Die Bundesregierung hat sich in den vergangenen Jahren ein neues Lieblingswort angeeignet: „Sondervermögen“. Kaum ein politischer Begriff hat zuletzt eine derartige Karriere hingelegt – und kaum einer ist so irreführend. Dieses sogenannte Vermögen ist in Wahrheit keines. Um es klar beim Namen zu nennen: Es ist ein Schuldenberg, den kommende Generationen abtragen müssen.
Der Begriff wurde politisch erfunden, um das unangenehme Wort Schulden aus den Schlagzeilen zu halten. Aus einer finanziellen Belastung wird so ein vermeintlicher Wert. Eine rhetorische Schönfärbung, die suggeriert, hier entstehe etwas Dauerhaftes, Zukunftsweisendes.
„Sondervermögen“: Sprachlich wie sachlich ein Widerspruch
Doch ein Blick in die Haushaltsrealität zeigt das Gegenteil: Es handelt sich um gigantische Kredite. Etwa eine Billion Euro schwer sind allein das im März dieses Jahres verabschiedete Paket für Infrastruktur und Klimaneutralität sowie die von der Schuldenbremse ausgenommenen Investitionen in die Verteidigung.
Die Bundesregierung nutzt den Begriff, um milliardenschwere Ausgabenpakete außerhalb des regulären Haushalts zu parken. Politisch ist das clever, ökonomisch ist es eine Täuschung. Ein „Vermögen“, das dadurch entsteht, dass der Staat sich verschuldet, ist sprachlich wie sachlich ein Widerspruch. Und der Schaden ist nicht nur kommunikativ: Eine solche Begriffswahl verschleiert, wer die Rechnung bezahlt – die Steuerzahler von morgen.
Befürworter argumentieren, „Sondervermögen“ seien Investitionen in die Zukunft. Doch die Erfahrungen der vergangenen Jahre sprechen eine andere Sprache. Zahlreiche Posten – vor allem im sozialen Bereich – zielen nicht auf Wachstum, sondern auf Wohltaten, die laufende Ausgaben erhöhen, ohne neuen Wert zu schaffen.
Aktuellstes Beispiel: die Rente. Der Staatshaushalt wird genutzt, um steigende Verpflichtungen in der Rentenkasse abzufedern. Das hat mit Zukunftsinvestitionen wenig zu tun – es ist Konsumfinanzierung auf Pump. Eine Investition in die Vergangenheit, nicht in die Zukunft.
Das Wort Sondervermögen soll beruhigen, verschleiern, legitimieren. Doch wer die staatlichen Finanzen ernst nimmt, sollte klar sprechen: Es sind Sonderschulden – Geld, das zurückgezahlt werden muss.
Solange die Politik weiter so tut, als könne man Wohlstand erfinden, indem man Schulden umetikettiert, wird sich an der strukturellen Schieflage des Haushalts nichts ändern. Der erste Schritt zu mehr Transparenz ist, die Dinge beim Namen zu nennen.
Das Sondervermögen ist ein Schuldenberg.
Zeit, es auch so zu schreiben. Bei WELT wird der Begriff „Sondervermögen“ nicht mehr unkommentiert verwendet werden.
Moritz Seyffarth ist Chefredakteur von „Business Insider Deutschland“ und verantwortet die Wirtschaftsberichterstattung bei WELT.
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