Auf der Schiene herrscht in Deutschland Investitionsstau. Das hat auch die Bundesregierung erkannt und investiert Milliarden in die maroden Bahnstrecken – und das nicht erst seit dem beschlossenen Sondervermögen. Doch wie steht Deutschland im europäischen Vergleich da?
Der Lobbyverband Allianz pro Schiene und die Unternehmensberatung SCI Verkehr berechnen jährlich, wie viel Geld ausgewählte europäische Staaten pro Kopf in ihre Schieneninfrastruktur investieren. Für das Vergleichsjahr 2024 ermitteln sie in Deutschland einen Anstieg der Pro-Kopf-Investitionen auf 198 Euro. Dabei handelt es sich um Investitionen, die noch unter der Ampel-Regierung getätigt wurden. Im Vergleich zu 2023 entspricht das einem Sprung von 74 Prozent.
Berücksichtigt werden alle Investitionen des Staates in die Eisenbahninfrastruktur. Hierzu zählen etwa Gleise und Weichen, Bahnhofsanlagen, Signalanlagen und Stellwerke sowie Oberleitungen. Nicht berücksichtigt werden staatliche Ausgaben, die keine Infrastrukturinvestitionen sind, sowie Ausgaben, die auf Länderebene getätigt werden.
Bei den Pro-Kopf-Investitionen rückt Deutschland damit im europäischen Vergleich ins obere Mittelfeld auf. Länder wie Spanien, Frankreich oder Italien landen in der Berechnung auf den letzten Plätzen. Zur europäischen Spitze gehört Deutschland damit jedoch weiterhin nicht. In Ländern mit wenig Einwohnern wie Norwegen (294 Euro), Österreich (352 Euro) oder der Schweiz (480 Euro) werde seit Jahren konsequent mehr pro Kopf in die Schieneninfrastruktur investiert. Spitzenreiter bleibt das kleine Nachbarland Luxemburg mit Investitionen von 587 Euro pro Kopf.
Länder nur schwer vergleichbar
Die europäischen Länder sind allerdings nur bedingt vergleichbar. Klar ist: Die Infrastruktur in den Alpenländern kostet pro Kilometer zum Beispiel mehr als auf dem flachen Land. Der Verband argumentiert jedoch, dass auch in Ländern mit einfacherer Topographie mehr pro Kopf in die Schiene investiert werde. So landet Großbritannien in der Berechnung vor Deutschland. „Mit topografischen Unterschieden lassen sich die geringen Schieneninvestitionen in Deutschland also nicht erklären“, so der Lobbyverband.
Dass etwa Länder wie Frankreich so weit hinten in der Berechnung landen, liege mitunter daran, dass dort bestimmte Infrastrukturinvestitionen in öffentlich‑privaten Partnerschaften realisiert werden und damit nicht in die Kalkulation einfließen.
„Wir sehen zwar einen deutlichen Aufwärtstrend bei den Investitionen in die Schieneninfrastruktur, planmäßig auch für die nächsten Jahre – aber mehr Geld allein reicht nicht“, sagte der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege. „Der Abbau des Investitionsstaus ist kein Sprint, sondern ein Marathon.“ Diese Aufgabe sei mit dem Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität noch nicht gelöst. Vielmehr brauche es eine Verstetigung der Mittel im Bundeshaushalt. Der Verband fordert daher einen Eisenbahninfrastrukturfonds, wie er bereits im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot angekündigt wurde. Zudem müsse die Bundesregierung mehr den genauen Einsatz der Mittel kontrollieren.
Maria Leenen, Geschäftsführerin beim Beratungsunternehmen SCI Verkehr, kritisiert hierzulande die lahmende Digitalisierung der Schiene. Allen voran beim Ausbau des Sicherheitssystems ETCS. Bei der Sanierung der Strecke Hamburg–Berlin verzichtet die Bahn entgegen dem ursprünglichen Plan auf eine Installation der europäischen Technik. Deutschland könne Leenen zufolge hier etwa von Italien lernen, „das mit einem klaren Zeitplan und einer soliden Finanzierung Tempo gemacht und Kapazität gewonnen hat.“
Und auch mit Blick auf die Investitionen der neuen Bundesregierung ist Vorsicht geboten. Im vorläufigen Haushalt des Verkehrsministeriums geht Erhalt vor Neubau. Die Mittel für neue Strecken sind im Vergleich zur Ampel-Regierung sogar geschrumpft. Auch Flege warnt daher: „Trotz der Rekordinvestitionen kommt der Neu- und Ausbau des Schienennetzes weiterhin zu kurz. In der Finanzplanung des Bundes klafft eine Milliardenlücke.“
Klemens Handke ist Redakteur im Wirtschaftskompetenzzentrum. Er berichtet über Verkehrspolitik und die Deutsche Bahn.
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