Bertram Kawlath gilt als unaufgeregt und besonnen. Und tatsächlich spricht der Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) zum Auftakt des Maschinenbaugipfels in Berlin mit ruhiger Stimme und in freundlichem Ton zu den über 900 Gästen. Die Wortwahl indes hat es in sich – vor allem in Richtung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), der in der ersten Reihe sitzt. „Wir brauchen keine Symbolpolitik, sondern eine Regierung, die handelt“, fordert Kawlath. „Keine Prüfaufträge, keine weiteren Formulierungsrunden: Wir brauchen Entscheidungen, die den industriellen Mittelstand entlasten. Wir brauchen positive Rahmenbedingungen.“

Denn die Lage in seiner Branche sei nicht mehr nur ernst, warnt der Unternehmer. „Sie ist bedrohlich.“ Trotzdem stehe im politischen Berlin die Furcht vor Reformen wie der berühmte Elefant im Raum. Aber dieses Zögern habe einen hohen Preis. „Immer mehr Unternehmen stehen vor tiefen Einschnitten, Arbeitsplätze gehen verloren. Unternehmer sitzen ihren Mitarbeitern gegenüber und müssen Kündigungen aussprechen – während die Politik eine zwingend gebotene Reform nach der anderen verschiebt und zerredet.“ Der Maschinenbau stehe deswegen nun an einem Kipppunkt.

Tatsächlich leidet die mittelständisch geprägte Industriebranche, die mit ihren über 6000 Unternehmen und gut einer Million Beschäftigten gerne als Rückgrat der deutschen Wirtschaft bezeichnet wird. Handelskriege, Protektionismus und eine globale Verunsicherung auf der einen, sowie hohe Standortkosten, Bürokratiefrust und überbordende Regulierung auf der anderen Seite haben sich zu einer gefährlichen Gemengelage entwickelt. „Viele Betriebe kämpfen mehr als je zuvor“, beschreibt Kawlath die aktuelle Lage. Die Zahl der Insolvenzen steige und der Abbau von Arbeitsplätzen sei keine abstrakte Größe, sondern bittere Realität.

Der VDMA reduziert daher seine ohnehin schon negative Produktionsprognose von real minus zwei Prozent auf jetzt minus fünf Prozent. Damit steuert die Branche mit dem dann dritten Minusjahr in Serie auf einen Produktionswert von nur noch 231 Milliarden Euro zu. Die Krise zeigt sich auch an der Kapazitätsauslastung, die aktuell nur noch bei 77,6 Prozent liegt. „Das ist deutlich zu wenig“, warnt Kawlath. Und tatsächlich gilt ein Prozentsatz zwischen 86 und 90 Prozent als ideal.

Immerhin scheint der Abwärtstrend beim Auftragseingang gestoppt. Ein Plus von zwei Prozent im Zeitraum von Januar bis Juli gleicht den zuvor monatelangen Absturz aber bei weitem nicht aus. So gab es 2023 zwölf Prozent weniger Bestellungen und im Jahr danach nochmal acht Prozent weniger Order. Der kleine Zuwachs im bisherigen Jahresverlauf verleitet den VDMA allerdings zu „leichtem Optimismus“ und der Vorhersage von einem preisbereinigten Plus in Höhe von einem Prozent – jedenfalls unter gewissen Umständen. „Noch gibt es erhebliche Risiken“, warnt Kawlath und nennt unter anderem eine mögliche weitere Verschärfung der Handelskonflikte, neue Zölle, geopolitische Eskalationen, aber auch ausbleibende Reformen am Heimatstandort Deutschland.

Und die Antwort des Bundeskanzlers auf die vorgebrachten Anschuldigungen und Forderungen stellt Verbandspräsident Kawlath bislang nicht zufrieden. Merz kündigte zum Beispiel an, dass seine schwarz-rote Koalition die bisherige Energiepolitik nicht umkehren, aber korrigieren und damit die Kosten senken will, dass durch eine Aktiv-Rente mit einem 2000-Euro-Freibetrag der Arbeitsmarkt flexibilisiert und der Fachkräftemangel bekämpft werden soll, dass ab 2028 der Körperschaftssteuersatz schrittweise gesenkt wird und dass perspektivisch rund ein Viertel der Bürokratie verschwinden soll. „Ich stelle mir vor, dass wir im Oktober eine Kabinettssitzung machen, in der wir nicht ein einziges neues Gesetz beschließen, sondern eine ganze Reihe von bestehenden Gesetzen und Regulierungen abschaffe.“

Einsparungen im Sozialstaat angekündigt

Für Kawlath stimmt damit zumindest die Richtung. „Aber das Tempo überzeugt mich nicht.“ Merz warb dahingehend nochmal um Geduld. „Deutschland hat kein Konjunkturproblem, sondern ein strukturelles Wachstumsproblem. Und aus diesen strukturellen Verwerfungen herauszukommen, ist nicht mit einem Fingerschnippel getan, sondern erfordert grundlegende Korrekturen im bestehenden Regelwerk und im bestehenden Miteinander in unserer Volkswirtschaft.“

Zu diesem neuen Miteinander gehören nach Ansicht des CDU-Chefs auch Einsparungen beim Sozialstaat. „Ein Drittel unseres Bruttoinlandproduktes geht in die sozialen Sicherungssysteme, mehr als die Hälfte des Bundeshaushaltes sind Kosten für die Sozialpolitik. Wir sind ein erfolgreicher, guter Sozialstaat. Aber wir müssen jetzt aufpassen, dass es nicht zu viel des Guten wird“, so Merz auf dem Maschinenbaugipfel. Aber auch hier dämpfte er Erwartungen an schnelle Lösungen mit Verweis auf ein hartes Ringen mit dem Koalitionspartner SPD. Bei den anwesenden Unternehmern wiederum lief Merz damit offene Türen ein. „Ein Sozialstaat, dessen Abgabenquote immer mehr in Richtung 50 Prozent steuert, ist nicht haltbar“, heißt es beim VDMA. Man werde um harte Maßnahmen nicht herumkommen.

Außenpolitisch wiederum drängt der Maschinenbauverband, dessen Unternehmen rund drei Viertel ihrer Umsätze jenseits der Grenze erwirtschaften, auf neue Freihandelsabkommen. So müsse die EU das Mercosur-Abkommen mit den südamerikanischen Staaten, über das seit mittlerweile 20 Jahren verhandelt wird, endlich in Kraft setzen. Zudem nannte Kawlath Indien und Indonesien als Wunschpartner für weitere Vereinbarungen. Dass Merz in diesem Punkt auf seiner Linie ist und sich „mit Nachdruck“ für eine „Diversifizierung von Handelsbeziehungen“ einsetzen will, nahm der Unternehmer wohlwollend zur Kenntnis.

Ebenso, dass der Kanzler sich einem Austausch mit einem wütenden Auditorium gestellt hat auf dem Kongress. Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche indes hat sich ebenso entschuldigen lassen wie Digitalminister Karsten Wildberger (beide CDU) und Bundesfinanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD).

Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und Business Insider erstellt.

Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie Mittelstandsunternehmen.

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