Der Mann mit der Lederjacke hat es noch einmal geschafft: Nvidia-Chef Jensen Huang stellte am späten Mittwochabend erneut Quartalszahlen vor, die die Analysten-Prognosen übertrafen. 46,7 Milliarden Dollar nahm der KI-Chip-Konzern im vergangenen Quartal ein, eine halbe Milliarde Dollar mehr als von der Wall Street erwartet worden war und satte 56 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.

Auch die Gewinnmarge bleibt legendär: Nvidia verbuchte einen Gewinn von 26,4 Milliarden Dollar, das bedeutet eine Marge von 72,4 Prozent. Auf den ersten Blick also könnten die Anleger zufrieden sein – noch hält der KI-Boom an. Dennoch fielen nicht nur die Nvidia-Aktie um rund drei Prozent im nachbörslichen Handel, sondern auch die Papiere diverser anderer Chip-Unternehmen gaben nach.

Zudem zeigt der Blick in die Details einen beunruhigenden Trend: Ausgerechnet der Umsatz mit den Supercomputern ist im vergangenen Quartal nicht länger gewachsen, sondern sogar um ein Prozent gefallen. Beinahe sogar wäre der Umsatz noch weiter geschrumpft, hätte nicht ein anonymer Großkunde einige tausend H20-Chips im Wert von über 600 Millionen Dollar abgenommen, die eigentlich für den chinesischen Markt bestimmt waren.

China ist Nvidias größte Schwachstelle. „Wir erwarten im kommenden Quartal keinerlei Umsätze mit H20-Chips“, schreibt der Konzern selbst in seiner Prognose. Mit anderen Worten heißt das: Im KI-Schlüsselmarkt China verdient Nvidia kein Geld mehr, obwohl der Konzern eigens den gedrosselten H20-Chip entworfen hat, der die US-Exportrestriktionen umgehen sollte.

US-Regierung verlangt 15 Prozent Umsatzbeteiligung

Doch erst verbat Trumps Regierung trotz der Drosselung den Export weiterer H20-Chips, dann verlangte er 15 Prozent Umsatzbeteiligung für die US-Regierung an China-Exporten. Ein entsprechendes Gesetz, sagt Nvidia, fehlt bislang – also sind China-Exporte aktuell gar nicht möglich. Hinzu kommt, dass China selbst inzwischen keine Nvidia-Chips mehr will. Die Regierung in Peking verbietet den Unternehmen im Land den Kauf, sie sollen stattdessen bei chinesischen Herstellern wie Huawei bestellen.

Nvidia geht davon aus, dass man selbst mit den gedrosselten China-Chips noch über vier Milliarden Dollar pro Quartal einnehmen könnte, wenn man sie denn exportieren dürfte. Diese Milliarden fehlen nun.

Mehr noch: Der extrem forschungsstarke und dynamische chinesische Markt fehlt nun in Nvidias Portfolio, und damit hat der Konzern auch keinen direkten Einblick mehr in die Forschungsarbeit der Chinesen. „Aus diesem Grund ist es sehr wichtig für US-Tech-Konzerne, Zugang zum chinesischen Markt zu bekommen“, kommentierte Huang selbst im Analystengespräch in der Nacht zum Donnerstag. Er betonte, wie wichtig insbesondere die Open-Source-Modelle der Chinesen für die KI-Forschung sind, nannte das chinesische Modell DeepSeek als „exzellentes“ Beispiel für die Innovationskraft der chinesischen KI-Firmen.

Vor allem aber wächst der chinesische Markt für KI-Supercomputer weiter – in den USA aber scheint der Boom ein wenig nachzulassen, wie die Umsatzzahlen zeigen. Etwa die Hälfte aller Rechenzentrums-Umsätze stammen von nur vier großen US-Tech-Konzernen: Alphabet, Amazon, Microsoft und Meta. Sobald diese auf die Bremse bei den KI-Investitionen drücken, sind die Rekordquartale bei Nvidia vorbei.

Denn die übrigen Geschäftsbereiche der Firma tragen nicht sonderlich viel zum Rekordumsatz bei. Mit Computerspiel-Grafikkarten, einst Huangs wichtigstes Geschäft, nahm Nvidia nur vier Milliarden Dollar ein. Das Geschäft als Autozulieferer brachte sogar nur 585 Millionen Dollar Umsatz, trotz aller Bemühungen in den vergangenen zehn Jahren, in der Autobranche stärker Fuß zu fassen.

Gerettet wurde die Nvidia-Quartalsbilanz auch von der neuen Version der Infinityband-Netzwerktechnik, die zum Vernetzen von Supercomputern unerlässlich ist. Wer viele der Nvidia-Computer zusammenschalten will, muss auch das Netzwerk bei Nvidia kaufen. 7,2 Milliarden Dollar nahm Huang hier ein – doppelt so viel wie im Vorjahr. Doch in der Netzwerksparte ist Nvidia noch abhängiger von den vier Großkunden.

Trotz des China-Problems rechnet Nvidia aber damit, dass der Supercomputer-Boom im kommenden Quartal weitergeht und prognostiziert 54 Milliarden Dollar Umsatz. In absoluten Zahlen klingt das beeindruckend, doch in Prozent gerechnet lässt das Wachstum nach – Huang wird vom Gesetz der großen Zahl eingeholt.

Die Prognose fällt so niedrig aus, dass erste Analysten etwa bei der Nachrichtenagentur Bloomberg bereits das Ende des KI-Booms ausrufen. Die Tage der immer weiter steigenden KI-Aktienkurse, das scheint das eigentliche Ergebnis des Abends, sind in diesem Herbst vorerst vorbei. Das weiß wohl auch Jensen Huang und hat sich von seinem Aufsichtsrat weitere Aktienrückkäufe für bis zu 60 Milliarden Dollar genehmigen lassen. Das dürfte den Kursverfall deutlich bremsen.

Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und „Business Insider Deutschland“ erstellt.

Benedikt Fuest ist Wirtschaftskorrespondent für Innovation, Netzwelt, IT und Rüstungstechnologie.

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