Die Wirtschaftsministerin stimmt in den Chor derjenigen ein, die fordern, dass die Deutschen mehr und länger arbeiten müssten. Der Bundesverband Mittelständische Wirtschaft dagegen betont, dass nicht die Arbeitszeiten das Problem seien. Vielmehr müsse die Produktivität steigen.

Der Bundesverband Mittelständische Wirtschaft hat zurückhaltend auf den Vorstoß von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche zu einer Erhöhung der Lebensarbeitszeit reagiert. Wichtiger sei eine Steigerung der Produktivität, sagte Verbandsgeschäftsführer Christoph Ahlhaus den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Unternehmenssteuern und Sozialversicherungsbeiträge runter - und weg mit überflüssiger Bürokratie." Das helfe der deutschen Wirtschaft mehr als "ein lähmender Koalitionskrach um die verlängerte Lebensarbeitszeit".

Zwar habe Ministerin Reiche recht, "wenn sie sagt, dass wir im wirtschaftlichen Abstiegskampf wieder einen Gang hochschalten müssen", sagte Ahlhaus den Funke-Zeitungen. Vor allem aber müsse die Wirtschaft "endlich wieder produktiver werden". Konkret heiße das: "mehr schaffen, wenn wir schaffen". Dazu müsse die Bundesregierung die Unternehmen wieder in die Lage versetzen, gezielt in die Produktivität investieren zu können.

Reiche hatte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom Samstag gesagt, die Lebensarbeitszeit müsse steigen. Der demografische Wandel und die weiter steigende Lebenserwartung machten das "unumgänglich". Es könne "jedenfalls auf Dauer nicht gut gehen, dass wir nur zwei Drittel unseres Erwachsenenlebens arbeiten und ein Drittel in Rente verbringen". Die Ministerin verwies auch auf den internationalen Vergleich: Unternehmen berichteten ihr, dass ihre Beschäftigten am US-Standort 1800 Stunden pro Jahr arbeiteten, in Deutschland aber nur 1340 Stunden.

"Auf Dauer nicht mehr wettbewerbsfähig"

Was im Koalitionsvertrag an Reformen stehe, werde auf Dauer nicht reichen, fügte sie hinzu. Die sozialen Sicherungssysteme seien überlastet. "Die Kombination aus Lohnnebenkosten, Steuern und Abgaben machen den Faktor Arbeit in Deutschland auf Dauer nicht mehr wettbewerbsfähig." Auch Bundeskanzler Friedrich Merz hatte gefordert, die Deutschen müssten wieder mehr arbeiten.

Widerspruch kam vor allem von den Gewerkschaften. "Ein höheres Rentenalter wäre nichts anderes als eine Rentenkürzung durch die Hintertür", erklärte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel am Samstag. Die Wirtschaftswissenschaftlerinnen Veronika Grimm und Monika Schnitzer hatten im Mai skeptisch auf den Vorstoß von Merz reagiert. Grimm sagte, besonders viel Potenzial sehen sie in einer stärkeren Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt, etwa durch eine Verbesserung der Kinderbetreuung. Schnitzer nannte als konkrete Maßnahme eine Abschaffung des Ehegattensplittings.

Tatsächlich arbeiten die Deutschen insgesamt keineswegs weniger, sondern mehr als noch vor einigen Jahren. Die Arbeit wird allerdings anders verteilt. Deutsche Arbeitnehmer arbeiten mit deutlich unter 1300 Stunden im Jahr im Durchschnitt pro Person zwar erheblich weniger als noch vor einigen Jahren und viel weniger als in den meisten anderen Ländern. Das gesamte Arbeitsvolumen in Deutschland ist gleichzeitig allerdings deutlich gestiegen, da mehr Menschen arbeiten. Viele dieser zusätzlichen Erwerbstätigen, darunter überproportional viele Frauen, arbeiten in Teilzeit.

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