Der zunehmende Missbrauch des Schmerz- und Narkosemittels Ketamin als Partydroge befeuert die Diskussion über einen strengeren Umgang mit dieser Substanz. Der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit, Stephan Pilsinger (CSU), fordert eine Verschärfung der Gesetzeslage. „Leider wird Ketamin auch innerhalb der Partyszene missbraucht. Da dem Problem seit Jahren kaum Einhalt geboten werden kann, spreche ich mich dafür aus, Ketamin in seinen verschiedenen Formen dem Betäubungsmittelrecht zu unterwerfen oder andere geeignete Maßnahmen zu finden, um den Missbrauch einzudämmen“, sagte Pilsinger der WELT AM SONNTAG.

Deutschland kommt im Handel mit Ketamin eine besondere Rolle zu. Internationale Exportdaten, die das Münchener Unternehmen QYOBO exklusiv für WELT AM SONNTAG ausgewertet hat, zeigen, dass die Bundesrepublik der weltweit größte Umschlagplatz für legales Ketamin ist. Laut Bundeskriminalamt gelangen Teile dieses legalen Ketamins in den Schwarzmarkt. Wie stark der Missbrauch hierzulande mittlerweile zugenommen hat, zeigen Daten des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen. So stiegen die Verstöße im Zusammenhang mit Ketamin in dem Bundesland von rund 28 Delikten 2020 auf 418 Delikte im vergangenen Jahr.

Angelpunkt der politischen Diskussion ist die rechtliche Handhabung von Ketamin in Deutschland. Der Stoff gilt nicht als Betäubungsmittel, sondern als verschreibungspflichtiges Medikament. Entsprechend fällt er nicht unter das Betäubungsmittel-, sondern unter das Arzneimittelgesetz beziehungsweise das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG). Die Strafen für den illegalen Handel mit Ketamin fallen damit milder aus als für Drogen wie Kokain oder Ecstasy, die dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt sind. In Großbritannien, wo Ketamin immer neue Konsumrekorde bricht, wird bereits seit mehreren Monaten über eine Gleichstellung des Strafmaßes mit Drogen wie Heroin oder Kokain diskutiert.

Die Forderung des Unions-Gesundheitsexperten Pilsinger wird indes von der Opposition zurückgewiesen. Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen, warnt vor einer gesetzlichen Verschärfung für den Einsatz des Mittels. „Ketamin ist ein medizinisch unverzichtbares Notfallmedikament – mit einem Suchtpotenzial, das deutlich unter dem von Opiaten oder Benzodiazepinen liegt“, sagte Dahmen. Als Arzt und Notfallmediziner wisse er, wie wichtig der unkomplizierte Zugang zu dem Mittel im Rettungsdienst und in der Schmerztherapie sei.

Polizeigewerkschaft gegen härtere Strafen

In der Polizei gibt es keine einheitliche Meinung zu einer möglichen Strafverschärfung bei Ketamin. Das Landeskriminalamt (LKA) Bayern etwa sieht durch den vergleichsweise „wesentlich herabgesetzten Strafrahmen“ für den Handel mit Ketamin die präventive Funktion der Strafen als „wesentlich gemindert“ an. „Der niedrigere Abschreckungseffekt von zu erwartenden Sanktionen dürfte potenzielle Straftäter eher motivieren“, heißt es vom LKA Bayern. Zudem führe der herabgesetzte Strafrahmen auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit bei den polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen zu Einschränkungen.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft lehnt hingegen schärfere Strafen ab. So könnte eine Einstufung von Ketamin unter das Betäubungsmittelgesetz „zu Erschwernissen beim bestimmungsgemäßen Gebrauch führen, ohne einen wirklichen Zugewinn für die Strafverfolgung“ zu bewirken. Zudem betont die Gewerkschaft, dass die Polizei auch unter der derzeitigen Gesetzeslage „alles andere als machtlos gegen den Missbrauch“ sei. „Ihr stehen alle Ermittlungsinstrumente zur Verfügung, wie etwa Observationen, Telekommunikationsüberwachung oder verdeckte Ermittlungen.“

Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) sieht in einer möglichen Gesetzesverschärfung sowohl Vor- als auch Nachteile. Eine Einstufung von Ketamin als Betäubungsmittel könne zwar die Hürde der illegalen Beschaffung erhöhen und das Bewusstsein für die Risiken von Missbrauch steigern. „Allerdings wäre potenziell der Zugang für die Notfallmedizin erschwert“, heißt es. Bei einer Gesetzesverschärfung könnten etwa strengere Lagerungs-, Dokumentations- und Verschreibungsauflagen gelten, die den klinischen Alltag erschweren.

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit „Business Insider Deutschland“.

Andreas Macho ist WELT-Wirtschaftsreporter in Berlin mit dem Schwerpunkt Gesundheit.

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