Berater von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) sehen Deutschland in einer „erheblichen Strukturkrise“ und fordern die Politik zu mehr Mut bei grundlegenden Reformen auf. Ohne Kurswechsel drohten eine schleichende Deindustrialisierung, steigende Verteilungskonflikte und der Verlust internationaler Wettbewerbsfähigkeit, heißt es in einem Papier. Der Ökonom Justus Haucap, sagte mit Blick auf die Politik, nicht jedem bewusst, wie es um den Standort Deutschland stehe. Es komme nicht nur darauf an, dass die Stimmung besser werde.

Deutschland steckt in einer langen Phase der Wachstumsschwäche. Wirtschaftsverbände sehen seit langem strukturelle Gründe wie im internationalen Vergleich hohe Energiekosten und Steuern, steigende Sozialabgaben und zu viel Bürokratie. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) setzt auf einen Stimmungsumschwung vor allem in der Wirtschaft. Er hat außerdem einen „Herbst der Reformen“ angekündigt. Geplant ist unter anderem eine Reform des Bürgergelds. Zur Zukunft zum Beispiel der Rente hat die Regierung Kommissionen eingesetzt.

Reiche hatte zur wirtschaftspolitischen Beratung einen Beraterkreis einberufen. Dazu gehören neben Haucap vom Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie an der Heinrich-Heine-Universität die „Wirtschaftsweise“ Veronika Grimm, dazu Stefan Kolev, wissenschaftlicher Leiter des Ludwig-Erhard-Forums für Wirtschaft und Gesellschaft in Berlin und der frühere „Wirtschaftsweise“ Volker Wieland.

Berater schlagen „Wachstumsagenda“ vor

Seit Jahren stagniere in Deutschland die Wirtschaftsleistung, während vergleichbare Volkswirtschaften deutlich dynamischer wachsen, heißt es im Papier des Beraterkreises. Als Hauptursachen genannt werden ein zu geringes Wachstum der Produktivität, strukturelle Demografieprobleme, Investitionsschwäche sowie eine überbordende Regulierung.

Konkret schlagen die Wissenschaftler vor, Regulierungen zu entschlacken – vom Datenschutz bis zum Baurecht. Sozialsysteme müssten reformiert werden.

Die Ökonomen sprechen sich unter anderem für ein höheres Renteneintrittsalter aus. Auch Reiche hatte gefordert, die Deutschen müssten länger arbeiten. Ihre Berater nennen als Beispiel Dänemark, wo das Renteneintrittsalter bis 2040 auf 70 Jahre ansteige.

Die Ökonomen plädieren außerdem dafür, den Strukturwandel nicht aufzuhalten, sondern zuzulassen. Das Ziel sollte nicht zwingend darin liegen, bestehende Unternehmen und Industrien durch staatliche Unterstützung wettbewerbsfähig zu machen, sondern einen „wachstumsorientierten Strukturwandel“ zu ermöglichen. Grimm sagte, es gehe darum, Technologieführerschaft in wichtigen Branchen zu erreichen. Sie nannte die Bio- und Medizintechnologie, aber auch die Nukleartechnologie. Firmen würden aber durch regulatorische Barrieren Stein in den Weg gelegt.

Kritisch äußerte sich der Beraterkreis zu Spitzenrunden von Politik und Wirtschaft etwa für Stahl oder Automobilwirtschaft. Am Tisch sitzen würden dort „Privilegierte“, die häufig ähnliche Interessen hätten. „Runde Tische sind gefährliche Möbel“, warnte Kolev.

Die Mitglieder des Gremiums kritisierten auch den Anstieg der Sozialausgaben. Dies sei angesichts der Wachstumsschwäche und zugleich steigender Kosten im Bereich Verteidigung nicht mehr finanzierbar, außer durch ein deutlich höheres Wirtschaftswachstum, sagte Gremiumsmitglied Volker Wieland.

Reiche erwartet Rückgang der Arbeitslosenquote

Die Wirtschaftsministerin geht derweil von einem leichten Rückgang der Arbeitslosenquote in den kommenden Jahren aus, wie die Nachrichtenagentur Reuters mit Verweis auf Insider-Kreise berichtet. Die Regierung rechnet demnach für 2026 mit einer Arbeitslosenquote von 6,2 Prozent, die im Jahr darauf auf 6,0 Prozent sinken soll. Für das laufende Jahr wird eine Arbeitslosenquote von 6,3 Prozent erwartet. Das wäre der dritte jährliche Anstieg in Folge. Die Arbeitslosenzahl dürfte den Annahmen zufolge erst 2027 deutlich auf rund 2,8 Millionen im Jahresdurchschnitt sinken.

In der Herbstprojektion geht die Regierung für die kommenden Jahre von einem spürbaren Wirtschaftswachstum um 1,3 Prozent (2026) und 1,4 Prozent (2027) aus. Getragen wird der Aufschwung nach Einschätzung der Regierung den Insidern zufolge unter anderem von einer deutlichen Zunahme der Bruttoanlageinvestitionen um preisbereinigt 3,7 Prozent (2026) und 4,2 Prozent (2027). Für 2025 wird noch ein Rückgang um 0,5 Prozent prognostiziert.

Vom Außenhandel rechnet die Regierung dagegen weiterhin mit geringen Impulsen. Die Exporte dürften demnach um 1,2 Prozent (2026) und 1,6 Prozent (2027) zulegen. Noch stärker steigen aber die Importe mit jeweils 2,6 und 2,1 Prozent. Die Inflation bleibt nach Einschätzung der Regierung in den beiden Jahren mit 2,0 und 2,2 Prozent auf einem stabilen Niveau, nach 2,1 Prozent für 2025.

Mini-Wachstum für laufendes Jahr erwartet

Für das laufende Jahr rechnet Reiche nach zwei Jahren der Rezession mit einem Mini-Wachstum um 0,2 Prozent. Im vergangenen Jahr schrumpfte die Wirtschaft um 0,5 Prozent. Die neue Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD hatte gleich zu Beginn einen 500-Milliarden-Euro-Sonderetat für Investitionen in Infrastruktur und Klimaneutralität aufgelegt und Steuererleichterungen für Unternehmen beschlossen. Erklärtes Ziel ist die Belebung der Wirtschaft.

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