Deutschland hat ein Export-Problem. „Die Lage ist wirklich düster“, sagt Dirk Jandura, der Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). Der Außenhandel stecke in der Krise. Und das sei für Deutschland keine gute Nachricht.
Denn hinter dem verarbeitenden Gewerbe ist der Bereich Import-Export laut Jandura der zweitstärkste Wirtschaftsfaktor in Deutschland. Den Umsatz beziffert er auf rund 1,7 Billionen Euro, die Zahl der Beschäftigten auf rund zwei Millionen. „Der Punkt sind aber die Impulse, die vom Außenhandel ausgehen: Letztlich hängt in Deutschland jeder vierte Arbeitsplatz davon ab. Wenn es also zu einer nachhaltig negativen Entwicklung käme, würde ich mir schon Sorgen machen, was das Thema Wohlstand und was Arbeitsplätze angeht, und in letzter Konsequenz natürlich auch, was die Steuereinnahmen angeht.“
Und aktuell ist die Lage negativ. 2024 gab es schon ein Minus von 1,7 Prozent bei den Ausfuhren. Auf rund 1,55 Billionen Euro sanken die Auslandsverkäufe, meldet das Statistische Bundesamt. Und im ersten Halbjahr 2025 ging es weiter bergab. Mit 786 Milliarden Euro lagen die Exporte zwar nur leicht unter dem Vorjahresniveau.
Für das Gesamtjahr rechnet der BGA aber angesichts von Markteinbußen, der US-Zollpolitik und immer neuen Bürokratie-Hürden mit einem Minus von 2,5 Prozent. „Ein nachhaltiger Aufschwung im deutschen Export ist nach wie vor nicht in Sicht“, sagt Jandura. Das Erreichen früherer Wachstumsraten bleibe daher unwahrscheinlich. Und auch der Kreditversicherer Allianz Trade, der solche Geschäfte absichert, zeigt sich pessimistisch. „Die Unsicherheit ist gekommen, um zu bleiben“, begründet Milo Bogaerts, der Landeschef von Allianz Trade im deutschsprachigen Raum.
Längst reagieren die Unternehmen auf diese Gemengelage. So sind laut BGA in den vergangenen zwölf Monaten rund 43.000 Arbeitsplätze im Groß- und Außenhandel verloren gegangen. Und laut Mitgliederbefragung rechnet rund ein Viertel der Betriebe mit weiteren Einbußen. „Die Lage ist also ernst“, unterstreicht Jandura. Zumal es gerade in allen Branchen schlecht aussehe. „Ich habe keine Signale vernommen, dass irgendjemand aufzeigt und sagt, dass bei ihm eigentlich alles entspannt ist.“
Außenhandel „am Scheideweg“
Im Gegenteil: Auch Insolvenzen würden derzeit zunehmen, berichtet der Unternehmer, der im Hauptberuf Geschäftsführer des Elektrogroßhändlers Oskar Böttcher aus Berlin ist. „Außerdem geht das Thema Kurzarbeit wieder los.“ Und das sei ungewöhnlich. „Ich kenne aus meiner aktiven Zeit im Großhandel keine Phase, wo wir es mit Kurzarbeit zu tun hatten“, beschreibt Jandura. Erst in der Corona-Zeit habe es das zum ersten Mal im größeren Stil gegeben. Aber das habe mit Schließungen zu tun gehabt und mit allen möglichen Sonderfaktoren. „Danach hat es sich eigentlich wieder gesammelt.“
Der BGA-Präsident sieht den Außenhandel daher „am Scheideweg“ und fordert ein entschlossenes Gegensteuern seitens der Politik. „Wenn wir den Abwärtstrend im Export stoppen und den rasanten Anstieg beim Import dämpfen wollen, brauchen unsere Unternehmen dringend mehr Freiraum: weniger Bürokratie, sichere Lieferketten und vor allem den Abschluss neuer Freihandelsabkommen, um Zölle und Handelshemmnisse zu überwinden.“
Enttäuscht zeigt sich der Außenhandelsverband dabei von der neuen Bundesregierung unter Friedrich Merz (CDU). „Die Hoffnung war groß nach der Wahl“, sagt Jandura. „Zum Beispiel, dass ein klarer Blick für die Belange der Wirtschaft zurückkehrt.“ Das große Versprechen, den Standort zu stärken, Vertrauen zurückzugewinnen, das Wirtschaftswachstum wieder möglich zu machen – all das sei unzureichend eingelöst. Es brauche mehr Impulse für Wirtschaftswachstum und eine Stärkung des Standorts. „Ohne eine florierende Wirtschaft und damit sprudelnde Steuereinnahmen sind die anderen Vorhaben der Regierung auch nicht finanzierbar.“
„Zehn Jahre verfehlte, angebotsferne Wirtschaftspolitik“
In der Pflicht sehen die Unternehmen dabei sowohl Berlin als auch Brüssel. „Die deutsche Regierung und die Europäische Kommission haben es geschafft, die Wirtschaft mit immer neuen Vorgaben so zu fesseln, dass sie sich nicht mehr aus eigener Kraft befreien kann“, analysiert Jandura. Doch es müsse nun schnell zu einem Befreiungsschlag kommen.
„Wir blicken auf mindestens zehn Jahre verfehlter, angebotsferner Wirtschaftspolitik, die unsere Unternehmen Schritt für Schritt geschwächt hat. Gleichzeitig hat sich die geopolitische Lage massiv verschärft.“ Die Politik müsse den deutschen Außenhandel endlich als Kernbereich ihrer Politik begreifen und unterstützen. Denn das sei am Ende der Wachstumsmotor der Wirtschaft. Der BGA drängt dabei wie auch etliche andere Wirtschaftsverbände vor allem auf zusätzliche Freihandelsabkommen sowie auf den Abbau von Bürokratie und Regulierung, die immer stärker zu Handelshemmnissen werden.
Mehr erwartet hatten die Unternehmen von Deutschland und der EU auch in Bezug auf die aggressive US-Zollpolitik, die sich zunehmend zu einer Belastung für die hiesigen Exporteure auswächst. „Trump nutzt Zölle als politische Waffe. Unsere klare Erwartung an die EU-Kommission lautet deshalb: Bei dem Verhandlungsergebnis mit den USA muss nachgebessert werden“, fordert BGA-Chef Jandura. Derweil versuchen sich viele Unternehmen sich neu zu orientieren. „Dadurch verschieben sich Handelsströme und Lieferketten“, heißt es bei Allianz Trade. „Allerdings ist der Spielraum für eine weitere Diversifizierung der Lieferketten ohne größere Investitionszusagen begrenzt“, sagt Ana Boata, die Leiterin der Wirtschaftsforschung beim Kreditversicherer. „Außerdem stehen weitere Produkte auf der US-Untersuchungsliste.“
Zuletzt gab es vier Monate in Serie rückläufige Ausfuhren in die USA, zeigten Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Im Juli sanken die Exporte dabei auf den tiefsten Stand seit Dezember 2021. „Viele der neuen US-Zölle sind so hoch, dass Geschäfte schlichtweg unmöglich werden – für zahlreiche deutsche Exporteure bedeutet das faktisch den Verlust des US-Marktes“, ordnet Jandura ein.
Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und Business Insider erstellt.
Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie Mittelstandsunternehmen.
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