Zehn Jahre nach Beginn des Dieselskandals sind erstmals ehemalige Manager von Volkswagen verurteilt worden. Die vier Männer erhielten vor dem Landgericht Braunschweig Haftstrafen zwischen einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung und viereinhalb Jahren. Angeklagt waren sie wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs. Die Staatsanwaltschaft hatte Strafen zwischen zwei und vier Jahren gefordert. Der zu einer Bewährungsstrafe verurteilte ehemalige Entwicklungsvorstand der Marke Volkswagen, Heinz-Jakob Neußer, ist nach Ex-Audi-Chef Rupert Stadler der prominenteste Manager aus dem Konzern, der für den Betrug verurteilt wurde.
Die Haftstrafe von viereinhalb Jahren gegen den ehemaligen Leiter der Dieselmotoren-Entwicklung, Jens H., ist die höchste Strafe, die bisher gegen einen Beteiligten ausgesprochen wurde. Dass noch weitere frühere Vorstände von VW für den Diesel-Betrug von Strafgerichten verurteilt werden, ist kaum zu erwarten. Es laufen zwar noch vier weitere Strafverfahren gegen 31 Angeklagte, nicht aber gegen frühere Mitglieder des Konzernvorstands.
Die Ausnahme ist der frühere Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn. Im Braunschweiger Verfahren war er ursprünglich mitangeklagt. Sein Prozess ist allerdings schon vor Beginn der Verhandlungen von den restlichen Verfahren abgekoppelt und liegt nun für unbestimmte Zeit auf Eis.
Nach mehreren Verhandlungstagen im vergangenen Jahr hatte das Gericht das Verfahren gegen Winterkorn im September wieder ausgesetzt. Laut einem medizinischen Sachverständigengutachten ist der Ex-Manager gesundheitlich nicht in der Lage, mehrmals pro Woche nach Braunschweig zu reisen und auf der Anklagebank zu sitzen. Ein Urteil gegen den 78-Jährigen wird zunehmend unwahrscheinlich.
Der Konzern Volkswagen sieht die strafrechtliche Aufarbeitung für sich als abgeschlossen an. „Die Volkswagen AG ist nicht an dem Strafverfahren in Braunschweig beteiligt“, sagt ein Sprecher des Unternehmens. „Aus Sicht der Volkswagen AG folgen aus dem beim Landgericht Braunschweig geführten Strafverfahren gegen Einzelpersonen keine nennenswerten Folgen für Rechtsstreitigkeiten vor Zivilgerichten zur sogenannten Dieselthematik, an denen die Volkswagen AG beteiligt ist.“
Tatsächlich laufen gegen VW noch eine Vielzahl von Verfahren wegen des Betrugsfalls. Dazu gehört ein großer Investorenprozess in Braunschweig, in dem es um den Vorwurf geht, das Management habe den Kapitalmarkt zu spät über den Betrug informiert. In diesem Verfahren hatten unter anderem die Ex-Konzernchefs Winterkorn, Matthias Müller und Herbert Diess als Zeugen ausgesagt.
So wie in den Strafverfahren versuchen die Richter herauszufinden, wie die Entscheidung innerhalb des Konzerns zustande gekommen war, Millionen von Fahrzeugen mit manipulierten Motoren auf den Markt zu bringen. Der Ursprung des Dieselskandals liegt gut 20 Jahre zurück. Damals, in den Nullerjahren, hatte Volkwagen mit der Entwicklung neuer, besonders effizienter Dieselmotoren begonnen.
Die Antriebe sollten weniger Stickoxide ausstoßen als bisherige Modelle und damit die neuen Abgasregeln der EU erfüllen. Da sich die Abgasreinigung aber als zu kompliziert erwies, tricksten die Entwickler bei der Steuerungssoftware. So hielten die Fahrzeuge die strengeren Grenzwerte nur auf dem Prüfstand ein, nicht aber im Betrieb auf der Straße.
Aufgeflogen ist der Betrug im Jahr 2015, als die US-Umweltbehörde EPA die Manipulationen bei Abgastests veröffentlichte. In der Folge musste Volkswagen in den USA milliardenschwere Strafen bezahlen und betrogene Kunden entschädigen. Manager wie Winterkorn wurden von den US-Behörden per Haftbefehl gesucht. In Europa fielen die juristischen Konsequenzen milder aus. Dafür ziehen sich viele Verfahren bis heute hin. Insgesamt hat der Skandal das Unternehmen bisher rund 33 Milliarden Euro gekostet.
Das Braunschweiger Urteil ist noch nicht rechtskräftig, genauso wie der Schuldspruch gegen Ex-Audi-Chef Rupert Stadler. Er hatte vor Gericht ein Geständnis abgelegt und war zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Trotzdem ging er nach dem Urteil in Revision. Dieses Verfahren liegt nun beim Bundesgerichtshof. Stadler wurde nicht der Betrug selbst zu Vorwurf gemacht, sondern sein Umgang damit. Nach Ansicht des Gerichts hätte er den Verkauf manipulierter Fahrzeuge sofort stoppen müssen.
Die mühsame Aufarbeitung des Skandals ist damit noch lange nicht zu Ende. Das jetzt abgeschlossene Verfahren in Braunschweig hat mehr als 170 Verhandlungstage in Anspruch genommen, es wurden rund 150 Zeugen vernommen. Trotzdem ist wohl mit Berufung oder Revision zu rechnen. Und die anderen Prozesse dauern weiter an.
Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur und berichtet für WELT über alle Themen aus der Autoindustrie und über wirtschaftspolitische Themen.
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