Verfassungsrechtler Alexander Thiele sieht manche Äußerungen von Bischöfen zur Verfassungsrichterwahl kritisch. Als problematisch empfinde er Einlassungen, die die Kritik nicht auf die christliche Lehre stützten, sondern in der Kandidatur von Frauke Brosius-Gersdorf einen Angriff auf die Verfassungsordnung sähen, sagte Thiele der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). „Hier ist dann doch auf der Trennung der weltlichen von der religiösen Ebene zu bestehen – das Grundgesetz ist keine ‚christliche Verfassung‘.“
Die Bischöfe von Passau und Regensburg, Stefan Oster und Rudolf Voderholzer, hatten im Vorfeld der am vergangenen Freitag geplanten Wahl von Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin vor einem „radikalen Angriff auf die Fundamente unserer Verfassung“ gewarnt. Mit einem solchen Statement entstehe nachgerade der Eindruck, bei Frau Brosius-Gersdorf handele es sich um eine Verfassungsfeindin, so Thiele. „Das ist deutlich zurückzuweisen.“
Die Kirche werde es hinnehmen müssen, dass die Rechtswissenschaft und auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht immer das christliche Weltbild widerspiegelten, so der Verfassungsrechtler.
Auch Bambergs Erzbischof Herwig Gössl hatte sich zuletzt in der Debatte geäußert, ebenso Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki.
Bischof bietet Brosius-Gersdorf Gespräch an – Juristin nennt seine Kritik „infam“
Im Interview mit WELT TV sagte Gössl am Dienstag, er würde es begrüßen, wenn Brosius-Gersdorf auf das Amt der Verfassungsrichterin verzichten würde. „Mir wäre das am liebsten, natürlich“, so Gössl. Brosius-Gersdorfs Position stehe völlig konträr zu der Auffassung der katholischen Kirche. „Es gibt keine Abstufung des Lebensrechts“, so der Geistliche. „Von daher sehe ich da auch wenig Kompromissmöglichkeit.“
Am Mittwoch bot Gössl Brosius-Gersdorf ein persönliches Gespräch an, um Missverständnisse auszuräumen. „Ich hoffe, dass dies bald stattfinden kann“, schreibt Gössl in einem vom Erzbistum Bamberg veröffentlichten Statement. Dass seine Predigt vom vergangenen Wochenende instrumentalisiert werde, um ihr oder dem Ansehen des Bundesverfassungsgerichts zu schaden, bedaure er ausdrücklich.
Der Erzbischof bekräftigte zudem erneut, dass er Brosius-Gersdorf nicht habe persönlich angreifen oder diffamieren wollen. „Ihre Kompetenz als Juristin und ihre persönliche Integrität habe ich niemals in Zweifel gezogen. Das Thema meiner Predigt war die Verantwortung vor Gott.“ Er habe nur darlegen wollen, welche Folgen es für die Gesellschaft habe, wenn diese Verantwortung abhandenkomme.
In der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“ wies die Juristin speziell die Kritik von Gössl in scharfen Worten zurück. Der Bamberger Erzbischof habe ihr Intoleranz und Menschenverachtung vorgeworfen. „Ich finde das infam“, so Brosius-Gersdorf. „Ich möchte einfach mal daran erinnern, dass auch Vertreter der katholischen Kirche an die Verfassungswerte unseres Grundgesetzes gebunden sind und damit auch an meine Menschenwürde und mein Persönlichkeitsrecht.“ Ungeachtet dessen habe sie in den vergangenen Tagen Tausende von Zuschriften erhalten, auch von Pfarrern und Pastoren, die sie nachdrücklich aufgefordert hätten, „jetzt nicht zurückzustecken“.
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