Der frühere deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen spricht sich für eine schnellere Vereinfachung europäischer Gesetze aus. „Ich habe bisher nicht den Eindruck, dass die aktuelle Kommission den Abbau von Bürokratie ernsthaft betreibt“, sagt er WELT AM SONNTAG bei einem Treffen in Brüssel. „Es ist so eine Idee, die Ursula von der Leyen gern präsentiert, aber steht sie wirklich dahinter? Setzt sie das wirklich um? Ich habe meine Zweifel.“
Verheugen war unter Präsident Romano Prodi EU-Kommissar für Erweiterung und anschließend bis 2010 unter José Manuel Barroso Kommissar für Industrie. Er stieß eine der ersten großen Initiativen zur Entbürokratisierung in Europa an.
Heute kritisiert Verheugen die große Zahl europäischer Gesetze. „Viele Menschen haben das Gefühl, dass von Brüssel aus anonyme Kräfte in ihr Leben eingreifen“, sagt er. „Und da ist ja auch was dran.“ Ein Übermaß an Bürokratie, meint er, sei ein entscheidender Grund für die wachsende Skepsis gegenüber der EU. „Ich würde der Kommission bei der Regulierung daher deutlich mehr Zurückhaltung empfehlen.“
Verheugen fürchtet, dass es in der Behörde von der Leyens Widerstand gegen den Abbau von Bürokratie geben könnte. „Jede neue Verordnung, jede neue Richtlinie bringt der Kommission zusätzliche Kompetenzen“, sagt er. Die Vereinfachung von Regulierung sei vollkommen konträr zu den Interessen der Institution. „An Gesetzen hängen Karrieren von Beamten“, so Verheugen. „Sie dürften wenig Motivation haben, ihr eigenes Schaffen infrage zu stellen.“
Stefan Beutelsbacher ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet über die Wirtschafts-, Handels- und Klimapolitik der EU. Zuvor war er US-Korrespondent in New York.
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