Die Regierung der Niederlande entzieht einem chinesischen Eigner die Kontrolle über einen europäischen Chipproduzenten. Das Unternehmen steht schon länger im Fokus von politischen Kontroversen, auch in Deutschland.
Seit 1952 gibt es in den Niederlanden das "Wet beschikbaarheid goederen", das "Güterverfügbarkeitsgesetz". Es gibt der Regierung weitreichende Möglichkeiten die Verfügbarkeit wichtiger Güter beispielsweise im Fall von Naturkatastrophen oder im Krieg sicherzustellen und dazu die Kontrolle auch über private Unternehmen zu übernehmen. Erstmals angewandt hat das niederländische Kabinett die Regel nun allerdings nicht, um die Versorgung der Bevölkerung im Krisenfall zu sichern, sondern die der europäischen Industrie mit Mikrochips im Handelskonflikt mit China. Das Wirtschaftsministerium gab am Sonntag bekannt, dass es auf Grundlage des Gesetzes die Kontrolle über den Chiphersteller Nexperia übernommen habe, ein niederländisches Unternehmen im Besitz des teilstaatlichen, chinesischen Konzerns Wingtech.
Seit Jahren steht die Halbleiterindustrie im Fokus eines Konflikts zwischen China einerseits sowie den USA und weiteren westlichen Staaten andererseits. Die USA haben schon unter US-Präsident Joe Biden die Lieferung neuester Chipgenerationen und der zu ihrer Herstellung benötigten Technologie nach China verboten. Sein Nachfolger Donald Trump hat diese Bestimmungen verschärft.
Die Niederlande spielen eine wichtige Rolle in dem Konflikt, da sie Heimat des Unternehmens ASML sind, dessen Maschinen für die Produktion modernster Chips unersetzlich sind. Nexperia, das in seinen europäischen Werken Chips unter anderem für die hiesige Automobilindustrie herstellt, steht seit Jahren unter dem Verdacht, kritische Technologie und Wissen zum Mutterkonzern in China zu transferieren. Mit diesem Argument hatte die Bundesregierung vor einigen Jahren Nexperia in Deutschland teilweise von der Förderung von Forschungsprojekten ausgeschlossen. In Großbritannien musste Nexperia den Kauf einer Chipfabrik rückgängig machen.
Chinesischer Chef suspendiert
Das Unternehmen hat in beiden Fällen den Verdacht vehement zurückgewiesen. Das deutsche Management beklagte eine Diskriminierung aufgrund politischer Vorbehalten. Britische Angestellte protestierten damals ebenfalls, dass ihre Arbeitsplätze aus politischen Gründen aufs Spiel gesetzt würden. Ende vergangenen Jahres hatte die US-Regierung die Nexperia-Mutter Wingtech auf ihre Liste chinesischer Firmen und Institutionen gesetzt, die keinen Zugang zu amerikanischer Technologie haben dürfen.
Die niederländische Regierung geht mit der, wie sie selbst formuliert, "höchst außergewöhnlichen" Anwendung des Güterverfügbarkeitsgesetzes einen Schritt weiter. Wie sie jetzt mitteilte, verfügte sie bereits Ende September, dass Nexperia ein Jahr lang "keinerlei Änderungen an seinen Vermögenswerten, seinem geistigen Eigentum, seiner Betriebsführung oder seinem Personal" vornehmen dürfe.
Ein möglicher Technologietransfer wäre damit unterbunden. Wenige Tage später suspendierte ein Gericht den Gründer und Chef von Wingtech, Zhang Xuezheng, als Vorstandschef bei zwei Nexperia-Gesellschaften in den Niederlanden. Das Unternehmen soll unter die Führung eines vom Gericht bestellten Treuhänders gestellt werden.
Hilfsappell an Regierung in Peking
Das Wirtschaftsministerium begründete seinen Schritt mit "schwerwiegenden Verwaltungsmängeln und Maßnahmen" bei Nexperia. Diese gefährdeten den "Fortbestand und die Sicherung wichtiger technologischer Kenntnisse und Fähigkeiten auf niederländischem und europäischem Boden". Das wiederum sei ein Risiko für die "niederländische und europäische Wirtschaftssicherheit" und die Wertschöpfungsketten unter anderem der Automobilindustrie.
Was für Mängel oder Maßnahmen genau bei Nexperia das Einschreiten der Regierung auslöste, geht aus der Erklärung des Ministeriums nicht hervor. In niederländischen Medienberichten ist jedoch die Rede davon, dass zuletzt Unternehmenschef Zhang europäische Manager beiseitegedrängt und bei wichtigen Entscheidungen außen vor gelassen haben. Der reibungslose Betrieb sei gefährdet gewesen. Daraufhin hätten sich führende europäische Manager an die Justiz gewandt.
Die niederländische Regierung betont, dass es sich bei den Vorgängen bei Nexperia um einen außergewöhnlichen Einzelfall handele. Der Mutterkonzern Wingtech stellt das niederländische Vorgehen jedoch in einen politischen Zusammenhang. In einer Mitteilung heißt es, die Zwangsmaßnahmen seien "getrieben von geopolitischer Voreingenommenheit, nicht von einer faktenbasierten Risikoeinschätzung". Wingtech richtete einen Hilfsappell an die Regierung in Peking.
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