Hätten sich CDU und CSU in den Koalitionsverhandlungen im Frühjahr durchgesetzt, würde die SPD-Politikerin Reem Alabali Radovan nicht vor dem Weißen Haus in Washington stehen, nicht neben Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD), nicht umringt von einer Traube von Journalisten. Denn dann gäbe es ihr Ministerium, das für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz BMZ, gar nicht mehr. Es wäre aufgegangen im Auswärtigen Amt. So wollte es die Uni0n.
Jetzt steht Alabali Radovan da und wird gefragt nach den Wiederaufbauhilfen für Gaza, nach möglichen Sanktionen gegen Syrien, nach Kürzungen ihres Etats im Bundeshaushalt. Sie erwähnt den anstehenden Wiederaufbau in der Ukraine und die wichtige Rolle der Weltbank bei der Entwicklung vieler Länder. Sie antwortet ruhig und klar. Ohne viel Pathos. Sie weiß, wovon sie spricht, so der Eindruck. Von Aufregung ist wenig zu spüren.
Das ist nicht selbstverständlich. Dass die Entwicklungsministerin überhaupt gemeinsam mit dem Finanzminister zu Beginn der gleichzeitigen Jahrestagungen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor die Presse trat, war ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher war, dass die Journalisten Alabali Radovan fast genauso viele Fragen stellten wie Vizekanzler Klingbeil.
Mit dem Friedensabkommen und der Freilassung der israelischen Geiseln ist das öffentliche Interesse an der Arbeit der mit 35 Jahren jüngsten Ministerin im Kabinett von Friedrich Merz (CDU) schlagartig gestiegen. Alabali Radovan, geboren 1990 in Moskau, Kind einer irakischen Familie, war in der vergangenen Legislaturperiode Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration. Sie soll den deutschen Beitrag zum Wiederaufbau des Gaza-Streifens organisieren und die angedachte Geberkonferenz in Ägypten mit vorbereiten. Aus ihrem Etat wird der Großteil der deutschen Hilfen kommen.
Während der Weltbanktagung nannte Alabali Radovan erstmals eine Zahl. „200 Millionen Euro sind Mittel aus dem Haushalt des BMZ, die für den Wiederaufbau in Gaza eingesetzt werden können – wenn die Lage es zulässt“, sagte sie am Donnerstag. Der überwiegende Teil der Mittel war nach dem Terrorakt der Hamas vor zwei Jahren eingefroren worden und soll nun genutzt werden.
Wann das Geld fließen wird, ist allerdings offen. Für einen Wiederaufbau brauche es zunächst Zeichen für einen nachhaltigen Frieden, für eine stabile politische Situation, sagte Alabali Radovan. Die sehe sie aktuell nicht. „Gerade in diesen Stunden ist klar, die Hamas darf keine Zukunft mehr in Gaza spielen. Die Hamas muss entwaffnet werden.“ Die Bilder von öffentlichen Hinrichtungen von Palästinensern durch die Terrororganisation sind zu diesem Zeitpunkt erst wenige Stunden alt.
Projekte von KfW und Unicef
Sie ist sich bewusst, dass nicht wenige in Deutschland die geplanten Hilfen für den Gaza-Streifen kritisch sehen. Es gibt die Sorge, dass mit den Steuermitteln am Ende die nächsten Attacken gegen Israel finanziert werden könnten. Diesen Einwand versuchte die Ministerin mit einem Hinweis darauf zu zerstreuen, wofür die 200 Millionen Euro eingesetzt werden könnten. „Da geht es um konkrete Projekte wie die Wasserversorgung, hinter denen vertrauenswürdige Institutionen wie die Förderbank KfW oder UN-Organisationen wie Unicef stehen.“
Wie viele Mittel Deutschland in fernen Ländern für welche Projekte ausgibt, ist für Alabali Radovan der zentrale Punkt ihrer Arbeit, über die Gaza-Frage hinaus. Die Vorgabe des Koalitionspartners ist: weniger als bisher. Konnte Vorgängerin Svenja Schulze (SPD) im vergangenen Jahr noch über 11,2 Milliarden Euro verfügen, stehen für Alabali Radovan in diesem Jahr 10,3 Milliarden Euro bereit. Bis 2029 soll der Etat schrittweise um eine weitere Milliarde schrumpfen. Das ist aus Sicht der SPD das Zugeständnis dafür, dass sie das Ministerium eigenständig halten konnte.
„Ja, die Kürzungen im Etat des BMZ sind schmerzhaft, das habe ich mehrfach gesagt. Mir ist es jetzt aber auch wichtig, nach vorn zu blicken“, sagte die Ministerin in Washington. Auch mit Blick auf die Vorbehalte des Koalitionspartners beschrieb sie den geänderten Ansatz: „Wir geben nicht altruistisch Steuergeld in die Welt, sondern es geht auch um unsere eigenen Interessen – um unsere Sicherheit, Frieden und Wohlstand.“
Dabei gehe es auch um Partnerschaften auf Augenhöhe. Beide Seiten müssten etwas davon haben. „Lars Klingbeil und ich sind uns einig, dass dies nur mit langfristigen, strategischen Partnerschaften gehen kann.“ Beim Ringen um Seltene Erden beispielsweise, jene Rohstoffe, die für die Produktion von Smartphones und Batterien unerlässlich sind, ist Deutschland beispielsweise auf andere Länder angewiesen.
Schon in den vergangenen Monaten wies der SPD-Vorsitzende darauf hin, dass die Bundesregierung alle Möglichkeiten nutzen müsse, um in Zeiten internationaler Umbrüche Partnerschaften zu stärken. Vertreter aus Europa bekämen seit Jahren bei Besuchen in Afrika und Südamerika zu hören, dass die Chinesen und die Russen schon da waren.
In Washington traten beide Minister auch aus diesem Grund nicht nur vor dem Weißen Haus gemeinsam auf. Auch beim Internationalen Währungsfonds – eigentlich nicht das Gebiet einer Entwicklungsministerin – zeigte sich Reem Alabali Radovan an der Seite von Lars Klingbeil. Sie sagten dem IWF gemeinsam zusätzliche Mittel in Höhe von 17,5 Millionen Euro für den Ausbau der Finanzverwaltungen in Entwicklungsländern zu, für fairere Steuersysteme und den Kampf gegen illegale Finanzflüsse.
Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und Business Insider erstellt.
Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.
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