Das Online-Shopping steht vor einer Zeitenwende: E-Commerce-Giganten wie Paypal, Amazon und Visa drücken ihre KI-Agenten in den Markt. Die Shopping-Assistenten kaufen bald völlig ohne menschliches Zutun ein. Es ist das Ende des Internets, wie wir es kennen.

Wer hätte nicht gerne seinen persönlichen Assistenten für die lästigen Dinge des Alltags? Einen Helfer, der Webseiten scannt, Preise vergleicht, Einkäufe erledigt, die Suche nach dem Urlaubshotel abnimmt oder automatisch Fehlkäufe retourniert, ohne dass man selbst einen Finger rühren muss. Bislang war das das Privileg von Superreichen, Prominenten und Vorständen, die es sich leisten konnten, jemand dafür zu bezahlen. Doch schon bald wird auch jeder Ottonormalverbraucher seinen eigenen Agenten haben.

Allerdings werden nicht länger Menschen, sondern Maschinen diese Jobs übernehmen: Der digitale Privatbutler fürs Onlineshopping steht vor der Serienreife. Visa hat die Vision seines KI-Agenten "Intelligent Commerce" Anfang Mai vorgestellt: Einfach "Kauf mir die beste Herbstjacke" eingeben. "Kreditkarte hinzufügen, Lächeln, Fertig", wirbt der Finanzkonzern für die Shopping-Zukunft. "Es wird einfach vieles leichter machen", schwärmte Visa-Chef Ryan McInerney beim US-Sender CNBC. "Die Kunden werden mit den Füßen abstimmen und wollen, dass ihre Agenten einen Großteil ihres Einkaufs übernehmen - mit besseren Ergebnissen."

Stundenlanges Suchen nach dem günstigen Angebot wird wohl bald der Vergangenheit angehören. "Conversational Commerce" heißt das neue Zauberwort: Aus einer schnellen Plauderei mit einem Chatbot entspringt ein Kaufauftrag, der persönliche Shopping-Assistent erledigt dann den Rest. Er fragt Präferenzen und Budget ab, dann sucht und kauft er das Produkt und optimiert die Transaktion für seinen Kunden völlig selbstständig.

Nach Chatbots wie Claude und Bilderzeugungsprogrammen wie Midjourney sind Shopping-Agenten die nächste Ausbaustufe der KI-Revolution, die mit dem Launch von ChatGPT vor rund zweieinhalb Jahren begonnen hat. Sie sind nicht nur irgendein neues Digitalprodukt, sondern ein Paradigmenwechsel. "In einer von KI-Agenten gesteuerten Welt könnten Webseiten überflüssig werden. Wir werden nicht mehr surfen - wir werden Anweisungen geben", zitiert "Forbes" den Tech-Investor Jeremiah Owyang von Blitzscaling Ventures. "Die Benutzeroberflächen der Zukunft sind Gespräche, nicht Klicks". Unser Leben wird das radikal vereinfachen. Und zugleich noch abhängiger von Technik machen, die womöglich weniger in unserem als im Interesse der Konzerne handelt, denen sie gehört.

Das Ende des Internets, wie wir es kennen

Nicht nur Visa, auch andere E-Commerce-Giganten werkeln bereits an dieser Zukunft. Das Wettrüsten, wer zur wichtigsten Plattform fürs Onlineshopping wird, ist in vollem Gange. Nvidia-Chef Jensen Huang sagte schon Anfang des Jahres: 2025 wird das Jahr, in dem die KI-Agenten ihren Durchbruch erleben werden. Mastercard hat mit seiner Software-Suite Agent Pay, die ebenfalls vor wenigen Wochen vorgestellt wurde, ähnliches vor wie Visa und kooperiert dafür mit Microsoft. Amazon setzt seinen Chatbot Rufus längst ein, um seinen Kunden Fragen über Produkte zu beantworten. Das neuste Feature "Buy for me", bei dem man via Shopping-Agent automatisiert Artikel von Drittanbietern kaufen kann, wird gerade in der Beta-Version mit US-Kunden getestet.

Paypal ist für seinen KI-Shoppingassistenten Mitte Mai eine Allianz mit Perplexity eingegangen. Ab Sommer soll man damit in den USA direkt auschecken können, nachdem man den Kaufauftrag erteilt hat - die KI erledigt den Rest. Der US-Zahlungsgigant steigt ganz groß ins KI-Shopping ein: Momentan entwickelt er ein neues, finanzielles Betriebssystem speziell nur für Agenten, um zur zentralen Infrastruktur für das neue Shopping-Zeitalter zu werden.

Die Marktmacht der Tech-Riesen ist schon heute gigantisch: Paypal hat mehr als 430 Millionen Nutzer und wickelt jährliche Zahlungen von über 1,5 Billionen Dollar ab. Visa verarbeitet 3,3 Billionen Transaktionen jährlich. Doch nun geht es darum, dass sie endgültig zu Plattformen werden, an denen niemand mehr vorbeikommt. Weil es das Internet, so wie wir es heute kennen, bald nicht mehr gibt.

Es wird sich von einer manuellen Ressource, in der wir selbst suchen, zu einer Servicestation entwickeln, an der Aufgaben automatisch erledigt werden. Mit einem Assistenten zu chatten ist schlicht bequemer als stundenlang selbst herumzusurfen. "Wer das Spiel um den persönlichen KI-Agenten gewinnt, hat das große Los gezogen. Denn wir werden nie wieder eine Suchmaschine benutzen, keine Produktivitätsseite besuchen, nicht mal Amazon", prophezeite Bill Gates schon 2023.

Der Mensch wird als Profithürde ausgeschaltet

Schon bald dürften mehr KI-Agenten als Menschen online sein. Dieser Umbruch ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits werden persönliche Shopping-Assistenten lästigen Alltagskram abnehmen: Geschenke kaufen, die man vergessen hätte, automatisch Getränke nachbestellen, Ersatzteile suchen, wenn das Rücklicht am Auto kaputtgeht.

Doch andererseits werden Millionen Menschen abhängig von Technologie, die für sie eine totale Blackbox ist. Sie treten nicht nur ihre Entscheidungen an eine Software ab. Sondern geben ihr sogar noch die Verfügungsgewalt über ihre Geldbörse. Und müssen darauf vertrauen, dass der KI-Assistent in ihrem Interesse handelt. Und nicht dem von Visa, Paypal, Amazon und Co.

Die haben ein riesiges finanzielles Interesse an der Shopping-Revolution. Denn mit Software lässt sich der Mensch als störender Faktor im Business, als Hürde für den Profit ausschalten. Auf seinem Weg von der Absicht, sich neue Socken zu kaufen, bis zur abgeschlossenen Bestellung kann schließlich einiges schiefgehen, dass den Kauf verhindert: Er wird durch seine Kinder unterbrochen, muss auf Toilette, hat sein Passwort vergessen, seine Kreditkarte nicht zur Hand, verliert die Lust, überlegt es sich anders oder schläft einfach ein. Wenn stattdessen ein Programm menschliche Aufträge ohne Ablenkung oder Unterbrechung kühl und automatisch exekutiert, bedeutet das für die Shopping-Giganten und Zahlungsriesen schlicht viel mehr Umsatz.

Kunden vertrauen dem Digitalbutler noch nicht

Die Gefahr ist real, dass die KI-Assistenten nicht unabhängig das günstigste Produkt bestellen. Sondern das, an dem Amazon oder ein Lieferant am meisten verdient, das noch schnell wegmuss oder die Umsätze hochtreibt. Zudem ist der Datenschutz ein heikles Thema. Denn die KI in Shopping-Assistenten verschlingt nicht mehr wie ChatGPT, Grok oder Gemini nur das gesamte, öffentliche Internet. Sondern dann auch noch die persönlichsten aller Daten: Kleidergrößen, Kalendereinträge, Kaufwünsche und Kontostände. Die KI weiß dann alles. Und nutzt das, um Kunden Produkte vorzuschlagen, von denen sie noch gar nicht wussten, dass sie sie brauchen oder kaufen wollen.

Laut einer repräsentativen Umfrage der Marketingplattform Omnisend lehnen es zwei Drittel der Befragten ab, KI-Shoppingagenten die Kontrolle über ihre Kaufentscheidungen zu geben, selbst wenn sie dadurch bessere Deals bekommen. 58 Prozent sind besorgt darüber, was die KI mit ihren Daten macht. Und gut die Hälfte wünscht sich, dass sie zur Verbesserung des Kundenservice eingesetzt wird, statt für automatisierte Kaufentscheidungen.

Ohnehin ist die Frage, ob mit dem kühlen Delegieren von Einkäufen an den Digitalbutler nicht ein wesentliches Element verloren geht, das Shopping ausmacht: herumzustöbern und sich inspirieren zu lassen. Sich über stylische Klamotten oder ein praktisches Gadget zu freuen, das man selbst entdeckt und günstig geschossen hat. Menschen wollen nicht nur Aufgaben abhaken, sondern haben Spaß am Entdecken, wie diverse Studien zur User Experience immer wieder zeigen.

Und noch ein weiteres Problem schwebt über der Shopping-Revolution, das man etwa auch von selbstfahrenden Autos kennt: Wer haftet beim Totalschaden, wenn der Mensch die Kontrolle an die KI abgibt - finanziellen Verlusten durch falsche oder zu teure Bestellungen, Fehlern im Kleingedruckten, die übersehen wurden oder Betrug? Auch Verbrecher werden wohl künftig mit der Zeit gehen und kriminelle KI-Agenten entwickeln.

Die radikale Bequemlichkeit der neuen Shopping-Welt hat einen Preis. Nicht nur die Kunden, auch die Hersteller, die ihnen etwas verkaufen wollen, werden digital aufrüsten - und Verkäufer-Agenten entwickeln, die mit den Shopping-Assistenten der Plattformen verhandeln. Wer die bessere KI hat, gewinnt.

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