Noch stehen die Termine für die angekündigten Stahl- und Autogipfel bei Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) nicht fest. Aber die Forderungen von Unternehmen und Arbeitnehmern an die Politik werden bereits immer lauter. Nun verlangt die Gewerkschaft IG Metall eine deutliche Abschottung der hiesigen Industrie gegenüber der Konkurrenz aus dem Ausland – vor allem, um die Stahlhersteller zu schützen.

„Die Industrie ist im Krisenmodus“, sagte Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall, auf einer Veranstaltung der Gewerkschaft in Berlin. Innerhalb eines Jahres seien 114.000 Beschäftigte abgebaut worden. „Vor diesem Hintergrund treibt mich die Frage um: Kann Demokratie ohne Wachstum überleben?“

Christiane Benner, die Vorsitzende der Gewerkschaft, stellte fest, dass sich die Stimmung in den Betrieben nicht verändert habe seit dem Amtsantritt der neuen Bundesregierung. Es herrschten Zweifel an der Politik und dem Funktionieren der Demokratie. Statt drastischer Brüche, dem Verlust von Wertschöpfung und Wohlstand wolle man lieber keine Experimente, sagte Kerner. „Die Menschen erwarten Lösungen.“

Angst vor Dumpingstahl aus China und Russland

Zu den Lösungen, die sich die Gewerkschaft wünscht, zählen verlängerte Schutzmaßnahmen für die Stahlindustrie. Bis Mitte kommenden Jahres gelten strenge Einfuhrbeschränkungen für Stahl in die EU. Die Diskussion über mögliche Regeln im Anschluss laufen. Von der Bundesregierung erwarte man nun ein „gemeinsames Auftreten in Richtung Handelsschutz“, sagte Kerner. „Wenn wir keine wirksamen Mechanismen bekommen gegen Dumpingstahl aus China, Stahl aus Russland – den es nach wie vor gibt –, dann müssen wir die anderen Themen nicht mehr diskutieren.“ Dann sei die Industrie in Deutschland und Europa verloren. Auch Konzerne wie Thyssenkrupp Steel drängen auf höhere Zölle und Einfuhrquoten.

Innerhalb der EU strebt die Gewerkschaft staatliche Auflagen an, die einheimische Produkte gegenüber importierten bevorzugen, sogenannte Local Content Klauseln. Diese Regeln könnten beispielsweise bei öffentlichen Bauprojekten gelten, oder auch in der Autoindustrie, wo man chinesische Hersteller wie BYD dazu zwingen könnte, Zulieferteile aus Europa für ihre hier geplanten Montagewerke zu verwenden.

Wenn aus dem Infrastruktur-Sondervermögen der Bundesregierung nun die Sanierung von Brücken oder Bahnstrecken finanziert werden, wären aus Sicht der IG Metall solche Local Content Vorgaben sinnvoll. „Wir haben keine einzige Produktion mehr für Gleise in Deutschland. Aber mit einem Zehn-Jahres-Paket könnte man so etwas wieder aufziehen und ,grüne‘ Gleise produzieren“, sagte Kerner mit Blick auf die Bahn-Sanierung. Die Bahn könnte mit CO₂-frei produziertem Stahl zugleich ihre größte Nachhaltigkeits-Investition für Jahrzehnte schaffen.

Aus der Politik gibt es Signale, dass solche Regelungen tatsächlich eingeführt werden könnten. Der Ökonom Jens Südekum, persönlicher Berater von Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD), sagte, er „hätte keine Scheu“ vor Local Content Klauseln: „Soweit ich weiß, zahlen chinesische Stahlwerke nicht nach Tarif.“

Laut der Generaldirektorin der EU-Kommission für den Binnenmarkt, Kerstin Jorna, arbeitet die EU bereits an solchen Regeln. Bei öffentlichen Bau-Ausschreibungen beispielsweise wolle man einen bestimmten Anteil des verwendeten Materials für in Europa produzierte Produkte vorbehalten. Die EU befinde sich in einer Zangenbewegung zwischen den USA und China, sagte Jorna. „Wenn man in der Zange ist, muss man seine Muskeln spielen lassen.“

Für den Autogipfel hatte die IG Metall vor zwei Wochen bereits zusammen mit dem Verband der Automobilindustrie (VDA) einen Forderungskatalog vorgelegt. In der Regierungskoalition allerdings versucht man, die Erwartungen an das Treffen herunterzuschrauben. Offiziell spricht man von einem „Autodialog“. Große Subventionspakete wie einst zu Zeiten von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sind wohl nicht zu erwarten. Damals war der „Umweltbonus“ für den Kauf von E-Autos auf einem solchen Gipfel beschlossen worden. Jetzt hoffen Industrie und Gewerkschaft auf weitere Hilfen für die Elektromobilität, in die die Unternehmen bereits Milliarden investiert haben.

Wie lange die Einigkeit mit den Arbeitgebern noch hält, ist nicht abzusehen. Kerner erntete Applaus von den 250 anwesenden Betriebsräten, als er sagte, die IG Metall müsse „wieder konfliktfähiger werden“ und der Erhalt von Arbeitsplätzen müsse wieder in den Vordergrund rücken. In Krisensituationen sei die Gewerkschaft immer zu Kompromissen bereit, sagte er später. „Wir erleben aber momentan auch Arbeitgeber, bei denen geht die Krisenstimmung los, wenn die Marge unter zehn Prozent fällt. Wenn dann diskutiert wird, dass es Abbau und Verzicht geben muss – das ist aus unserer Sicht unanständig.“

Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und Business Insider erstellt.

Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur in Berlin und berichtet für WELT über Wirtschafts- und Energiepolitik, Digitalisierung und Staatsmodernisierung.

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