Europas größter Luftfahrtkonzern soll künftig von einem Nicht-Airliner kontrolliert werden. Wie das Unternehmen am Dienstagnachmittag mitteilte, wolle Lufthansa-Aufsichtsratschef Karl-Ludwig Kley im kommenden Jahr vorzeitig das Amt niederlegen. An seiner statt soll auf Empfehlung des Nominierungsausschusses der bald 66-jährige Manager Johannes Teyssen auf der Lufthansa-Hauptversammlung am 12. Mai 2026 zur Wahl in den Aufsichtsrat vorschlagen werden.
Dass Kley altersbedingt vorzeitig ausscheiden wollte, war schon länger bekannt. Doch mit der Nominierung des früheren Eon-Chefs bricht die Lufthansa zugleich mit einer Tradition, nach der der Kranich-Konzern dreißig Jahre lang stets von früheren Lufthansa-Vorständen beaufsichtigt wurde. Nun kommt ein Kontrolleur ohne tiefere Branchenkenntnis, aber dafür auch ohne Stallgeruch. Und Veränderung ist möglicherweise genau das, was die Lufthansa-Anteilseigner erwarten.
Mit der Spitzenpersonalie endet bei der Lufthansa eine jahrelange, fast schon qualvolle Kandidatensuche. Bereits 2023 wollte sich der amtierende Oberaufseher Kley – damals schon 71-jährig – eigentlich nicht mehr für eine weitere Amtszeit zur Verfügung stellen. Mittlerweile blickt er auf 13 Jahre im Aufsichtsrat zurück, davon die letzten acht als Vorsitzender. Kley zählte zu den entscheidenden Köpfen, die die Fluggesellschaft halbwegs unbeschadet durch die Corona-Pandemie führten.
Einen Nachfolger von vergleichbarem Format zu finden, fiel den Lufthanseaten schwer. Als Wunschkandidat galt lange der frühere Airbus-Chef und Lufthansa-Aufsichtsrat Tom Enders, dem allerdings insbesondere auf Arbeitnehmerseite nachgetragen wurde, dass er sich während der Pandemie gegen eine Rettung der Lufthansa mit Staatsgeld ausgesprochen hatte. Im Frühjahr dieses Jahres verließ Enders den Lufthansa-Aufsichtsrat und beendet damit auch die Spekulationen über seine Chefrolle.
Mit Johannes Teyssen präsentiert Kley nun einen spektakulären Nachfolger. Teyssen eilt aus seiner Zeit als Eon-Chef der Ruf eines harten Hundes und eher unangenehmen Chefs nach. Auch außerhalb des Unternehmens scheute der konfliktfreudige Manager nicht vor ironisch-scharfen Bemerkungen zurück und mokierte sich öffentlich über die deutsche „Gruselbürokratie“ oder den in seinen Augen falschen Atomausstieg.
Kley und Teyssen kennen sich gut. Als Aufsichtsratsvorsitzender von Eon arbeitete Kley jahrelang mit dem damaligen CEO Teyssen zusammen. In die gemeinsame Zeit fiel die spektakuläre Umstrukturierung des deutschen Energiesektors. Sie zählten zu den Architekten des historischen Energie-Deals, aus dem Eon als beherrschender Netzbetreiber Deutschlands hervorging. Einher gegangen waren tiefe Einschnitte im Unternehmen, darunter die Trennung vom gesamten Kraftwerksgeschäft.
Kompromissloser Reformer
Sein Ruf als kompromissloser Reformer dürfte Teyssen beim Marsch durch die Aktionärs-Institutionen helfen. Dem Vernehmen nach genießt der designierte Chefkontrolleur auch das Vertrauen des Mannes, der bei der Lufthansa kein Amt bekleidet, aber dennoch hinter den Kulissen bei allen wichtigen Entwicklungen ein Wörtchen mitredet: Hauptaktionär Klaus-Michael Kühne.
Kühne hatte im vergangenen Jahr intern, aber auch teilweise auch öffentlich harsche Kritik an Lufthansa-Vorstandschef Carsten Spohr geübt. Neben der Aktienentwicklung zeigte er sich vor allem unzufrieden mit der Performance der Kernmarke Lufthansa. Während Konzerntöchter wie Eurowings oder Swiss sowie Lufthansa Cargo und Technik zuletzt regelmäßig starke Zahlen ablieferten, flog ausgerechnet die Kernmarke mit dem Kranich auf dem Leitwerk ebenso zuverlässig Verluste ein und enttäuschte immer wieder bei der Zuverlässigkeit.
Wohl auch auf Drängen Kühnes und anderer Aktionäre, steuert Spohr die Lufthansa nun in einen tiefgreifenden Reformprozess, der intern „Matrix Next Level“ (MNL) heißt und in weiten Konzernteilen kaum einen Stein auf dem anderen lassen wird. Im Wesentlichen geht es darum, die bislang weitgehend eigenständigen Tochter-Airlines Austrian, Swiss, Bruxelles sowie zukünftig vermutlich auch die kürzlich erworbene ITA so weit wie möglich in die Lufthansa zu integrieren.
Alle übergeordneten Bereiche wie das Management der Flughafen-Drehkreuze, Technologie sowie Personal und Finanzen sollen künftig von einem zentralen Funktionsboard gesteuert werden.
So will Spohr den Konzern effizienter machen und Jahre nach den Airline-Akquisitionen endlich die Synergien heben. Nicht alle Entscheidungen sollen zukünftig in der Zentrale in Frankfurt getroffen werden. Einige Funktionsboard-Entscheider sollen auch zum Beispiel in Zürich oder Wien angesiedelt werden. Aber in jedem Fall wird „Matrix Next Level“ dazu führen, dass beim Lufthansa-Konzern viele hochgestellte Manager, wenn schon nicht den Job, so doch an Macht verlieren werden.
Mit seinem voraussichtlichen neuen Chefaufseher dürfte Spohr für sein Reformvorhaben den richtigen Sparringspartner haben. Teyssen bewies in der Vergangenheit, dass er auch zur Härte gegen sich selbst fähig ist. In Interviews gab der frühere Konzernlenker bereits im gehobenen Alter an, sich durch regelmäßiges Joggen und Essen aus der Tupperdose 30 Kilogramm herunter gehungert zu haben. Den Gürtel enger schnallen kann Teyssen also – und erwartet es nun vermutlich auch von den Lufthanseaten.
Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und „Business Insider Deutschland“ geschrieben.
Steffen Fründt ist Wirtschaftskorrespondent der WELT-Gruppe und berichtet über Unternehmen aller coolen Mobilitätsbranchen als da wären Luftfahrt, Fahrradindustrie, Laufen sowie Tourismus.
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