Der Geruch von Heizöl und Diesel hängt über dem Tanklager von MB Energy am Blumensand im Hamburger Hafen. Künftig könnte hier, am Enport-Terminal, vor allem ein Energieträger importiert werden, der nicht auf Erdöl basiert, wie heutzutage die meisten flüssigen Brenn- und Kraftstoffe. Denn der Hamburger Hafen, so das Ziel des Hamburger Senats, soll Drehscheibe einer klimaneutralen Energiewirtschaft werden.

In den kommenden Jahren will das Hamburger Unternehmen MB Energy den Import von Ammoniak starten, das aus Stickstoff und Wasserstoff besteht und frei von Kohlenstoff ist. Interessant ist dabei für die Energiewirtschaft und für die Industrie vor allem der Wasserstoff mit der chemischen Formel H – er soll eine Grundlage für die Energieversorgung der Zukunft werden. Allerdings weiß heutzutage niemand, wann genau das sein wird. „Vor gut einem Jahr haben wir den Genehmigungsantrag bei der Hamburger Umweltbehörde eingereicht, mehr als 1500 Seiten“, sagt Volker Ebeling beim Blick aus dem Verwaltungsgebäude auf den Terminal. „Die Teilgenehmigung für die Beladung der Schiffe liegt bereits vor. Wir warten nun, dass der Antrag noch im Laufe dieses Jahres vollständig genehmigt wird.“

Der Manager Ebeling – dessen Titel Senior Vice President, New Energy, Supply & Infrastructure lautet – erklärt an diesem Nachmittag eines der wichtigsten Projekte für die Transformation des Hamburger Hafens hin zu einer Energieversorgung, die vorrangig auf erneuerbaren Energien und auf Wasserstoff basiert. MB Energy plant einen Importterminal für Ammoniak, ein Tanklager und Anlagen zum Weitertransport der Chemikalie auf Schiffen, Zügen und Lastwagen. Ammoniak dient unter anderem als Grundstoff zur Herstellung von Düngemitteln und für eine Reihe anderer Produkte. Das Unternehmen Air Products wiederum soll einen Teil des importierten Ammoniaks mit einem sogenannten „Cracker“ in seine Bestandteile Wasserstoff und Stickstoff aufspalten – um an den begehrten Wasserstoff heranzukommen. In gebundener Form als Ammoniak lässt sich Wasserstoff auf Tankern besser transportieren als im reinen Zustand.

Am Ende des vergangenen Jahrzehnts rückte Wasserstoff in den Blick deutscher und internationaler Energieexperten. Die damalige Bundesregierung aus Union und SPD verabschiedete 2020 eine „Nationale Wasserstoffstrategie“. Die darauffolgende Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP warb seit Ende 2021 für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Etliche Unternehmen formulierten ehrgeizige Wasserstoffprojekte. Doch die Pandemie, der Ukrainekrieg und viele andere Krisen dämpften die Hoffnungen, dass dieser Strukturwandel – flankiert auch vom „European Green Deal“ der EU-Kommission – schnell vorankommen könnte. Regenerativ erzeugter Wasserstoff ist noch immer viel zu teuer, um mit fossilen Energieträgern konkurrieren zu können.

Die seit Mai regierende Koalition von Union und SPD im Bund möchte den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft weiter vorantreiben – vieles aber bleibt dabei noch vage. Der Deutsche Wasserstoff-Verband stellt fest: „Wir hinken den Ausbauzielen zeitlich hinterher. Die Planungen werden auch dadurch maßgeblich verzögert, dass es zwar einen regulatorischen Rahmen bezüglich der Produktion von Wasserstoff sowie der innerdeutschen Leitungsinfrastruktur gibt“, heißt es in einer Stellungnahme. „Was noch aussteht, ist aber ein Rahmen zur Anreizung der Nachfrage nach Wasserstoff, zur Umstellung von Hochtemperaturprozessen in der Industrie und zur Nutzung in der Energiewirtschaft. Die Frage nach der Speicherinfrastruktur ist ebenfalls ungeklärt.“

Anders als die Ampelregierung, will die neue schwarz-rote Koalition den Fokus nicht speziell auf „grünen“ Wasserstoff legen, der per Elektrolyse mithilfe von Ökostrom aus der Aufspaltung von Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff gewonnen wird. Auch dem sogenannten „blauen“ Wasserstoff misst die neue Bundesregierung eine hohe Bedeutung bei. „Blauer“ Wasserstoff wird aus Erdgas gewonnen. Das bei der Erzeugung freigesetzte Kohlendioxid wird aufgefangen und in unterirdische Lagerstätten verpresst, mithilfe der sogenannten CCS-Technologie.

„Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft soll beschleunigt und pragmatischer ausgestaltet werden“, teilte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums mit. „Ziel ist langfristig die Umstellung auf klimaneutralen Wasserstoff, basierend auf einem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien aus dem Inland und aus Importen.“ Im Inland müssen dafür zahlreiche große Elektrolyseure gebaut werden: „Wasserstofferzeugung wollen wir sowohl über große systemdienliche Elektrolyseanlagen als auch verstärkt dezentral und flächendeckend ermöglichen.“

Zuletzt allerdings zeigt die Wirtschaft weniger Begeisterung für das Thema Wasserstoff als noch ein halbes Jahrzehnt zuvor. Viele Projekte für den Einsatz von Wasserstoff wurden von Unternehmen im zurückliegenden Jahr gestoppt oder abgesagt. Der weltgrößte Stahlkonzern ArcelorMittal etwa will seine Werke in Bremen und Eisenhüttenstadt vorerst nicht für den Einsatz von Wasserstoff vorbereiten. Ob Wasserstoff in absehbarer Zeit im Hamburger Werk von ArcelorMittal genutzt wird, ist ebenfalls offen – technologisch wäre die Anlage innerhalb des Konzerns in Deutschland dafür am besten aufgestellt.

„In Hamburg gibt es bisher keinen Fördermittelbescheid des Bundeswirtschaftsministeriums für die geplante Pilot-Direktreduktionsanlage, in der ,grüner‘ Wasserstoff genutzt werden soll. Zudem ist grüner Wasserstoff für das Hamburger Projekt nicht zu wettbewerbsfähigen Preisen verfügbar – und generell nicht in ausreichender Menge existent“, sagt ein Sprecher von ArcelorMittal. „Die Bewerbung zur Teilnahme an neuen Klimaschutzverträgen – mit denen die anfangs deutlich höheren Produktionskosten ausgeglichen werden sollen – ist möglich, aber die Rahmenbedingungen für die Antragstellung sind bisher nicht verfügbar.“

Hamburg soll in den kommenden Jahrzehnten ein Wasserstoff-Zentrum werden. Der rot-grüne Senat treibt dafür – auch in Kooperation mit den städtischen Energieunternehmen – den Aufbau der Infrastruktur voran. Eine Studie des Fraunhofer Centers für maritime Logistik und Dienstleistungen ergab, dass Hamburg durch den seeseitigen Import und die Eigenerzeugung im Hafen bis 2045 einen Anteil von bis zu 18 Prozent des gesamten deutschen Bedarfs an „grünem“ Wasserstoff und dessen Derivaten – Ammoniak, Methanol, synthetischem Diesel und Benzin – decken könnte. Dieser Energiebedarf wird für 2045 mit 540 Terawattstunden kalkuliert. Zum Vergleich: Der deutsche Stromverbrauch des Jahres 2024 betrug insgesamt rund 464 Terawattstunden.

Das Unternehmen Hamburger Energienetze stellt im und am Hafen bis 2027 die ersten 40 von später insgesamt 60 Kilometern eines neuen Wasserstoffnetzes fertig, das mit dem gesamtdeutschen „Wasserstoff-Kernnetz“ verbunden wird. Die Hamburger Energiewerke und der Finanzinvestor Luxcara wiederum wollen auf dem Gelände des abgerissenen Steinkohlekraftwerks Moorburg 2027 einen ersten Elektrolyseur mit 100 Megawatt Leistung zur Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff in Betrieb nehmen: „Im Zuge des in Deutschland avisierten Wasserstoffhochlaufs ist am Standort Moorburg eine Skalierung auf voraussichtlich insgesamt 800 Megawatt geplant“, teilen die Hamburger Energiewerke mit. „Wir bereiten zum gegebenen Zeitpunkt entsprechende Markterkundungen und Ausschreibungen vor.“ Rund 10.000 Tonnen Wasserstoff im Jahr kann ein Elektrolyseur mit 100 Megawatt Leistung erzeugen.

Entscheidend allerdings werden die Projekte privatwirtschaftlicher Unternehmen sein – in Hamburg hauptsächlich von MB Energy. „Wenn wir Ende dieses Jahres die Genehmigung bekommen, brauchen wir voraussichtlich sechs bis zwölf Monate, um abschließend die Investitionsentscheidung zu treffen, auch im Dialog mit potenziellen Kunden. Danach bräuchten wir zweieinhalb Jahre Bauzeit“, sagt Manager Volker Ebeling. „Das Tanklager für Ammoniak, das wir in Hamburg gerade konzipieren, ist für bis zu einer Million Tonnen Ammoniak-Import im Jahr geeignet. Wir rechnen mit 600.000 Tonnen Jahresumschlag beim Ammoniak, das entspräche etwa 100.000 Tonnen Wasserstoff.“

Das erste Ammoniak, das MB Energy künftig importiert, wird vermutlich aus den USA kommen: „Wir nehmen in diesen Wochen in Texas City eine der weltgrößten Ammoniak-Produktionsanlagen in Betrieb, an der wir maßgeblich beteiligt sind“, sagt Ebeling. „Dort werden bis zu 1,3 Millionen Tonnen Ammoniak im Jahr produziert. Künftig könnte das auch ,blaues‘ Ammoniak sein, mit Wasserstoff, der aus Erdgas extrahiert wird.“ Für den Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft sei „blaues“ Ammoniak unverzichtbar: „Der Hochlauf lässt sich in den kommenden Jahren mit ,grünem‘ Ammoniak nicht realisieren.“

Auch bei dem Importprojekt von MB Energy in Hamburg bleibt ein wesentlicher Punkt allerdings vorerst noch offen – ob nämlich das US-Unternehmen Air Products im Hafen tatsächlich einen „Cracker“ zur Aufspaltung von Ammoniak in Wasserstoff und Stickstoff installieren wird. „Air Products hat dafür bislang keinen Genehmigungsantrag gestellt“, sagt Ebeling. „Das muss allerdings auch nicht unbedingt parallel zu unserem Genehmigungsverfahren laufen. Wir haben uns entschlossen, mit Air Products als einem sehr kompetenten Partner zusammenzuarbeiten, einem der größten Wasserstoffunternehmen der Welt. Wir könnten das aber auch gemeinsam mit anderen Partnern realisieren, mit denen wir im Austausch stehen.“

In der saudi-arabischen Retortenstadt Neom am Roten Meer ist Air Products am Aufbau einer gigantischen Infrastruktur beteiligt – der künftig wohl größten Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff und Ammoniak weltweit. Eine Anfrage, ob und wann das Unternehmen eine Genehmigung für einen Ammoniak-Cracker in Hamburg beantragen wird, beantwortete Air Products nicht.

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Über die deutsche und internationale Energiewirtschaft berichtet er seit mehr als drei Jahrzehnten.

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