Die neue Bauministerin Verena Hubertz hat angekündigt, schnell den Wohnungsbau anschieben zu wollen, unter anderem mit einem "Bauturbo". Im Interview mit ntv.de erklärt Ökonom und Immobilienexperte Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft, wovon der Erfolg der neuen Regierung beim Wohnungsbau abhängen wird - und warum der Neubau zunächst einmal weiter zurückgehen dürfte.
ntv.de: Wir hören schon seit Jahren, der Wohnungsmarkt sei die soziale Frage unserer Zeit. Gleichzeitig ist der Neubau eingebrochen. Wie dramatisch ist die Lage aus Ihrer Sicht - und was ist die Ausgangslage für die neue Bauministerin?
Michael Voigtländer: Die Anspannung im Wohnungsmarkt ist seit Jahren sehr, sehr groß. Wir haben auch in den Boomjahren nie so viel gebaut, wie wir gebraucht hätten. Infolge der Zinsanstiege 2022 ist die Bautätigkeit dann aber noch einmal deutlich runtergegangen. Letztes Jahr sind nur noch 250.000 Wohnungen statt der benötigten 350.000 bis 370.000 gebaut worden. Dieses Jahr werden es wahrscheinlich nur 230.000 und nächstes Jahr eher 200.000. Dadurch baut sich großer Druck im Wohnungsmarkt auf. Die Neuvertragsmieten steigen um rund fünf Prozent pro Jahr. Viele Menschen finden auch keine passende Mietwohnung. Das Leid der neuen Bauministerin ist, dass sie diese schlechten Zahlen erbt.
Schon die Vor- und Vorvorgängerregierungen haben stets betont, was für eine grundlegende Bedeutung der Wohnungsbau hat. Dennoch ist der Neubau geradezu abgestürzt. Gibt es Grund, zu hoffen, dass es mit dieser Regierung anders wird?
Ein Erkenntnisproblem haben wir jedenfalls nicht. Es geht um die Umsetzung. Und dabei ist das Problem, dass das Thema nicht die Bundesregierung allein betrifft, sondern ganz entscheidend auch die Landesregierungen und die Kommunen. Alle müssen an einem Strang ziehen und das Bauen wirklich prioritär behandeln, damit es vorangeht. Das fängt an mit der Baulandausweisung und hört dabei auf, dass wir eben immer noch unterschiedliche Landesbauordnungen haben. Im Koalitionsvertrag finden wir ein paar Punkte, die Hoffnung machen: Standards sollen etwas reduziert werden, Genehmigungen sollen beschleunigt werden. Am Ende muss sich die Bauministerin daran messen lassen, ob sie es schafft, ihre Kollegen auf Landes- und kommunaler Ebene mitzuziehen.
Die Ministerin hat vor allem den sogenannten "Bauturbo" hervorgehoben, mit dem sie den Neubau ankurbeln will. Bringt das die Wende?
"Bauturbo" klingt gewaltig. Dahinter verbirgt sich aber nur Folgendes: In der Flüchtlingskrise 2015 mussten viele Menschen sehr schnell untergebracht werden. Damals schuf man eine Ausnahme im Planungsverfahren, die den Kommunen erlaubte, schnell einfach Unterkünfte zu bauen. Diese Ausnahme, die will man jetzt als "Bauturbo" auch für den normalen Wohnungsbau nutzen. Das heißt, die Kommunen werden in die Lage versetzt, deutlich schneller Bauland auszuweisen. Allerdings müssen die Kommunen dieses Instrument auch nutzen.
Es gibt daran vor allem zwei Kritikpunkte: Einmal heißt es, würde so der Bau nicht nachhaltiger Großprojekte gefördert. Zum anderen klagt die Immobilienbranche, dass viele Kommunen ihre bestehenden Möglichkeiten, Bauland auszuweisen und Neubau zu fördern, gar nicht nutzen. In vielen Kommunen, die über potenzielles Bauland verfügen, haben die Verantwortlichen gar kein Interesse, neuen Wohnraum zu schaffen.
Der erste Kritikpunkt bezieht sich vor allem auf ökologische Bedenken oder darauf, dass Bauprojekte von schlechter Qualität oder mit sozialem Konfliktpotenzial entstehen könnten. Aber wir müssen irgendwann mal diese Verfahren beschleunigen. Es dauert absurd lange, bis die Bagger bei einem Projekt anrollen können. Wir wissen, dass wir Wohnungen brauchen, und wir wissen auch, welche Fehler wir vermeiden müssen: dass wir nicht nur Hochhausklötze irgendwo hinstellen und keine soziale Mischung dabei haben. Aber der zweite Punkt ist gravierend: Viele Kommunen tun sich schwer, ausreichend Neubau oder auch Nachverdichtung zuzulassen, beispielsweise weil die Infrastruktur ausgelastet ist. Oder weil ihnen das Geld fehlt, neue Kindergärten und Schulen zu bauen. Es gibt auch Kommunen, die keine Schlafstädte für die nächste Metropole werden wollen. Das sind typische Argumentationen.
Was kann die Bundesregierung da ausrichten?
Der Bund muss versuchen, den Kommunen zu helfen, sich weiterzuentwickeln, in ihre Infrastruktur zu investieren. Dafür ist sicherlich das Sondervermögen geeignet. Außerdem brauchen wir eine bessere Aushandlung der Interessen zwischen Stadt und Umlandgemeinden. Das ist eine Aufgabe für die Bundesländer. Die könnten für einen Interessenausgleich sorgen, beispielsweise die Ansiedlung einer Behörde oder eines Gewerbegebiets für eine Gemeinde in Aussicht stellen, wenn diese im Gegenzug Wohnraum schafft, der eine nahegelegene Stadt entlastet.
Welche Rolle spielt in diesem komplexen Zuständigkeitsgefüge die Bauministerin?
Die Bauministerin kann schon einiges bewirken. Beispielsweise kann sie auf die Baukosten einwirken. Das ist ja neben dem "Bauturbo" ein zweites großes Projekt. Mit dem Baustandard E wie einfach, den die Vorgängerregierung auf den Weg gebracht hat, werden die Anforderungen im Neubau reduziert. Vor allem aber muss sie ein Gefühl erzeugen, eine gemeinsame Haltung über alle Ebenen hinweg für den Wohnungsbau. Damit könnte sie in kommunalen Debatten denjenigen Rückenwind geben, die willens sind zu bauen.
Alles, worüber wir bislang gesprochen haben, wirkt sich – im besten Fall – langfristig über viele Jahre aus. Die Krise am Wohnungsmarkt ist aber akut. Was kann die Bundesregierung kurzfristig machen?
Strukturelle Reformen, die auf die Baukosten und Bauland abzielen, sind essenziell. Kurzfristig könnte beispielsweise helfen, dass bereits vorliegende Baugenehmigungen umgesetzt werden. Einige Genehmigungen, die bereits vorliegen, werden derzeit aufgrund mangelnder Rentabilität nicht umgesetzt. Die letzte Regierung hat schon eine Sonderabschreibung dafür eingeführt. Die kommt allerdings nur Kapitalanlegern zugute. Jetzt sollte Schwarz-Rot noch mal breiter fördern und auch vor allem Selbstnutzer stärker unterstützen, zum Beispiel mit speziellen Darlehen. Außerdem sollte beim Neubau auch der Effizienzstandard EH55 gefördert werden, also Neubauten mit normaler Energieeffizienz. Das könnte die schnelle Umsetzung von bereits vorliegenden Genehmigungen anschieben. Diese kurzfristigen Maßnahmen sind auch deswegen nötig, weil wir die Bauwirtschaft stabilisieren müssen. Wenn die Bauunternehmen jetzt Kapazitäten abbauen, wird es auch mittelfristig umso schwerer, die Bautätigkeit wieder hochzufahren.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass wir am Ende dieser Legislaturperioden nicht mehr über dieselben Probleme am Wohnungsmarkt sprechen müssen, über die wir nun schon seit vielen Jahren diskutieren?
Die Baufertigungszahlen werden erstmal weiter deutlich runtergehen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass wir in den Ballungszentren, in Berlin, Hamburg oder München in vier Jahren einen relativ entspannten Wohnungsmarkt haben. Der Druck wird noch einmal zunehmen. Vielleicht wird es in vier Jahren zumindest in die richtige Richtung gehen. Wir müssen uns klarmachen, dass es auch international viele Metropolen bei der Bautätigkeit nicht hinterherkommen. Der Druck wird hoch bleiben. Es ist ganz wichtig, dass wir unsere Erwartung, dass jede Großstadt für jeden bezahlbar sein muss, herunterfahren. Aber ich glaube, dass wir in vier Jahren eine Trendwende beim Wohnungsbau schaffen können, dass wir in den Umlandgemeinden der Großstädte und in manchen anderen Regionen eine spürbare Entspannung auf dem Wohnungsmarkt sehen.
Mit Michael Voigtländer sprach Max Borowski
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