In der deutschen Autoindustrie herrscht nach dem Abkommen mit den USA Ernüchterung. Branchenexperten erwarten sogar eine gewisse Produktionsverlagerung nach Amerika. Laut Stefan Bratzel könnte Trump den deutschen Herstellern allerdings auch zu neuer Stärke verhelfen.
Neuwagen aus Europa sind Donald Trump ein besonderer Dorn im Auge - in der Wahrnehmung des US-Präsidenten überschwemmen hiesige Hersteller die USA mit ihren Fahrzeugen, während amerikanische Autobauer in Europa nicht zum Zug kommen. Das soll sich durch das Handelsabkommen mit der EU ändern. Dabei dürfte Trump Erfolg haben, wenn auch nur langfristig und in überschaubarer Größenordnung. Für die deutschen Hersteller birgt der "Deal" aber auch eine Chance.
Für die europäischen Autobauer sind die USA bisher der zweitwichtigste Exportmarkt nach Großbritannien, für Deutschland sogar der wichtigste. Nach Angaben der Vereinigung der europäischen Automobilhersteller (Acea) gingen im vergangenen Jahr 22 Prozent der Exporte in die USA. Umgekehrt kamen demnach neun Prozent der US-Autoexporte in die EU.
Etwa zwei Drittel des Pkw-Exports aus den USA in die EU entfielen dem deutschen Branchenverband VDA zufolge jedoch auf deutsche Hersteller. Dabei wurden insgesamt nur knapp 165.000 in den USA hergestellte neue Autos nach Europa exportiert. EU-weit wurden im vergangenen Jahr 10,6 Millionen Neuwagen zugelassen - US-Autobauer verkaufen hier somit nur in einer "homöopathischen" Größenordnung, wie Branchenexperte Stefan Bratzel im Gespräch mit ntv.de sagt. In umgekehrter Richtung wurden 749.000 in der EU hergestellte Neuwagen in die USA geliefert.
Mehr Entwicklung und Export aus den USA
Während nun für EU-Exporte in die USA 15 Prozent Zoll fällig werden, sollen Neuwagen aus den USA künftig zollfrei nach Europa geliefert werden. Bisher fielen in dieser Richtung rund zehn Prozent Aufschlag an. Bratzel erwartet in der Folge keine großen Marktanteil-Verschiebungen, langfristig aber einen leichten Anstieg der Produktion in den USA und der Ausfuhren von dort.
"Bislang haben es die Amerikaner bis auf Tesla nicht geschafft, den Geschmack der europäischen Kunden zu treffen", sagt Bratzel, der das Center of Automotive Management an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach leitet. Doch nun, unter den neuen Zoll-Bedingungen, würden sich US-Hersteller überlegen, ob sie für bestimmte Modelle auch in Europa eine Zulassung anstreben, und vor allem, ob sie mehr in den USA entwickeln und von dort exportieren. Letzteres gelte vor allem für Ford, aber beispielsweise auch für Toyota. Der japanische Autobauer könnte etwa ein Modell, das er ohnehin in den USA produziert, künftig von dort nach Europa exportieren.
Für die deutschen Hersteller rechnet der Experte trotzdem kaum mit Einbußen beim Marktanteil. Allerdings mit Produktionsverlagerungen. So könnte etwa BMW von seinem großen US-Werk aus mehr nach Europa exportieren. "Solche Überlegungen werden sicherlich von verschiedensten Herstellern jetzt vorgenommen", sagt Bratzel. "Aber man muss erstmal herausfinden, ob das tatsächlich Sinn macht." So sei etwa auch entscheidend, wie sich die US-Zölle für Importe aus Mexiko und Kanada entwickeln, wo Autobauer ebenfalls für den US-Markt produzieren.
Arbeitsplätze werden wegfallen
Sicher sei jedoch schon jetzt, dass die Produktionsverlagerungen Arbeitsplätze kosten werden, sagt Bratzel, auch wenn er derzeit keine Größenordnung prognostizieren kann. Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Center Automotive Research in Bochum, schätzt, dass mittelfristig bis zu zehn Prozent der Jobs in der deutschen Autoindustrie in die USA verlagert werden - wenn in dem Abkommen nicht noch Sonderkonditionen für die Branche ausgehandelt werden. Das wären bis zu 70.000 - gut bezahlte - Arbeitsplätze bei Herstellern und Zulieferern.
Die USA werden nach China noch längere Zeit der zweitwichtigste Einzelmarkt für Autos bleiben, ist Bratzel sicher. "Den Herstellern bleibt nichts anderes übrig, als sich jetzt Strategien zu überlegen, wie sie dort ihre Fahrzeuge verkaufen können." 15 Prozent Zoll seien signifikant im Vergleich zu 2,5 Prozent vor Trumps Amtsantritt. Dadurch werde die Entwicklung verstärkt, dass Wertschöpfung in die USA abwandert.
Der Trend, dort zu produzieren, wo die Hersteller verkaufen, werde sich grundsätzlich fortsetzen. Die Überlegungen für ein Audi-Werk in den USA zeigten bereits, "wo die Reise hingeht", sagt Bratzel. Volkswagen hofft, die US-Regierung unter anderem mit einer Fabrik der Konzerntochter Audi von einem eigenen Deal nur für VW zu überzeugen. "Durch Zölle entwickeln sich De-Globalisierungstendenzen", so Bratzel. Die Frage sei nun, ob Europa durch Handel mit anderen Regionen etwas entgegensetzen kann.
Wieder "begehrenswerte" Autos aus Deutschland?
Eine Rückkehr sei auch beim CKD-Prinzip denkbar, kurz für "completely knocked down". Dabei wird ein Auto zwar fertig gebaut, für den Export aber wieder in all seine Einzelteile zerlegt, um Zölle zu umgehen. Die Details des Abkommens zwischen den USA und der EU stehen schließlich noch nicht fest. Klar scheint jedoch, dass auch die weiterhin 50-prozentigen Abgaben auf Stahl und Aluminium aus Europa es nicht profitabler machen, Autos hier zu produzieren und in die USA zu exportieren. "Wenn Hersteller und Zulieferer in den USA produzieren, würden sie dort US-Stahl zollfrei kaufen", erklärt Bratzel - ein weiterer Verlust für den Standort Europa.
Doch der Experte sieht langfristig auch eine große Chance für die hiesigen Autobauer. "Die 15 Prozent Zoll treffen die deutschen, stark exportorientierten Hersteller zwar massiv", sagt Bratzel. Er rechnet wie die Branche selbst mit jährlichen Milliardenbelastungen im Vergleich zum ursprünglichen Zollsatz von 2,5 Prozent. "Die steigenden Preise in den USA werden zu einer sinkenden Nachfrage führen." Dies könnte jedoch - endlich - genug Ansporn für die deutschen Hersteller sein, wieder so "begehrenswerte" Autos zu bauen, dass Kunden bereit sind, für "Made in Germany" höhere Preise zu zahlen, vor allem im Premiumbereich.
Dieses Qualitätsmerkmal ist inzwischen aufgrund günstigerer, ebenfalls guter Alternativen - vor allem aus China - verloren gegangen. "Die deutschen Hersteller müssen wieder so gute Fahrzeuge entwickeln, dass die Amerikaner sagen: Die will ich auf jeden Fall haben", betont der Branchenkenner.
Falls diese Rechnung aufgeht, würde sich Trumps "America First" zumindest langfristig rächen - amerikanische Autobauer könnten sich durch die Zölle so sicher fühlen, dass sie bei Innovationen zu langsam werden. Bratzel: "Wenn deutsche Hersteller es schaffen, langfristig effizienter und innovativer zu werden, kann sich der Zoll-Deal wieder ins Positive drehen."
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