Vor rund 2000 Jahren zog sich Jesus nach dem Bericht des Johannesevangeliums vor seinen Gegnern in eine kleine Stadt zurück, die in der Bibel „Ephraim“ genannt wird. Nach der Auferweckung des Lazarus wurde Jesus Ziel wachsender Verfolgung, sodass er mit seinen Jüngern „in die Gegend nahe bei der Wüste, in eine Stadt mit Namen Ephraim“ ging. Dort verweilte er eine Zeit lang, bevor er seinen letzten Weg nach Jerusalem antrat.

Heute heißt die Stadt Taybeh, liegt im Westjordanland und gilt als letzte vollständig christliche Ortschaft im Heiligen Land. Unter ihren Bewohnern wächst inzwischen die Sorge angesichts einer Welle von Angriffen durch radikale Siedler, die Feuer legen, Straßen blockieren und Felder zerstören, wie die Menschen berichten.

Der katholische Pfarrer Bashar Fawadleh erhebt schwere Vorwürfe gegen israelische und palästinensische Sicherheitskräfte. Trotz wiederholter Hilfegesuche habe man die kleine christliche Gemeinde im Westjordanland nicht geschützt.

„Wir haben uns zweimal an die Koordinierungsstelle der israelischen und palästinensischen Regierung gewandt. Sie sagten, sie würden Leute schicken – doch sie kamen nie. Die haben uns nicht geschützt, sie haben die Siedler nicht aufgehalten“, sagte Fawadleh dem katholischen Hilfswerk Kirche in Not. Auch die „Times of Israel“ berichtete über die Vorfälle und stellte Fragen an die israelische Polizei, die laut Bericht aber nicht beantwortet wurden.

Lebensgrundlage der Menschen ist bedroht

Die Lage in Taybeh hatte sich zuletzt zugespitzt. Militante Siedler setzten in Friedhofsnähe sowie an der jahrhundertealten Georgskirche Feuer. Die Bevölkerung konnte einen Großbrand verhindern, dennoch sind die Folgen für den Ort gravierend. Ein Schild am Ortseingang verkündet laut Fawadleh eine Drohung an die christlichen Bewohner: „Es gibt hier keine Zukunft für euch.“

Auch die Lebensgrundlage der Menschen ist bedroht. Viele Familien in Taybeh leben vom Olivenanbau. Doch Siedler würden immer wieder Rinderherden in die Plantagen treiben, die die Bäume schwer beschädigen, so der Vorwurf. „Ohne Olivenernte gibt es kein Überleben in Taybeh“, betont der Pfarrer.

Die Gewalt beschränkt sich nicht allein auf Taybeh. Auch das nahegelegene, mehrheitlich muslimische Kafr Malik wurde angegriffen. Ende Juni starben dort drei Menschen, mutmaßlich durch Siedler.

Die christliche Bevölkerung in der Region schrumpft seit Jahren. Während früher bis zu 15.000 Menschen in Taybeh lebten, verlassen immer mehr Familien die Region, aus Angst und Perspektivlosigkeit. Dennoch betonen Pfarrer Fawadleh und viele seiner verbliebenen Gemeindemitglieder ihre Entschlossenheit, zu bleiben: „Wir glauben an uns selbst und daran, dass wir mit Gottes Hilfe Widerstand leisten können“.

Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellten Christen etwa 15 Prozent der Bevölkerung im Nahen Osten. In Ländern wie Syrien, Irak, Palästina und Ägypten waren sie fester Bestandteil der Gesellschaft. Heute liegen ihre Anteile oft deutlich unter fünf Prozent.

Ursache für den drastischen Rückgang sind politische Instabilität, Bürgerkriege, religiöse Verfolgung und wirtschaftliche Not, die viele Christen zur Auswanderung gezwungen haben. Besonders die Kriege im Irak und Syrien haben den Exodus beschleunigt, aber auch anhaltende Diskriminierung und mangelnde Perspektiven.

So sind Christen in vielen muslimisch geprägten Ländern zur bedrohten Minderheit geworden, die in ihrer angestammten Heimat keine Zukunft mehr sehen. Nur im Libanon und Ägypten halten sich noch größere christliche Gemeinschaften.

Nach den jüngsten Angriffen besuchten am Montag führende christliche Würdenträger und internationale Diplomaten Taybeh, um ihre Solidarität zu bekunden. Zu den anwesenden Kirchenvertretern zählten unter anderem der griechisch-orthodoxe Patriarch von Jerusalem, Theophilos III und der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Pierbattista Kardinal Pizzaballa. Auch Botschafter und Konsularvertreter aus Europa und den Vereinigten Staaten reisten an und würdigten den Widerstandswillen der lokalen Christen.

Diplomaten und Kirchenvertreter verschiedener Konfessionen verurteilten die Attacken. Die kirchlichen Anführer, darunter auch Kardinal Pizzaballa, forderten internationale Untersuchungen: „Es handelt sich um systematische Angriffe auf Christen, wie wir sie in der gesamten Region beobachten. Selbst im Krieg müssen heilige Stätten geschützt werden“.

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