Es ist nicht das Bestfall-Szenario von nur zehn Prozent Zoll geworden, das Volkswagen-Chef Oliver Blume noch am Freitag genannt hatte – aber immerhin auch nicht das Worst-Case-Szenario einer Eskalation: Die Zolleinigung zwischen EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und US-Präsident Donald Trump vom Sonntagabend auf 15 Prozent Zoll bedeutet für die deutsche Autoindustrie eine Erleichterung. Schließlich sind die Sonderzölle, die die Branche in den vergangenen Wochen mit 27,5 Prozent trafen, bald wohl wieder vom Tisch.

Allerdings ist die Freude eingeschränkt. „Der Zollsatz der USA in Höhe von 15 Prozent auch für automobile Produkte wird die Unternehmen der deutschen Automobilindustrie jährlich Milliarden kosten und belastet sie inmitten der Transformation“, sagte die Chefin des deutschen Autoverbands VDA, Hildegard Müller, in einer ersten Erklärung am späten Sonntagabend. Vor Trumps Amtsantritt lagen die Zölle für die meisten EU-Autos nur bei 2,5 Prozent.

Das belegen auch die Zahlen: Allein den VW-Konzern hatten die Zölle von 27,5 Prozent im zweiten Quartal 2025, also innerhalb von nur drei Monaten, mit 1,2 Milliarden Euro belastet. Und das, obwohl die Autobranche vor dem Inkrafttreten der Zölle noch schnell Autos auf Vorrat in die USA schicken konnte. Die Preise für die US-Kunden haben die Konzerne allerdings bislang nicht angepasst, die Zölle also auf die eigene Kappe genommen.

Das könnte sich nun ändern, falls die Einigung vom Sonntag Bestand hat. Müller meldete daran leise Zweifel an: „Entscheidend wird nun sein, wie die Vereinbarung konkret ausgestaltet sein wird und wie verlässlich sie ist.“ Sie mahnt zudem an, wichtig sei jetzt auch eine Einigung zwischen den USA und Mexiko sowie Kanada. Denn dort produzieren nicht nur Unternehmen wie Volkswagen günstige Autos für den US-Markt wie den Jetta. An dem vergleichsweise günstigen Standort Mexiko sind auch zahlreiche europäische Zulieferer mit Werken aktiv, die in die USA liefern. „Von großer Bedeutung ist es, dass die durch den Zollstreit verzerrten und eingeschränkten automobilen Lieferketten wieder funktionieren“, erklärte Müller daher.

Ein Zollsatz von 15 Prozent werde die deutschen Autoexporte dämpfen, aber kein K.O.-Schlag für die Branche sein, zitierte das „Wall Street Journal“ Andrew Kenningham, Ökonom beim Analyse-Haus Capital Economics. Trump hatte wiederholt gesagt, er wolle weniger deutsche Nobel-Autos auf den US-Straßen sehen. Daher hatten einige Beobachter mit dauerhaft höheren Zöllen speziell auf Autos gerechnet.

Die deutschen Konzerne können nun ihre US-Verkaufspreise neu kalkulieren und den Zoll zumindest teilweise aufschlagen – und verlässlich berechnen, ob sich eine Verlagerung von Produktion nach Amerika lohnt. VW etwa denkt erstmals über eine Produktion für Audi in den USA nach. Mercedes hat bereits angekündigt, ein weiteres Mittelklasse-Modell auch in den USA bauen zu wollen.

Mit der Grundsatzeinigung dürften die Auto-Bosse auch erneut versuchen, der US-Regierung Zugeständnisse auf individueller Konzernebene abzuringen. VW-Chef Blume hatte am Freitag seinen Kurs skizziert: Er hoffe nach einer generellen Zoll-Einigung auf einen Spezial-Deal für VW mit der US-Regierung. Für jeden investierten Dollar soll VW einen Dollar Zoll erlassen bekommen, wenn es nach dem Wolfsburger Manager geht.

Er deutete an, wie er Donald Trump diesen Deal schmackhaft machen will: Es gehe um einen „Multiplikator auch für die amerikanische Gesellschaft“. Denn Investitionen in den USA brächten dem Land eine „positive kontinuierliche Steuerquelle“ und den weiteren Aufbau von Auto-Know-how und einem Lieferantennetzwerk in den USA.

14 Milliarden Dollar habe der Konzern in den vergangenen Jahren bereits in den USA investiert, erklärte Blume. Dazu könnten noch einige Milliarden Euro zusätzlich kommen. Was Blume nicht sagte: Investitionen in ein neues US-Werk für die geplante Neubelebung der Pick-up-Marke Scout hat der Konzern ohnehin fest eingeplant. Zudem steckt VW frisches Geld in den US-Lkw-Partner Rivian.

Ließe sich Trump auf den Deal ein, könnte VW also deutliche Zollrabatte sogar ohne zusätzliche Investitionen erhalten – auch für Marken wie Porsche und Audi, die in den USA gar nicht produziert werden.

Einen anderen Weg sucht BMW-Chef Oliver Zipse. Er will Trump davon überzeugen, Im- und Exporte aus den USA gegeneinander aufrechnen zu dürfen. Da BMW in etwa so viele Autos aus seinem US-Werk in alle Welt liefert, wie der Konzern in die USA einführt, wäre das für die Münchener vorteilhafter als das Blume-Modell. Mercedes dürfte sich dieser Linie anschließen.

Die Aussichten dafür sind allerdings ungewiss. So sieht der in Schottland angebahnt Zoll-Deal bislang offenbar wenig Ausnahmen vor – außer noch höheren Zollsätzen für die wichtigen Auto-Rohstoffe Stahl und Aluminium.

Christoph Kapalschinski ist Wirtschaftsredakteur. Er schreibt über die Auto-Branche.

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