Was Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Freitagmorgen verkündete, klang nach einem Sieg für Deutschlands Autokonzerne: Die Koalition, sagte er, wolle sich dafür einsetzen, dass in Zukunft neben rein elektrischen Fahrzeugen auch solche mit doppeltem Antrieb erlaubt bleiben – also Plug-in-Hybride und Modelle mit Reichweitenverlängerern. Der Bundeskanzler gewann damit jedoch nur eine Schlacht, noch nicht den gesamten Feldzug gegen das von der EU beschlossene Verbrenner-Aus im Jahr 2035.
In einer nächtlichen Sitzung hatten sich Union und SPD auf eine gemeinsame Position geeinigt. Merz will sie nun in einem Brief an EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen darlegen. Ein wichtiger Schritt, denn Brüsseler Beamte und Diplomaten warten seit Wochen auf ein Signal Deutschlands – des größten Mitgliedstaates und vehementesten Kämpfers für das Überleben des Verbrenners.
„Unser gemeinsames Ziel sollte eine technologieoffene Regulierung sein“, sagte Merz. „Für die SPD war das ein weiter Weg, ich bedanke mich sehr.“ SPD-Chef Lars Klingbeil sprach von einem „konstruktiven Dialog“, zentrales Argument sei die Sicherung von Arbeitsplätzen. Zugleich, sagte er, müssten die Klimaziele eingehalten werden.
Es setzt sich nun ein Schlagwort durch, das deutsche Automanager und konservative Brüsseler Politiker seit Monaten nutzen: Technologieoffenheit. Die bisherigen EU-Regeln sehen vor, dass Neuwagen ab dem Jahr 2035 auf der Straße keine Emissionen mehr ausstoßen dürfen, was einem Verbot von Verbrennern gleichkommt. Nur Stromer könnten – neben Nischenprodukten wie Wasserstofffahrzeugen – diese Anforderung erfüllen und als klimaneutral eingestuft werden.
Allerdings entscheidet sich die Zukunft des Verbrenners nicht in Berlin, sondern in Brüssel. Die EU-Kommission überarbeitet gerade die sogenannten CO₂-Flottengrenzwerte und will am 10. Dezember einen Vorschlag veröffentlichen. Das letzte Wort haben dann das EU-Parlament und der Rat der Europäischen Union, das Gremium der 27 Mitgliedstaaten.
Von der Leyen wollte Verbrenner lange Zeit verbieten. Motoren mit Abgasen passten nicht zu ihrem Green Deal, der Vision eines klimaneutralen Kontinents. Doch inzwischen signalisiert auch sie eine Lockerung der Vorgaben und nutzt sogar selbst das Schlagwort Technologieoffenheit.
Berüchtigtes „German Vote“ ist abgewendet
Wie geht es nun weiter? Der Brief, den Merz nach Brüssel schicken will, ist nur eine Willensbekundung, er hat keine rechtliche Bindung. Von der Kommission hieß es am Freitag nur, man werde das Schreiben „sorgfältig prüfen“.
Aber immerhin kann Merz nach der Einigung vom Freitag jetzt in den Verhandlungen mit den anderen EU-Staaten eine eindeutige Position vertreten. Das unter seinem Vorgänger Olaf Scholz berüchtigte „German Vote“ – eine Enthaltung, weil sich die Bundesregierung intern nicht einigen kann – ist abgewendet.
Der deutsche Kanzler dürfte in Brüssel mehrere Verbündete finden, etwa Italien und Polen. Auch dort herrscht Sorge um die Arbeitsplätze in der Autoindustrie, auch dort gibt es daher Unterstützung für Hybride und Verbrenner, die mit klimaschonenden Kraftstoffen betankt werden.
Es sieht also gut aus für den Verbrenner. Rechnerisch könnte Deutschland im Rat – neben dem Parlament der zweite wichtige Player in der europäischen Gesetzgebung – zwar überstimmt werden. Frankreich und Spanien etwa sprechen sich für eine weitgehende Beibehaltung des Verbots aus. Doch politisch, sagen EU-Offizielle hinter den Kulissen, sei ein solches Votum kaum vorstellbar. Schließlich handele es sich bei Deutschland um die größte Auto-Nation des Kontinents. Das Thema Verbrenner sei zu wichtig für die Industrie der Bundesrepublik und zu emotional für die Bürger.
Doch wohl nicht alle freuen sich über den kommenden Brief des Bundeskanzlers an die EU-Kommission. Verlierer sind Unternehmen, die auf das Verbrenner-Aus vertraut und stark in den Hochlauf reiner Batterie-Autos investiert haben. Ein Teil der Branche fürchtet auch, der Berliner Vorstoß könnte Kunden weiter verunsichern und vom Kauf solcher E-Autos abhalten.
Zudem drohen nun noch strengere Abgasrichtlinien für die verbleibenden Verbrenner. Die Unternehmen müssten wohl in eine weitere Generation des Motors investieren. Einige Konzernstrategen hatten gehofft, sich diese Ausgaben sparen zu können und das Geld in die Produktion von E-Autos stecken zu können.
Durchgesetzt haben sich Unternehmen wie BMW. Der Konzern wirbt seit Monaten dafür, in die Klimabilanz von Autos auch einzubeziehen, wie sie produziert werden. Dabei soll die EU etwa den Einsatz von grünem Stahl und Ökostrom in der Fabrik berücksichtigen. Dieser Ansatz dürfte Teil des Schreibens von Kanzler Merz werden.
Förderung in Höhe von 3000 Euro
Das Problem aus der Sicht der Branche ist: Die Zahl der E-Autos in den Sortimenten wächst – doch mehr Kunden als erwartet halten am Verbrenner fest. Auch umfangreiche Rabattaktionen konnten das bisher nicht ändern. Und den Herstellern drohen dafür Strafen. Sie müssen mit Bußgeldern rechnen, wenn der rechnerische CO₂-Ausstoß der von ihnen verkauften Fahrzeuge über den Vorgaben der EU liegt.
Was Merz am Freitagmorgen skizzierte, entsprach mehr oder wenig der Maximalforderung der Branche. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) verlangte immer wieder, Verbrenner als klimaneutral einzustufen, die Biokraftstoff oder synthetische E-Fuels tanken. Allerdings ist unklar, ob genug alternativer Sprit verfügbar sein wird, um große Teile des Verkehrs neben der Industrie und der Luftfahrt bis Mitte des Jahrhunderts anzutreiben. Denn die Effizienz ist in der Regel geringer als bei der direkten Nutzung von Strom.
Die Beschlüsse der Koalition sollen aber nicht nur das Überleben des Verbrenners sichern. Sie sehen auch eine finanzielle Unterstützung der E-Mobilität vor. Konkret: eine Förderung in Höhe von 3000 Euro, die für Familien mit Kindern oder besonders niedrigen Einkommen aufgestockt werden kann. Die Einkommensgrenze, bis zu der man den neuen E-Auto-Bonus bekommen kann, wird extrem hoch gewählt. Beantragen kann die Prämie jeder, der bis zu 80.000 Euro zu versteuerndes Haushaltseinkommen hat. Für bis zu zwei Kinder soll diese Grenze um jeweils 5000 Euro angehoben werden. Bis zu 600.000 E-Autos könnten unter die Prämie fallen, auch Hybride.
Ziel des Vorstoßes der Bundesregierung, sagte Merz am Freitag, sei eine „innovationsfreundliche und technologieoffene Regulierung“, die Klimaschutz und industrielle Wettbewerbsfähigkeit in Einklang bringe. Das, so der Kanzler, werde der Schlusssatz seines Briefes an Ursula von der Leyen sein.
Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und „Business Insider Deutschland“ erstellt.
Stefan Beutelsbacher ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet über die Wirtschafts-, Handels- und Klimapolitik der EU. Zuvor war er US-Korrespondent in New York.
Christoph Kapalschinski ist Wirtschaftsredakteur. Er schreibt über die Auto-Branche.
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