Seit einigen Jahren beobachte man „eine dramatische Zunahme von Drohnen-Überflügen“, sagt an diesem Vormittag in der Handelskammer Hamburg der Sicherheitsexperte eines großen europäischen Unternehmens, der nicht genannt werden soll.

Dass dies nicht nur Amateurdrohnen gewesen seien, zeige immer wieder auch die Präsenz von Drohnen mit starren Flügeln, die in hoher Geschwindigkeit über die Anlagen des Unternehmens hinweggeflogen seien, über Vorrichtungen, die zur kritischen Infrastruktur in Deutschland zählen. Auch beobachte man in jüngerer Zeit auffallend viele Menschen, die das Werksgelände „durch den Zaun hindurch“ fotografierten, sagte der Mitarbeiter.

Nur ein sehr schmaler Grat trennt die Notwendigkeit, Deutschland wehrfähig gegen äußere Angriffe zu machen, von einer damit womöglich verbundenen permanenten Hysterie. Der Grund dafür ist die hybride Kriegführung, die immer weiter zunimmt, seit Russland im Februar 2022 die Ukraine überfallen hat. „Wir befinden uns noch nicht im Krieg, aber ganz sicher auch nicht mehr im Frieden“, sagt Konteradmiral Ralf Kuchler, Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, bei der Konferenz „Sicherheit und Resilienz“ mit mehr als 200 Teilnehmern am Dienstag in der Handelskammer. Für die Sicherheit Europas und der Welt werde Deutschland künftig „einen deutlichen Mehrbeitrag leisten müssen“.

Und Deutschland muss sich selbst besser gegen eine militärische Bedrohung schützen, von der niemand exakt weiß, wie sie in den kommenden Jahren aussehen könnte. Der „Operationsplan Deutschland“, den der Generalinspekteur der Bundeswehr im Mai 2024 auf den Weg gebracht hat, bildet dafür das Fundament. Das komplexe Planungsgebilde soll, in einer permanenten Weiterentwicklung, alle relevanten Akteure in Deutschland miteinander so vernetzen, dass ihre Reaktionen optimal aufeinander abgestimmt sind – sei es in einem Katastrophenfall, der in Wahrheit ein hybrider Kriegsfall ist, sei es bei einem klassischen militärischen Angriff, etwa einer Offensive russischer Truppen auf Nato-Territorium in einem der baltischen Staaten. Er nehme „überall in Hamburg eine enorme Aufmerksamkeit und großes Interesse wahr, wenn ich über den Operationsplan Deutschland spreche“, sagt Kuchler.

Der Bund und die Länder sind an der Weiterentwicklung des Operationsplans Deutschland beteiligt, die Bundeswehr und der Katastrophenschutz, Polizeien und Feuerwehren, Fachbehörden wie das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und auch wissenschaftliche Einrichtungen wie die Hochschulen der Bundeswehr.

Nun geht es darum, die Wirtschaft noch enger in dieses komplexe Vorhaben einzubinden, Unternehmen und Verbände aus einer Vielzahl von Branchen. Das sei nötig, um die Unternehmen selbst widerstandsfähiger gegen mögliche Krisenfälle zu machen, sagt Monika John-Koch vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Notwendig sei es aber auch, weil die staatliche Präsenz in der Daseinsvorsorge heute weit geringer sei als am Ende des Kalten Krieges in den 1980er-Jahren. Heutzutage etwa gebe es keine Deutsche Bundesbahn mehr und auch keine Deutsche Bundespost. Die Nachfolgeorganisationen beider Bundesbehörden arbeiteten längst als gewinnorientierte Unternehmen.

Aus der Hamburger Innenbehörde heißt es deshalb unter anderem, man brauche „mehr öffentlich-private Partnerschaften“, um die Bundeswehr im Krisenfall besser unterstützen zu können und um den Zivil- und Katastrophenschutz zu verbessern. Vor diesem Hintergrund werde letztlich jeder Bürger mehr Verantwortung für ein höheres Sicherheitsniveau in Deutschland übernehmen müssen. Künftig werde es nicht mehr ausreichen, „Steuern zu zahlen und sich zurückzulehnen“.

Die Handelskammer Hamburg mit ihren rund 180.000 Mitgliedsunternehmen sieht sich als Forum dafür, ein breites Spektrum öffentlicher Akteure enger mit der Wirtschaft zu vernetzen. Und die Kammer sieht sich als Mahner, um die Unternehmen zu mehr Anstrengungen für deren Sicherheit zu bewegen. „Glauben Sie nicht, dass Ihre Unternehmen uninteressant zum Beispiel für Werksspionage seien“, sagt Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Malte Heyne bei der Konferenz. „Sie sind hochinteressant, sei es als Zulieferunternehmen für die kritische Infrastruktur oder als Hersteller sensibler Produkte, die mit der Rüstungswirtschaft zu tun haben könnten. Schützen Sie ihre Daten, investieren Sie in Innovation, Resilienz und die Sicherheit Ihrer Unternehmen.“ Die Handelskammer selbst sei erst vor einiger Zeit Ziel einer umfangreichen Cyberattacke gewesen.

Wie komplex die Herausforderungen an die Sicherheit in Unternehmen sind, machten Experten in mehreren Diskussionen deutlich. Über offensichtliche Risiken hinaus – etwa Drohnenflüge, plumpe Sabotageakte oder Cyberattacken – gehe es künftig verstärkt auch um die Vertrauenswürdigkeit der Mitarbeitenden und um die Beziehungen zu anderen Unternehmen innerhalb der Lieferkette. Die Bandbreite möglicher „Schläfer“, die als Saboteure aktiviert werden könnten, sei enorm, vom „Wegwerfagenten“ für einfache Anschläge bis hin zum Geheimdienstprofi, sagte ein Vertreter des Bundesverbandes für den Schutz kritischer Infrastruktur.

Ein Experte eines Sicherheits-Beratungsunternehmens sagte, man müsse Mitarbeiter genauer und öfter überprüfen, bis hin etwa zum Raumpflege-Personal, das womöglich auch Zugang zu Anlagen der internen Informationstechnologien habe. Auch habe sich die Drohnentechnologie längst über die gängigen Vorstellungen von fliegenden Kameras hinaus weiterentwickelt. Hoch spezialisierte Drohnen würden mittlerweile irgendwo innerhalb eines Unternehmens platziert, um sich in das WLAN-Netzwerk einzuwählen und dort Daten zu generieren. Oder aber Angreifer platzierten Drohnen zum Datenklau direkt auf Glasfaserkabeln.

Ein mittelständischer Unternehmer aus dem Publikum machte deutlich, vor welchen Herausforderungen gerade kleinere Unternehmen nun stehen. Er dürfe seine Mitarbeitenden, angesichts eines strengen Arbeitsrechts, nicht einmal um einfachste private Informationen bitten, und er frage sich, wie er angesichts dessen einen womöglich unseriösen Hintergrund recherchieren solle: „Ich kann ja vielleicht mal einen Aushang machen und fragen, wer bei mir im Nebenberuf als Agent arbeitet.“

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit vielen Jahren unter anderem über die kritische Infrastruktur und über die Rüstungswirtschaft.

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