aber auch das Abitur ist offenbar kein Selbstläufer auf dem Weg in die berufliche Karriere: Gymnasiasten sind der Studie zufolge sogar noch deutlich unentschlossener bezüglich ihrer beruflichen Zukunft als Haupt- oder Realschüler. Fast 30 Prozent von ihnen gaben bei keiner der drei aufgeführten Optionen – Ausbildung, Studium oder Arbeiten – an, diese „auf jeden Fall“ verfolgen zu wollen. „Grundsätzlich kann Unentschlossenheit eine bewusste Entscheidung sein, sich möglichst viele Alternativen offenzuhalten, oder aber ein Resultat mangelnder Orientierung und großer Unsicherheit“, heißt es in der Studie.

Naheliegend ist den Ergebnissen zufolge eher Letzteres. Demnach beklagen vor allem Gymnasiasten die Unübersichtlichkeit der Informationen zur beruflichen Orientierung zwischen den mittlerweile mehr als 300 anerkannten Ausbildungsberufen und mehr als 10.000 Bachelor-Studiengängen. 56 Prozent von ihnen finden es gemäß der Erhebung schwer, sich hier zurechtzufinden.

Von der Schule fühlen sich viele Gymnasiasten jedenfalls nicht ausreichend vorbereitet. Während von den Hauptschülern immerhin 54 Prozent angeben, sich von der Schule sehr oder eher gut über Ausbildungsberufe informiert zu fühlen, sagen das von den Realschülern nur 47 Prozent und von den Gymnasiasten nur 36 Prozent.

Bei der Studieninformation ist es nicht sehr viel besser. Zwar gibt ein gutes Drittel der Befragten mit hoher Schulbildung an, sich durch die Schule „sehr gut“ oder „gut“ zum Thema Studium informiert zu fühlen – etwa ebenso viele verneinen dies jedoch. Unter den Befragten mit niedriger und mittlerer Schulbildung geben 53 beziehungsweise 45 Prozent an, gar nicht oder eher schlecht über Studienmöglichkeiten informiert worden zu sein. Als das mit Abstand wichtigste und hilfreichste Format zur beruflichen Orientierung nannten die Befragten über alle Bildungsgruppen hinweg das Betriebspraktikum – gefolgt von Betriebsbesichtigungen und persönlichen Beratungen.

Dennoch ist die mangelnde Orientierung nach wie vor das größte Hemmnis bei der Ausbildungsplatz-Suche, wie die Befragung ergab. Von den jungen Menschen, die bereits Erfahrung damit haben, gaben 38 Prozent an, nicht genau zu wissen, was oder wo sie arbeiten wollen. Ein Drittel der jungen Menschen erklärt die Vergütung in den verfügbaren Ausbildungsstellen zu gering. Und ebenfalls ein Drittel gibt an, keine (positiven) Rückmeldungen auf ihre Bewerbungen erhalten zu haben. Und 30 Prozent meinen, dass es generell oder in ihrer Region zu wenige für sie interessante Ausbildungsangebote gebe.

Insgesamt hielten die Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt an, stellt die Bertelsmann-Stiftung fest. Zum Stichtag 30. September 2024 standen demnach 70.400 Bewerbern 69.400 unbesetzte Ausbildungsstellen gegenüber. Die Gründe seien vielfältig, heißt es in der Studie. „Zum Teil liegt es an dem regionalen Mismatch von Angebot und Nachfrage, das heißt, die Ausbildungsstellen werden nicht dort angeboten, wo Jugendliche sie nachfragen. Oder es passt fachlich nicht und die angebotenen Stellen entsprechen nicht den beruflichen Interessen der jungen Menschen.“ Darüber hinaus bemängelten Betriebe häufig die nicht ausreichenden Qualifikationen der Bewerber. „Es scheitert also an den Anforderungen, die beide Parteien aneinander stellen.“

Sabine Menkens berichtet für WELT über gesellschafts-, bildungs- und familienpolitische Themen.

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