Die Stadt Mosbach im Norden von Baden-Württemberg bekommt die Nöte des Gesundheitssystems gerade mit voller Wucht zu spüren: Dem örtlichen Krankenhaus droht aufgrund hoher Defizite die Schließung. Der Südwestrundfunk richtete dazu eine Diskussionsveranstaltung direkt im Atrium der Neckar-Odenwald-Klinik in Mosbach aus. Vertreter von CDU und SPD diskutierten dort mit Bürgern die Lage der Klinik und der Versorgung.
Zeitgleich zu der Diskussion lud Lukas Huber, Kandidat der Alternative für Deutschland (AfD) im Wahlkreis Neckar-Odenwald für die Landtagswahl 2026, ein Video auf der Kurznachrichtenplattform X hoch. „Leider“ sei er zu der Diskussion nicht eingeladen worden. Deshalb nutze er X, um mitzuteilen, dass es ihm „persönlich sehr wichtig“ wäre, dass die Klinik erhalten bleibt. In der Hinsicht auf Reformen im Gesundheitswesen kenne er „keine Brandmauer“, teilte Huber mit. „Und ich erwarte das auch von den Politikern der anderen Parteien, dass sie ihre Parteiinteressen hinten anstellen im Sinne der Gesundheitsversorgung unseres Neckar-Odenwald-Kreise“, so Huber.
Die Brandmauer gegen die AfD, wie die generelle Abschottung der Parteien gegenüber der AfD genannt wird, droht zunehmend zu bröckeln. Seit der Verband der Familienunternehmer vor wenigen Tagen für Gespräche mit der AfD eintrat, ist die Diskussion um die Brandmauer neu entfacht. Unternehmen wie die Drogeriemarktkette Rossmann, der Hausgerätehersteller Vorwerk oder das Getränkeunternehmen Fritz-Cola sind aus Protest aus dem Verband der Familienunternehmer ausgetreten. Zahlreiche andere Unternehmensverbände betonten, von ihrer bisherigen Haltung und der Abgrenzung von der AfD nicht abrücken zu wollen.
Verbände in der Zwickmühle
Und doch könnte die Frage, wie man es mit der AfD nun halten soll, noch zu Verwerfungen in so manchen Branchen führen. Besonders im Fokus: der Krankenhaus- und Ärztebereich. Denn die AfD setzt längst nicht nur auf Themen wie Migration oder Wirtschaftspolitik. Gerade in der Gesundheitspolitik wird die Rechtsaußen-Partei zunehmend aktiv. Das bringt die Verbände und Institutionen der Branche in eine Zwickmühle.
Im Wahlprogramm der AfD für die letzte Bundestagswahl umfasste der Bereich Gesundheitspolitik ein halbes Dutzend Seiten. Die Ausführungen deckten von der Entbürokratisierung des Gesundheitswesens über die Sicherstellung der Leistungsfähigkeit von Kliniken bis hin zu Organspende sämtliche aktuelle Themen der Gesundheitspolitik ab.
Grundsätzlich sieht die AfD im deutschen Gesundheitssystem „zunehmend Fehlentwicklungen“, die es zu beheben gelte. Die anstehende Krankenhausreform wird von der AfD etwa abgelehnt, da diese die Probleme der Kliniken nicht löse. „Notwendig ist die vollständige Abschaffung der Fallpauschalen und mittelfristig die Rückkehr zu individuellen Budgetvereinbarungen zwischen den Krankenhäusern und den Spitzenverbänden der GKV“, heißt es in dem AfD-Wahlprogramm. Um überlangen Wartezeiten bei Arztpraxen zu begegnen, hält die AfD „gestaffelte Bonus- beziehungsweise Rückvergütungssysteme“ für sinnvoll.
Bei medizinischem Personal aus dem Ausland fordert die AfD strengere Standards. „Bei medizinischem Fachpersonal, das sprachliche Defizite aufweist, kann weder eine Vertrauensbasis entstehen, noch können Missverständnisse im Behandlungsablauf ausgeschlossen werden. Sowohl die fachliche als auch sprachliche Qualifikation (Niveau C1) müssen uneingeschränkt dem deutschen Standard genügen“, heißt es in dem Wahlprogramm. Zudem „müssen vorrangig Studienplatzbewerber mit deutscher Staatsangehörigkeit für das Fach Medizin/Zahnmedizin ausgebildet werden“.
Stark kritisiert im Wahlprogramm der AfD wird die Rolle der Weltgesundheitsorganisation WHO. „Mit dem für 2025 geplanten Pandemievertrag werden der WHO bereits bei einer angeblich ‚drohenden Pandemie‘ unter Missachtung nationaler Parlamente umfangreiche Rechte gegenüber den nationalen Staaten eingeräumt, die weit in die Privatsphäre der Bürger eingreifen, bis hin zur Duldung medizinischer Eingriffe und der Beschneidung der persönlichen Freiheit und Selbstbestimmung“, heißt es im Wahlprogramm. Dies würde die AfD grundsätzlich ablehnen. Zudem fordert die AfD eine grundlegende Reform der Finanzierung der WHO. Andernfalls tritt die AfD für einen Austritt Deutschlands aus der Weltgesundheitsorganisation ein.
Dass die AfD zunehmend auf Gesundheitsthemen setzt, beobachtet Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen, schon längere Zeit. „Der Gesundheitsausschuss wird regelrecht geflutet mit Gesetzesanträgen der AfD“, sagt Dahmen. Die Anfragen würden dabei weite Teile der Gesundheitsthemen abdecken. „Die Anträge betreffen die Notfallreform, die Krankenhausreform oder den Bereich der niedergelassenen Ärzte. Sowohl Quantität als auch die Qualität dieser Anfragen haben stark zugenommen“, beobachtet Dahmen.
Den Grund für das Interesse der AfD an Gesundheitspolitik sieht Dahmen in der Emotionalität dieses Themas begründet. „Mit den Problemen im Gesundheitsbereich wie schließenden Kliniken oder langen Wartezeiten in Arztpraxen lassen sich Menschen und Wähler direkt ansprechen“, so Dahmen.
Den Umgang der AfD mit diesen Gesundheitsthemen sieht Dahmen jedoch als verzerrt an. „Es stimmt, dass unkontrolliert schließende Krankenhäuser gerade im ländlichen Bereich ein Problem darstellen. Fakt ist aber auch, dass es in keinem anderen Land Europas eine so hohe Dichte an Krankenhausbetten gibt wie in Deutschland. Diesen Rahmen ignoriert die AfD bei Gesundheitsthemen jedoch systematisch. Es geht ihr immer darum, die Probleme im Gesundheitsbereich als nicht lösbar durch demokratische Parteien darzustellen“, so Dahmen.
Den wachsenden Einfluss der AfD im Gesundheitsbereich bekommen auch Verbände und Institutionen zunehmend zu spüren. Die Frage, ob man Vertreter der AfD zu Veranstaltungen einladen soll, ist längst zum Politikum geworden. Viele Verbände manövriert die Antwort jedoch in eine Zwickmühle.
Kontakt „auf das Notwendigste“ begrenzen
So teilt etwa die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) mit, dass sie den Kontakt zur AfD „auf das Notwendigste“ begrenzen würde. „Wir möchten der AfD keine Bühne bieten. Krankenhäuser sind Orte, an denen besonders viele Menschen aus anderen Ländern arbeiten. Die Positionen der AfD stehen damit im Widerspruch zu einer guten Krankenhauspolitik“, heißt es von der DKG. Gleichzeitig muss die DKG als Verband der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen auf Anfragen der AfD antworten, insbesondere bei Anhörungen im Gesundheitsausschuss. Aktiv Kontakt zur AfD würde die DKG jedoch nicht aufnehmen.
Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zieht eine klare Abgrenzung zur AfD. So folge die KBV bei ihren Veranstaltungen „der klaren Devise, weder Parteien des rechten noch des linken Randes“ einzuladen. Doch die Brandmauer gegen die AfD kann die KBV nicht auf allen Ebenen aufrecht halten. „Als Körperschaft des öffentlichen Rechts sind wir dazu verpflichtet, gewählten Abgeordneten des Bundestages auf Anfragen zu antworten“, heißt es von der KBV. Den Ärzten als niedergelassenen Freiberuflern könne und wolle die KBV hingegen „natürlich keine Vorgaben“ darüber machen, welchen politischen Meinungen sie folgen sollten.
Die Bundesärztekammer teilt mit, dass sie – soweit es nicht um die Beantwortung von Fragen in regulären parlamentarischen Verfahren, wie zum Beispiel Anhörungen des Bundestages, geht – nicht im Austausch mit Vertretern der AfD stünde. Zugleich betont die Bundesärztekammer ihre klare Haltung zu Toleranz und Menschenrechten.
Noch deutlicher wird die Ärztekammer Berlin. „Wir haben keinen Kontakt zu einer Partei, die auf Landes- und Bundesebene verfassungsrechtlich beobachtet wird und in Teilen als gesichert ‚rechtsextrem‘ beziehungsweise ‚verfassungsfeindlich‘ bewertet wird“, teilt die Kammer mit. Rechtsextremistische Gesinnungen würden fundamental auf der Ab- und Ausgrenzung von Menschen basieren. Diese Gesinnung sei für die Ärztekammer Berlin mit der ärztlichen Haltung und dem ärztlichen Ethos „unvereinbar“.
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit „Business Insider Deutschland“.
Anja Ettel ist Korrespondentin für Wirtschaft und Finanzen in Frankfurt und Co-Host des Börsen-Podcasts „Alles auf Aktien“. Sie berichtet unter anderem über die Chemie- und Pharmaindustrie sowie über Geldpolitik und Finanzmärkte.
Andreas Macho ist WELT-Wirtschaftsreporter in Berlin mit dem Schwerpunkt Gesundheit.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.