Hamburg soll fünf Jahre früher als bislang geplant klimaneutral werden – und zwar bereits 2040 statt 2045. Beim „Hamburger Zukunftsentscheid“ hat sich am Sonntag die Mehrheit derjenigen, die ihre Stimme abgegeben haben, dafür ausgesprochen. Die Entscheidung hat schwerwiegende Folgen – für die Stadt, für den Senat, für die Industrie und für die Menschen in der Hansestadt. Vor allem für den Wohnungsmarkt, der zum CO₂-intensiven Gebäudesektor zählt, hat die Entscheidung Folgen, deren Umfang noch kaum absehbar sind. WELT fragte bei Andreas Breitner, dem Direktor des Verbands Norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), nach, was der Entscheid für die Zukunft des Wohnens in Hamburg bedeutet.

WELT: Herr Breitner, beim Hamburger Zukunftsentscheid hat sich entschieden: Die Stadt verpflichtet sich, fünf Jahre früher als bisher geplant klimaneutral zu werden. Sie haben monatelang vor diesem Szenario gewarnt. Warum?

Andreas Breitner: Wir machen uns vor allem um die Stabilität der Mieten Sorgen. Dass diese auch steigen werden, damit Hamburg 2045 klimaneutral sein wird, ist unbestritten. Fünf Jahre früher bedeutet jetzt aber eine „Sonderumlage“ der Hamburger. Um nicht falsch verstanden zu werden: VNW-Unternehmen sind sogenannte Bestandshalter. Sie vermieten ihre Wohnung über viele Jahrzehnte zu bezahlbaren Preisen. Nachhaltigkeit gehört sozusagen zu ihrer DNA. Aber eben auch die Bezahlbarkeit von Wohnraum. Und die sehen wir jetzt gefährdet.

WELT: Die Initiative betont allerdings, dass viele der geforderten Maßnahmen – etwa Sanierungen im Gebäudebereich oder Investitionen in Verkehr und Energie – ohnehin notwendig seien. Der Zukunftsentscheid ermögliche nun eine planbare und sozial gerechte Umsetzung.

Breitner: Viele VNW-Unternehmen sind mehr als 100 Jahre alt. Es ist daher selbstverständlich, dass soziale Vermieter ihre Bestände permanent in Schuss halten und das entsprechend planen. Allerdings: Wenn der Zeitraum für Investitionen verkürzt wird, dann steigen die Kosten. Das ist eine einfache ökonomische Regel. Und was die Planbarkeit angeht: Unsere Unternehmen rechnen seit einigen Jahren mit Klimaneutralität im Jahr 2045. Jetzt müssen sie ihre Pläne anpassen. Aber wie, ist auch noch unklar, weil die Umsetzung des Volksentscheids an Bundes- und EU-Regelungen hängt. Also von Verlässlichkeit und Planbarkeit kann jetzt wirklich keine Rede mehr sein.

WELT: Der Slogan Ihres Verbands lautet „Vermieter mit Werten“. Was bedeutet der Ausgang des Entscheids konkret für die Unternehmen, die sich in Ihrem Verband zusammengeschlossen haben?

Breitner: Unsere Unternehmen haben ausgerechnet, dass zum Erreichen von Klimaneutralität im Jahr 2045 die Mieten im Durchschnitt um 3,50 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche steigen müssen. Durch das Vorziehen auf 2040 kommen bis zu einem Euro pro Quadratmeter hinzu. Insgesamt gehen die Mieten also um bis zu 4,50 pro Quadratmeter hoch. Ein Teil kann sicher durch die öffentliche Förderung ausgeglichen werden. Aber Hamburg kann nicht alles „wegfördern“. Derartige Mietsteigerungen bringen unsere Unternehmen von ihrem Selbstverständnis her in Bedrängnis. Mal abgesehen davon, dass viele Bewohner finanziell erheblich belastet werden. Das wird in den kommenden Jahren nicht einfach – für unsere Unternehmen nicht, aber auch nicht für die Mieter.

WELT: Wen am Wohnungsmarkt wird die Beschleunigung auf dem Weg zur Klimaneutralität am härtesten treffen?

Breitner: Jene Menschen, die schon jetzt jeden Euro zweimal umdrehen müssen. Das ist das, was mich am meisten geärgert hat: Dass Unterstützer des Volksentscheids, wie beispielsweise der Mieterverein zu Hamburg, so getan haben, als würde das Vorziehen von Klimaneutralität die Mieter nichts kosten. Das war eine bewusste Irreführung – und sozial ungerecht. Wohlhabende werden die Mehrkosten wuppen können – Haushalte mit geringem Einkommen nicht.

WELT: Dieser Mieterverein bezichtigt jetzt Ihren Verband, mit „Horrorszenarien von Mehrkosten für Mieter und Eigentümer Zukunftsängste ausgelöst“ zu haben.

Breitner: Das erinnert mich an den Spruch „Haltet den Dieb, er hat mein Messer im Rücken!“ Unsere Zahlen basieren auf den Berechnungen unserer Unternehmen – und ich vertraue den Vorständen und Geschäftsführern von VNW-Unternehmen mehr als dem ideologisch motivierten Gerede des Mietervereins. Im Übrigen haben wir uns die ganze Zeit über gefragt, was den Vereinsvorsitzenden getrieben hat, die Interessen der Mieter derart zu vernachlässigen. Heute kam dann dafür per Medieninfo die Antwort des Mietervereins: „Die Lage wird schwierig, werden Sie bei uns Mitglied.“

WELT: Was lesen Sie aus den Ergebnissen heraus, wenn Sie die einzelnen Wahlbezirke miteinander vergleichen?

Breitner: Es fällt auf, dass die Initiatoren des Volksentscheids in Stadtvierteln, in denen sie viel plakatiert hatten, besonders erfolgreich waren. Das sind zugleich jene Quartiere, in denen viele Mieter leben. Es ist den Initiatoren also mit dem Einsatz von mehr als einer Million Euro gelungen, diese Menschen in trügerischer Sicherheit zu wiegen, dass die Mehrkosten entweder weggefördert oder von den Vermietern allein getragen werden. Ich fürchte, es wird gerade in diesen Quartieren ein böses Erwachen geben. Jene Vermieter, die bislang noch nicht alle rechtliche Möglichkeiten einer Mieterhöhung ausgenutzt haben, werden das jetzt tun müssen, weil sie sonst pleitegehen.

WELT: Was bedeutet es mit Blick auf die Verfügbarkeit von Arbeitskräften, Kapazitäten und Baumaterial, wenn die Klimaneutralität jetzt fünf Jahre schneller erreicht werden soll?

Breitner: Der bereits bestehende Mangel an Fachkräften wird sich verschärfen, weil gar nicht so viele aus- bzw. nachausgebildet werden können, wie notwendig sind. Die Hamburger Handwerkskammer hatte kurz vor dem Wahltag gewarnt: Das vorgezogene Ziel 2040 ist utopisch. Zum anderen regelt das der Markt auf die ihm eigene Weise: Es wird teurer werden und die Kosten von Klimaneutralität noch weiter nach treiben.

WELT: Die FDP warnt vor einer unbezahlbaren 40-Milliarden-Euro-Hypothek. Zugleich steigen bundesweit die Arbeitslosenzahlen, die Zahl der Insolvenzen steigt drastisch, Unternehmen schließen oder wandern ab. Gibt es einen Punkt, ab dem Sie sagen würden: Jetzt ist die Tragfähigkeit des wirtschaftlichen Fundaments, das ja die Basis für den Sozialstaat und damit den gesellschaftlichen Frieden ist, wichtiger als das Signal einer einzelnen Stadt, sich zu schnellerem Klimaschutz zu bekennen?

Breitner: Keinen Klimaschutz zu betreiben, hielte ich für falsch – das würde es am Ende nur noch teurer machen. Aber der Schutz des Klimas und eine starke Wirtschaft sind zwei Seiten einer Medaille. Wir werden uns Klimaschutz und Sozialstaat nur leisten können, wenn zuvor die finanziellen Mittel erwirtschaftet wurden. Ich glaube aber nicht, dass unsere Wirtschaft derzeit allein durch mehr Klimaschutz in Bedrängnis gerät. Wenn Geschäftsführer und Vorstände von VNW-Unternehmen berichten, was sie an Bürokratie erleben, dann bleibt manchmal nur noch Fassungslosigkeit. Hier liegen wirklich große Effizienzreserven.

Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und Business Insider erstellt.

Michael Höfling schreibt für WELT über Immobilien, Wirtschaftspolitik und Gold. Gemeinsam mit Michael Fabricius ist er für den Immobilien-Newsletter „Frage der Lage“ zuständig, den Sie hier abonnieren können.

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