Als die Fehmarnsundbrücke eingeweiht wurde, im April 1963, galten neue Verkehrswege und ihre modernen Bauwerke als Zeichen für Fortschritt und Freiheit. Doch die große Zeit der eleganten Bogenbrücke ist vorüber, und neue Verkehrswege wecken bei vielen Menschen längst keine Begeisterung mehr – obwohl das deutsche Straßen- und Schienennetz vielerorts an seine Grenzen stößt. Seit Jahren gilt der Fehmarnsund als Engpass beim Verkehr auf der „Vogelfluglinie“ zwischen Deutschland und Dänemark. Staus sind Standard an der Brücke mit der markanten Bügelform.

Den Zugverkehr über die Fehmarnsundbrücke hat die Deutsche Bahn zudem schon vor Jahren eingestellt, weil am Fehmarnbelt ein neuer Tunnel durch die Ostsee gebaut wird. Über die Insel Fehmarn hinweg und durch den Sund soll der Fehmarnbelttunnel an das deutsche Inland angebunden werden. Wie lange die Bauarbeiten für dieses wichtigste nordeuropäische Verkehrsprojekt dauern werden, ist seit dieser Woche allerdings wieder völlig offen.

Der 18 Kilometer lange Fehmarnbelttunnel mit seinen Anbindungen in Dänemark und Deutschland soll für das Fernwegenetz eine befreiende Wirkung entfalten, er soll Engpässe auflösen, Reise- und Gütertransportzeiten verkürzen, Skandinavien enger mit dem Kontinent verbinden. Die Nachricht aus dem Bundesverkehrsministerium vom vergangenen Mittwoch ist deshalb ein schwerer Rückschlag: „Die DB AG hat mit Schreiben vom 23. Juli 2025 dem Bundesverkehrsministerium mitgeteilt, dass sich die Umsetzung der Hinterlandanbindung für die feste Fehmarnbeltquerung über 2029 hinaus verzögern wird“, heißt es dort. „Kürzlich zuvor veröffentlichte Unterlagen des Eisenbahnbundesamts kamen bereits für den Teilabschnitt Fehmarnsundquerung zu einem ähnlichen Ergebnis.“

Der Fehmarnbelttunnel wird vom staatlichen dänischen Unternehmen Femern A/S gebaut, gemeinsam mit zwei Konsortien und etlichen Einzelunternehmen. Die Deutsche Bahn wiederum realisiert die 88 Kilometer lange Bahnanbindung des Tunnels in Deutschland, 55 Kilometer der Strecke werden neu gebaut, dazu gehört auch ein 2,2 Kilometer langer Absenktunnel durch den Fehmarnsund. Beteiligt an der Inlandsanbindung – speziell mit neuen Straßenabschnitten auf Fehmarn – ist auch das Unternehmen Deges, das dem Bund und den Ländern gehört. Die Strecke durch den Fehmarnsund zählt zum ersten Planungsabschnitt, der bereits vom zuständigen Eisenbahnbundesamt begutachtet wurde. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens teilte das Amt Anfang vergangener Woche mit: „Die Bauzeit für das Tunnelbauwerk und der Anschlussinfrastruktur beträgt mitsamt der Inbetriebnahme ca. 6 Jahre und 5 Monate.“

Damit war der Plan der Deutschen Bahn Makulatur, die Inlandsanbindung bis Ende 2029 vollständig in Betrieb zu nehmen. Der Bau der Fehmarnsundquerung hätte Anfang 2026 beginnen sollen. Zunächst hielt die Deutsche Bahn dem Eisenbahnbundesamt vergangene Woche noch entgegen: „Gemeinsam mit den Bauunternehmen arbeiten wir an Optimierungen, um schneller in Betrieb gehen zu können als beschrieben. Die DB hält nach wie vor an dem Ziel fest, gemeinsam mit den Dänen in Betrieb zu gehen.“ Tatsächlich hatten die Verantwortlichen bei der Bahn da bereits das Bundesverkehrsministerium darüber informiert, dass der Zeitplan bis Ende 2029 nicht zu halten ist.

Der Fehmarnbelttunnel soll die Fahrzeit bei Schnellzügen zwischen Kopenhagen und Hamburg von heutzutage rund fünf auf zweieinhalb Stunden halbieren. Für Güterzüge wird die Fahrt zwischen Deutschland und Dänemark um etwa 160 Kilometer verkürzt, verglichen mit der heutigen Route über Flensburg, Fredericia und den Großen Belt. Auch Wirtschaft und Politik in den strukturschwachen Regionen Süddänemarks und Ostholsteins erwarten durch den neuen Verkehrsweg Impulse für die Ansiedlung von Unternehmen und für den Tourismus. „Hier bremst deutsche Bürokratie ein zentrales europäisches Infrastrukturprojekt aus. Durch die feste Fehmarnbeltquerung werden sich die Transport- und Reisezeiten in der Region erheblich reduzieren“, sagte ein Sprecher der Handelskammer Hamburg. „Jede Verzögerung sorgt für erhöhte volkswirtschaftliche Kosten. Diese wären vermeidbar, wenn Planungs- und Genehmigungsprozesse endlich merkbar beschleunigt werden würden.“

Jan Philipp Witt, wirtschaftspolitischer Sprecher der IHK zu Lübeck, sagt: „Jetzt kommt es darauf an, den Bau intelligent zu managen und gemeinsam mit den dänischen Partnern einen möglichst zeitnahen Eröffnungstermin des Gesamtprojekts einschließlich der Hinterlandanbindung mit Fehmarnsundtunnel festzulegen. Hier gilt es schnell, über innovative Wege zum Bau des Fehmarnsundtunnels nachzudenken und diese auch zu verwirklichen. Wir erwarten von der Deutschen Bahn, jede Möglichkeit zur Beschleunigung zu nutzen.“

Der Logistikexperte Jan Ninnemann, Professor an der Hamburg School of Business Administration (HSBA), hatte bereits Ende 2024 in einem Gutachten für das Fehmarnbelt Business Council gewarnt, dass die geplante Fertigstellung der deutschen Inlandsanbindung bis Ende 2029 nicht realistisch sei. „Einige Experten, die wir im Rahmen der Studie befragt haben, rechnen mit deutlich mehr Verzug, also einer Fertigstellung der Hinterlandanbindung erst zwischen 2035 und 2040“, sagte Ninnemann WELT AM SONNTAG. „Beim geplanten Bau eines Absenktunnels durch den Fehmarnsund bringt die komplexe Planfeststellung erhebliche Verzögerungen mit sich. Auch die Entscheidung, bei der Fertigung von Tunnelelementen für den Fehmarnsund nicht mit den dänischen Tunnelbauern zusammenzuarbeiten, ist nur bedingt nachvollziehbar.“ 

Ninnemann listete die Kosten auf, die durch spätere Inbetriebnahmen des Fehmarnbelttunnels und seiner Inlandsanbindungen entstehen. „Verzögerungen führen zu zusätzlichen Kosten durch Umleitungen im Schienenverkehr (Trassenkosten, Betrieb). Es wird mit etwa 45 Millionen Euro Mehrkosten im Güterverkehr und 15 Millionen Euro im Personenverkehr pro Jahr gerechnet“, schrieb er unter anderem. „Zusätzliche Energieverbrauchs- und Emissionskosten im Schienenverkehr werden auf sieben Millionen Euro pro Jahr geschätzt, der zusätzliche CO₂-Ausstoß liegt bei 50.000 Tonnen. Diese Verzögerungen schwächen die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene und gefährden das Ziel, Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern.“

Die Verluste bei einer verzögerten Inbetriebnahme, die in Ninnemanns Gutachten aufgeführt werden, beschreiben im Grunde die Mehrkosten der heutigen Verkehrsführung: entweder auf dem langen Weg über Jütland und den Großen Belt oder über den zwar kürzeren, aber ineffizienten Weg über Fehmarn. Der Fehmarnbelt wird derzeit mit den Fähren der Reederei Scandlines überquert, die Fahrzeit beträgt 45 Minuten. Die Bahnlinie durch Ostholstein bis zum Fährhafen Puttgarden ist bislang nicht elektrifiziert, bis zur Einstellung des Betriebes fuhren dort nur Züge mit Diesellokomotiven. Die Bundesstraße 207 auf Fehmarn wiederum ist durch den heutigen Verkehr und vor ihrem geplanten Ausbau häufig überlastet. „Im Schienenpersonenverkehr führt die Umleitung zu Verlängerungen der Reisezeiten um etwa zwei Stunden, was ökonomische Verluste in Höhe von etwa 68 Millionen Euro pro Jahr nach sich zieht“, heißt es im Gutachten. „Im Schienengüterverkehr belaufen sich die ökonomischen Folgen der Reisezeitverluste auf rund 18 Millionen Euro.“

Negativ schlage eine Verzögerung auch auf das Volumen des Außenhandels durch. Mit einer funktionierenden Fehmarnbeltquerung könne das regionale, grenzüberschreitende Handelsvolumen um 1,55 Milliarden Euro im Jahr gesteigert werden, vor allem wegen der geringeren Transportkosten. Das gelte „insbesondere für transportkostensensitive Güter wie Elektronik und Fahrzeuge“.

Schleswig-Holsteins Wirtschafts- und Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen (CDU), gebürtiger Däne, mahnt seit Jahren die Einhaltung der Zeitpläne besonders auf deutscher Seite an. Die jüngste Verschiebung kommentiert er fast schon erleichtert. Gespräche zwischen Dänemark und Deutschland zur neuen Terminlage seien „zu begrüßen. So erhalten wir vernünftige und ehrliche Zahlen, mit denen man arbeiten kann. Es gilt jetzt, einen verlässlichen Zeitplan zu bekommen. Wir müssen alles daransetzen, so schnell wie möglich fertig zu werden.“ Beim Ausbau der Schienen- und der Straßenverbindung.

Das Bundesverkehrsministerium wiederum stellt in seiner Reaktion auch die Termintreue der Dänen infrage: „Die dänische Projektgesellschaft Femern A/S hat in ihrem Geschäftsbericht 2024 ebenfalls ernsthafte Terminrisiken auf dänischer Seite adressiert –  verbunden mit der Ankündigung, den weiteren Zeitplan nach Absenkung der ersten Tunnelelemente neu zu bewerten. Das BMV hat sich im Sinne des Artikel 22 des gemeinsamen Staatsvertrags nun an die dänischen Partner gewandt und vorgeschlagen, dass die Vorhabenträgerinnen Femern A/S und DB InfraGO AG zeitnah einen an die aktuellen Gegebenheiten angepassten Inbetriebnahmetermin abstimmen.“

Seit dem Baubeginn Ende 2020 kommt Femern A/S mit seinen Partnerunternehmen gut voran. Das nördliche Tunnelportal in Rødbyhavn auf Lolland ist fertig, die danebenstehende Fabrik produziert Betonelemente für den Absenktunnel. Auch das südliche Tunnelportal bei Puttgarden und andere Bauwerke auf Fehmarn sind weitgehend betoniert. Verzögerungen gibt es bei den für dieses Jahr geplanten ersten Absenkungen von Tunnelelementen in die fertiggestellte Rinne in der Ostsee – die nötigen Spezialschiffe sind noch nicht final getestet und abschließend zertifiziert. Femern A/S aber bekräftigte auch diese Woche, den Fehmarnbelttunnel bis Ende 2029 fertigstellen zu wollen.

Schon in der Mitte des vergangenen Jahrzehnts hatten Tausende Einwendungen auf deutscher Seite gegen den Bau des Fehmarnbelttunnels und ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig das Projekt um Jahre zurückgeworfen. Die neuen Verzögerungen in Deutschland kommentierte eine Sprecherin von Femern A/S so: „Wir haben die Nachricht aus dem Bundesverkehrsministerium zur Kenntnis genommen und werden nun Rücksprache mit unserem Eigentümer, dem dänischen Verkehrsministerium, über das weitere Vorgehen halten.“

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit vielen Jahren über den Bau des Fehmarnbelttunnels.

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