Eben erst hatte der neue Chef des angeschlagenen Autozuliefer-Riesen ZF angekündigt, dass er Unternehmensteile verkaufen muss, um den drückenden Schuldenberg abzubauen. Jetzt, einen Tag vor Heiligabend, steht ein erster großer Brocken fest – und es geht ausgerechnet um einen Zukunftsbereich. ZF-Chef Mathias Miedreich verkauft den Bereich Fahrerassistenzsysteme für 1,5 Milliarden Euro an den südkoreanischen Konzern Samsung.
ZF verliert damit ein Technologiefeld, das für die Zukunft des Autos entscheidend werden kann. Denn es geht längst nicht mehr nur darum, das Fahren etwas sicherer zu machen. Bauteile wie Rechnerplattformen, intelligente Kamera und Radarsysteme, die ZF bislang in der Sparte herstellt, sind auch Bestandteil von Systemen für autonomes Fahren.
Doch ZF steckt tief in der Krise. Bis Ende 2028 sollen in Deutschland bis zu 14.000 Stellen wegfallen. Denn ZF ist stark im Geschäft mit Motoren – und steht daher mitten im Wandel zur Elektromobilität. ZF leidet dabei unter der schleppenden Nachfrage am globalen Automarkt.
Das süddeutsche Stiftungsunternehmen hatte zudem in der Niedrigzinsphase eifrig zugekauft – unter anderem den Bremsenspezialisten Wabco und den Zulieferer TRW. Die Schulden lagen Ende September bei gut 10,6 Milliarden Euro. Bei steigenden Zinsen muss ZF nun jedes Jahr Hunderte Millionen Euro Zinsen zahlen.
„Die Transaktion trägt dazu bei, die Verbindlichkeiten von ZF deutlich zu reduzieren. Die Veräußerung ermöglicht uns, dass wir unsere Ressourcen auf jene Kerntechnologien von ZF konzentrieren, in denen wir global führend sind“, sagte Miederich am Dienstag. 3750 ZF-Mitarbeiter in Europa, Amerika und Asien wechseln zu Samsung.
„Keine unternehmerische Handlungsfreiheit“
Die Notwendigkeit für Verkäufe hatte er bereits vor wenigen Tagen im Wirtschaftspresseclub Stuttgart betont: „Für mich und für das Vorstandsteam ist in den nächsten zwei Jahren die absolute Maxime, die Entschuldung nach vorne zu treiben“, sagte ZF-Chef Miederich laut dpa. Das könne das Unternehmen nicht aus dem Tagesgeschäft leisten. Daher seien Verkäufe unvermeidlich.
„Wir haben keine unternehmerische Handlungsfreiheit“, gestand Miedreich in Stuttgart ein. Die Anteilseigner könnten kein Kapital zuschießen, und weitere Schulden könne man nicht aufnehmen. „Das heißt, die einzige Möglichkeit, die wir haben, unternehmerische Freiheit zu bekommen und in Dinge wieder zu investieren, ist, unsere Schuldenlast zu reduzieren.“
Der Haken: Um Geld einzunehmen, muss ZF solche Unternehmensteile verkaufen, die attraktiv positioniert sind – und kann nicht die weniger wertvollen Krisenbereiche losschlagen. Samsung gliedert diese Technologie nun in seine Tochterfirma Harman ein. Samsung hatte das US-Unternehmen 2017 übernommen. Geführt wird es von dem deutschen Manager Christian Sobottka. Denn da Harman schon 1995 den Autoradio-Pionier Becker übernommen hatte, ist die Samsung-Tochter, die den Kern des Samsung-Automobilgeschäfts bildet, auch in Deutschland stark präsent.
„Damit wird Harman seine Technologiebasis erweitern, um noch sicherere, intelligentere und intuitivere Erfahrungen im Fahrzeug zu bieten“, jubelte Young Sohn, Aufsichtsratschef von Harman. Der frühere Co-Chef von Samsung Electronics und Silicon-Valley-Unternehmer sagte, die „Übernahme stärkt Harmans Führungsrolle bei der Transformation der Branche und unterstreicht Samsungs langfristiges Engagement für die Zukunft der Mobilität“. Seit der Übernahme von Harman vor acht Jahren habe das Unternehmen sein Automobil- und Audiogeschäft von sieben Milliarden Dollar Umsatz auf heute mehr als elf Milliarden Dollar gesteigert. Der Zukauf bringe einen weiteren Sprung.
Tatsächlich dürfte der riesige Samsung-Konzern deutlich mehr Mittel haben, um den Bereich auszubauen und für das autonome Fahren nutzbar zu machen. Der gesamte südkoreanische Konzern wird für die Industrie immer wichtiger – auch, weil er wichtige Komponenten wie Batterien und Chips im Portfolio hat.
Die Auto-Tochter Harman will die ZF-Technik nun in ihre IT- und Software-Pakete integrieren, die sie ohnehin bereits an über 50 Autokonzerne weltweit verkauft. „Die Branche befindet sich an einem Wendepunkt, an dem Sicherheit, Intelligenz und das Fahrerlebnis im Innenraum durch eine einheitliche Computerarchitektur miteinander verbunden werden müssen“, sagte Harman-Chef Sobottka.
„Derzeit versuchen etliche Zulieferer, Sparten zu verkaufen, finden aber häufig nur schwer Käufer“, sagt ein Branchen-Berater. Denn nicht nur ZF drücken hohe Schulden. Dazu kommt: Viele europäische Zulieferer sind über die Jahrzehnte gewachsen und haben ein wenig fokussiertes Portfolio – anders als beispielsweise Harman. Diese fehlende Klarheit schadet den traditionellen Zulieferern am Kapitalmarkt. Daher hat zuletzt etwa Continental das über viele Jahre zugekaufte Technologie-Geschäft unter dem Namen Aumovio eigenständig an die Börse gebracht und konzentriert sich ganz auf Reifen.
Und während Samsungs Auto-Sparte wächst, dürfte es für ZF nicht der letzte Verkauf sein. Auch die frühere „Passive Sicherheitstechnik“, die hauptsächlich Airbags und Sicherheitsgurte herstellt, steht bei ZF unter dem Namen „Lifetec“ im Schaufenster. Miedreich sucht dafür einen Partner und erwägt einen Börsengang.
Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und Business Insider erstellt.
Christoph Kapalschinski ist Redakteur und schreibt über die Auto-Industrie.
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