Bei Mayer & Cie. hat die Demontage begonnen. Zu Februar wird den verbliebenen 270 Mitarbeiter gekündigt, bis dahin werden noch Restaufträge abgearbeitet. Ein kleines Team kümmert sich im schwäbischen Albstadt nun darum, den Fuhrpark, die Maschinen und Immobilien noch in irgendeiner Weise zu verwerten.
Nach 120 Jahren Firmengeschichte schließt der Mittelständler seine Türen für immer. Von einem „extrem schwierigen“ Markt, spricht Rechtsanwalt Martin Mucha, der das Insolvenzverfahren des Weltmarktführers für Rundstrickmaschinen abwickelt. „Die aktuellen Rahmenbedingungen haben bei Mayer & Cie. im vergangenen Jahr zu einem Umsatzeinbruch von annähernd 50 Prozent geführt.“
Es ist eine Meldung, die die wirtschaftsstarke Region im Süden Deutschlands erschüttert – und doch reiht sie sich ein in die Vielzahl von Hiobsbotschaften der vergangenen zwei Jahre. Deutschlands Deindustrialisierung schreitet voran. Die Zeichen stehen vielerorts auf Insolvenz und Stellenabbau. Die Streichung Tausender Arbeitsplätze bei Traditionsfirmen wie Volkswagen, Bosch oder ZF Friedrichshafen dominieren die Nachrichten. Die vielen sterbenden Mittelständler wiederum – gerade in ländlichen Gegenden – gehen im Strudel der Negativschlagzeilen dabei beinahe unter.
Die Ursachen für die alarmierende Entwicklung sind vielfältig: der Wettbewerbsnachteil durch hohe Strompreise, lähmende Auflagen und zähe Bürokratie, hohe Lohnnebenkosten, dazu die eingebrochene Nachfrage aus China. Und allmählich macht sich ein weiterer Grund bemerkbar: die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump. Die Zölle von 15 Prozent auf EU-Waren wirken sich dabei regional unterschiedlich auf die lokale Wirtschaft aus, wie eine neue Studie des Ifo Instituts zeigt.
„Die Einführung eines Zollsatzes dürfte den Handel zwischen beiden Regionen empfindlich treffen und insbesondere zu Wertschöpfungsverlusten im verarbeitenden Gewerbe führen“, sagt Marcel Thum, Leiter der Ifo-Niederlassung in Dresden. Den Daten zufolge ist das Nord-Süd-Gefälle dabei deutlich: „Während Potsdam sogar einen leichten Zugewinn verzeichnet, drohen Industriestandorten wie Salzgitter, Dingolfing-Landau, Wolfsburg und Ingolstadt empfindliche Einbußen“, sagt Thum. Besonders stark betroffen sind Landkreise mit hohem Industrieanteil, etwa in der Automobil- und Metallerzeugung.
Am höchsten sind die Wertschöpfungsverluste für Salzgitter (minus 1,16 Prozent), Dingolfing-Landau (minus 1,08 Prozent), Wolfsburg (minus 1,06 Prozent), Böblingen (minus 1,05 Prozent) und Ingolstadt (minus 0,98 Prozent). Leichte positive Wertschöpfungseffekte gibt es für Potsdam (plus 0,23 Prozent), den Main-Taunus-Kreis (plus 0,22 Prozent), Cottbus (plus 0,18 Prozent) und Bonn (plus 0,17 Prozent).
Die regionalen Unterschiede sind der Studie zufolge vor allem auf die Wirtschaftsstruktur vor Ort zurückzuführen. „Während Dienstleister vielerorts tendenziell profitieren und Marktanteile gewinnen können, sind die Verluste im verarbeitenden Gewerbe in einzelnen Kreisen gravierend“, erklärt Ifo-Forscher Robert Lehmann. „Insgesamt könnten die Zölle mittelfristig zu einer Verschiebung der Wirtschaftsaktivität von Industrie zu Dienstleistungen führen.“
Die Verschiebung von weniger Industrie hin zu mehr Dienstleistungen und öffentlicher Hand prägt den Arbeitsmarkt in Deutschland schon seit Längerem, die Statistiken sprechen eine eindeutige Sprache. So ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland im Jahr 2025 auf den höchsten Stand seit elf Jahren gestiegen. 23.900 Firmenpleiten meldet die Wirtschaftsauskunftei Creditreform, das sind 8,3 Prozent mehr als im Vorjahr.
Wie nachhaltig der Wirtschaftsstandort im Langzeitvergleich geschädigt wird, zeigen die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA). Allein innerhalb eines Jahres wurden im verarbeitenden Gewerbe mehr als 165.000 Stellen abgebaut, davon rund 124.000 in der Metall-, Elektro- und Stahlindustrie. Deutliche Zuwächse gibt es hingegen im Gesundheitswesen und dem Öffentlichen Dienst: Mehr Staat, weniger Wirtschaft – so ließe sich die volkswirtschaftlich bedenkliche Entwicklung zusammenfassen.
Warnung vor „Wahnsinn aus den USA“
Zwar sind Umsatzeinbrüche und Firmenpleiten selten monokausal. „Die Ursachen für die Krise der Industrie sind mannigfaltig“, sagt Ifo-Experte Thum im Gespräch mit WELT. Doch die Zahl der Unternehmen, die die amerikanische Zollpolitik explizit als Ursache für ihren Niedergang nennen, steigt schon seit Längerem.
Die nordrhein-westfälische Kiekert AG beispielsweise, nach eigenen Angaben Weltmarktführer für Autoschlösser, begründete die eigene Firmenpleite im Sommer mit dem Einbruch von US-Aufträgen. Ähnliches war in den vergangenen Wochen beim zahlungsunfähigen Automobilzulieferer Winning BLW aus Remscheid zu hören. Und Christoph Arntz, Geschäftsführer der Deutschen Nickel GmbH, sprach im Zuge seines Insolvenzverfahrens im September gar vom „Wahnsinn aus den USA“.
Gerade Zulieferer – oft sind das die erwähnten Mittelständler – kämpfen mit Trumps Protektionismus und der grobschlächtigen Zollpolitik der Amerikaner. Der Blick in die Statistiken zeigt, wie groß die Verschiebungen auf den Märkten sind. Die deutschen Exporte in die Vereinigten Staaten sind seit mehr als einem halben Jahr rückläufig. Mit einem Warenwert von 10,9 Milliarden Euro wurde laut Statistischem Bundesamt im August der niedrigste Wert seit November 2021 verzeichnet. Gegenüber dem Vorjahr stand im Spätsommer ein Rückgang von satten 20 Prozent. Seitdem gibt es immerhin eine leichte Erholung.
Doch die Unsicherheit in Bezug auf den Handelspartner USA sind nicht das einzige Problem der deutschen Wirtschaft. „China setzt die deutsche Industrie unter großen Druck und ist vom reinen Zulieferer zum globalen Wettbewerber aufgestiegen – unterstützt durch massive Subventionen und aggressive Preispolitik“, sagt Dietrich Birk, Geschäftsführer vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) Baden-Württemberg.
Wegen der US-Zölle weichen chinesische Hersteller zunehmend nach Europa aus. Das verschärft die Konkurrenz für deutsche Unternehmen, sagt Birk. Der Handelskrieg und der Ukraine-Konflikt bremsten zudem globale Investitionen. In der Türkei, einem Hauptabsatzmarkt, machte die Inflation den Produzenten zu schaffen. Gleichzeitig seien die Kosten für die Produktion in Deutschland weiter angestiegen.
Dass Trumps Handelspolitik Deutschland, und insbesondere die Automobilindustrie sowie deren Zulieferer nun mit voller Härte trifft, ist dabei kein Zufall. Schon im Wahlkampf hatte Trump insbesondere die deutschen Autobauer ins Visier genommen. Seine Vision: Weniger europäische und asiatische Fahrzeuge auf Amerikas Straßen. Stattdessen sollen durch protektionistische Handelspolitik und massive staatliche Subventionen Autobauer wie General Motors, Ford und Co. gefördert und die Produktion im Inland gestärkt werden.
Mercedes, Audi und Co. hingegen, die schon seit Jahren Werke in den USA betreiben, will der US-Präsident mit Steuerversprechen in Gänze in seinen Heimatmarkt locken. „Ich will, dass deutsche Autokonzerne zu amerikanischen Autokonzernen werden“, sagte Trump bereits 2024. „Ich will, dass sie ihre Fabriken hier bauen.“ Je mehr Zeit vergeht, so scheint es, als sei der US-Präsident seinem Ziel ein Stück nähergekommen.
Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und „Business Insider Deutschland“ erstellt.
Jan Klauth ist US-Korrespondent mit Sitz in New York.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.