Im Frühling 2024 haben Mitarbeiter der jungen amerikanischen Firma Anthropic eine Idee: Sie kaufen Millionen gebrauchte Bücher, lassen die Einbände abreißen und die Seiten scannen. Aus all dem Papier machen sie PDF-Dateien – und füttern damit Claude, ihre künstliche Intelligenz (KI). Die Autoren der Werke wissen nichts davon.

Das wirft eine heikle Frage auf: Dürfen Entwickler geschützte Inhalte verwenden, um Algorithmen zu trainieren, einfach so, ohne Zustimmung der Urheber? Im Fall von Anthropic entschied ein US-Gericht kürzlich: Ja, wenn die Inhalte legal erworben wurden. Die Amerikaner scheinen – vereinfacht gesagt – KI über Copyright zu stellen. Europa hingegen könnte eine andere Richtung einschlagen, wie ein Report zeigt, der im EU-Parlament diskutiert wird und WELT vorliegt.

Die EU will klären, was erlaubt ist und was verboten, wenn Unternehmen wie Google, Microsoft und OpenAI ihre KIs schulen. Programmierer nutzen alles Mögliche für das Training, etwa Romane, Gedichte, Fotos, Comics, Videos und journalistische Artikel. Aber eine Vergütung fließt oft nicht. Die Algorithmen lernen, ihre Entwickler verdienen Geld – und viele Kreative gehen leer aus.

Eine Frage der Balance zwischen KI und Kunst

In einem Bericht für den Rechtsausschuss des EU-Parlaments fordert der CDU-Abgeordnete Axel Voss deshalb nun: Urheber müssen bezahlt werden, wenn ihre Werke für das Training von KI verwendet werden. Die Europäische Kommission – zuständig für das Vorschlagen neuer Gesetze – solle eine Pflicht zur Vergütung einführen. Und zwar unverzüglich.

„Für das Training von KI-Modellen werden massiv urheberrechtlich geschützte Inhalte genutzt“, sagt Voss. „Wir brauchen hier klare europäische Regeln, die eine Vergütung sicherstellen und praktikable Lösungen für einen Lizenzmarkt schaffen.“ Wichtig sei zudem Transparenz über die verwendeten Inhalte.

Abgeordnete, Kommissare und Regierungen sind sich einig, dass Europa den globalen Wettkampf um künstliche Intelligenz nicht verlieren darf. KI, glauben fast alle in Brüssel, stärke die Wirtschaft und erleichtere das Leben – und müsse, solle sie sich weiterentwickeln, auch auf urheberrechtlich geschützte Werke zugreifen können, auf die Schöpfungen echter Dichter und Denker.

Es geht aber wie so oft in Europa um die Balance, in diesem Fall zwischen Technologie und Recht, zwischen KI und Kunst, zwischen Fortschritt und dem Schutz geistigen Eigentums. Sollte der Bericht des EU-Abgeordneten Voss tatsächlich zu einem neuen europäischen Gesetz führen, würden sich die Machtverhältnisse verschieben – zugunsten der Urheber.

Europa und Amerika gehen hier derzeit unterschiedliche Wege, erst am Mittwoch sagte US-Präsident Donald Trump, die KI-Entwickler seines Landes sollten sich nicht groß um Copyrights kümmern müssen. „Wenn jemand ein Buch oder einen Artikel liest, hat er sich umfangreiches Wissen angeeignet“, so Trump. „Das bedeutet jedoch nicht, dass er gegen das Urheberrecht verstößt oder mit jedem Anbieter von Inhalten Verträge abschließen muss.“ Sein Motto scheint zu lauten: KI first.

In Brüssel hingegen schlägt Voss vor, dass KI-Entwickler eine sofortige pauschale Vergütung in Höhe von fünf bis sieben Prozent ihres weltweiten Umsatzes entrichten – das wären jedes Jahr einige Milliarden Dollar. „Damit die Wertschöpfung, die die Unternehmen mit den Daten europäischer Kreativer erreichen, ausgeglichen wird und in Europa verbleibt“, wie er in seinem Bericht schreibt. Zudem müsse man darüber nachdenken, ob eine Entschädigung auch rückwirkend zu erfolgen habe, wenigstens bis Ende 2022. Damals wurde ChatGPT zu einem weltweiten Phänomen und einem Symbol für den Aufstieg generativer KI – also von Programmen, die Inhalte wie Texte, Musik oder Code erzeugen.

Das Fehlen eines Vergütungsmodells führt zu juristischer Unsicherheit. Weltweit streiten sich KI-Entwickler und Urheber vor Gerichten um die Frage, wer für was Geld bekommt. Im Januar etwa klagte der Musikrechteverwerter Gema gegen das Unternehmen Suno. Die Amerikaner, so der Vorwurf, verarbeiteten geschützte Aufnahmen weltbekannter Songs ohne Gegenleistung. Ihre KI erzeuge Inhalte, die Hits wie „Atemlos“, „Daddy Cool“ oder „Cheri Cheri Lady“ zum Verwechseln ähnlich seien.

Auch Medienhäuser wie die „New York Times“ klagen gegen OpenAI wegen der Nutzung ihrer Inhalte zum Training der KI. Der Axel-Springer-Konzern, zu dem WELT, Bild, Business Insider und Politico gehören, hat hingegen Ende 2023 eine Partnerschaft mit OpenAI geschlossen, die auch die Vergütung der Nutzung seiner Inhalte vorsieht.

Die pauschale Abgabe, die Voss vorschlägt, soll rechtliche Scharmützel vermeiden. Sie müsste nach dem Willen des Parlamentariers mindestens gelten, bis die EU-Kommission einen dauerhaften gesetzlichen Rahmen schafft – was zwei oder drei Jahre dauern kann, wenn es gut läuft.

Im EU-Parlament stoßen die Ideen auf viel Zustimmung. „Wir sollten eine Lösung finden, von der jene profitieren, die am verwundbarsten sind und deren Lebensunterhalt bedroht ist“, so der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken während einer Sitzung des Rechtsausschusses. Er nennt etwa unabhängige Bands und Filmschaffende. Ein Vertreter der EU-Kommission meint: „Das ist ein guter Bericht.“ Man werde sich die Vorschläge nun genau ansehen.

Mehr Macht für Urheber

Der Abgeordnete Voss möchte Autoren, Musikern und Fotografen mehr Macht verleihen. Zwar können sie der Nutzung ihrer Werke schon heute widersprechen. Aber das ist schwierig, denn oft weiß niemand, was genau KI-Entwickler eigentlich verwenden. Sie halten die Datensätze für das Training ihrer Algorithmen meist geheim.

Voss will Unternehmen deshalb zu mehr Transparenz verpflichten – und Urhebern ein einfaches Opt-Out-Verfahren ermöglichen. „Rechteinhaber sollten entscheiden können, ob ihre Werke genutzt werden dürfen“, sagt Voss. Ein solches Opt-Out lasse sich zum Beispiel in einem europäischen Register vermerken, auf das KI-Entwickler dann Zugriff hätten.

All das soll Voss zufolge auch für die Medienbranche gelten. Die Verarbeitung etwa von Texten einer Nachrichtenseite in automatisierter und generativer Weise, so der CDU-Politiker, müsse „eine entsprechende Gegenleistung auslösen“. Zudem sei es für Verlage wichtig, dass sie erkennbar blieben, wenn eine KI ihre Inhalte ausspiele. Hierfür bedürfe es möglicherweise einer Pflicht zur Quellenangabe.

Stefan Beutelsbacher ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet über die Wirtschafts-, Handels- und Klimapolitik der EU.

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