Der Fachkräftemangel droht, Deutschlands Wirtschaft und Gesellschaft zu lähmen. So warnt das Institut der Deutschen Wirtschaft, dass schon jetzt über 500.000 qualifizierte Fachkräfte in Deutschland fehlen, bis 2030 könnten es mehrere Millionen Arbeitskräfte sein. Eine Möglichkeit, der Entwicklung entgegenzuwirken: Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland holen.

Dafür wird von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die sogenannte EU Blue Card, auf Deutsch auch Blaue Karte EU genannt, erteilt. Dabei handelt es sich um einen befristeten Aufenthaltstitel für Angehörige von Drittstaaten, der sich an qualifizierte Fachkräfte richtet. Dem Auswärtigen Amt zufolge soll durch die Blue Card dem zukünftig in der EU erwarteten, teils schon bestehenden, Mangel an Fachkräften in vielen Beschäftigungssektoren entgegengewirkt werden.

Hierzulande ist die Blue Card seit August 2012 der primäre Aufenthaltstitel für akademische Fachkräfte aus Drittstaaten. Experten kritisieren jedoch immer wieder, Deutschlands bürokratische Hürden und Anforderungen seien zu hoch. Bei der Blue Card müssen Bewerber zwei Voraussetzungen erfüllen: Es ist erforderlich, ein abgeschlossenes Hochschulstudium sowie eine Mindestgehaltsgrenze nachzuweisen. Letztere unterscheidet sich je nach EU-Staat jedoch stark voneinander.

Eine neue Analyse der Gisma University of Applied Sciences in Potsdam und Berlin zeigt nun, wie Deutschland im Vergleich zu seinen Nachbarstaaten dasteht. Das Ergebnis: Die Bundesrepublik liegt mit ihren Gehaltsanforderungen im Mittelfeld.

Den Erstellern zufolge wird das Mindesteinkommen für die Blue Card in den einzelnen Ländern unterschiedlich berechnet. Malta sei aufgrund der schwierigen Vergleichbarkeit aus dem Ranking ausgeschlossen worden. Irland und Dänemark bieten keine Blue Card an. Auch Zypern wurde in der Analyse nicht miteinbezogen.

Die mit Abstand niedrigsten Gehaltsanforderungen gibt es der Auswertung zufolge in Bulgarien: Gerade einmal 9933 Euro muss das jährliche Mindesteinkommen in dem Balkanstaat betragen, um sich für die Blue Card zu qualifizieren. Die Plätze zwei und drei werden von Rumänien (20.782 Euro) und Portugal (21.030 Euro) belegt.

Allerdings unterscheiden sich auch die Lebenshaltungskosten sowie die Durchschnittseinkommen in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten teils erheblich voneinander. So ist das Preisniveau von Konsumgütern in Bulgarien laut dem Institut der deutschen Wirtschaft europaweit am niedrigsten – und liegt rund 40 Prozent unter dem europäischen Mittelwert. Das durchschnittliche Jahresgehalt in der EU lag dem Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) zufolge im Jahr 2023 bei 37.863 Euro. In Bulgarien war es mit 13.503 Euro am niedrigsten, in Luxemburg mit 81.064 Euro am höchsten. Dementsprechend ist es wenig verwunderlich, dass Bulgariens Einkommensanforderungen deutlich niedriger sind.

Die höchsten Anforderungen an das jährliche Einkommen für die Blue Card stellt Belgien. 66.377 Euro Jahresgehalt müssen Bewerber dort vorweisen können, um den Aufenthaltstitel zu bekommen. Es folgen Frankreich mit 59.700 Euro und Luxemburg mit 58.968 Euro. Deutschland landet mit 48.300 Euro beim EU-weiten Vergleich im Mittelfeld. Die Mindestgrenze wurde im Vergleich zum Vorjahr um 3000 Euro angehoben – ein Anstieg von 6,62 Prozent.

Auch andere Länder haben die Anforderungen im Vergleich zu 2024 verändert. Am stärksten erhöht wurden die finanziellen Voraussetzungen der Analyse zufolge in Portugal, Italien und Kroatien. In Portugal sei das vorausgesetzte Jahreseinkommen um 31,77 Prozent angehoben worden – von 15.960 Euro im Jahr 2024 auf 21.030 Euro in diesem Jahr. Italien hob die Grenze im selben Zeitraum von 27.000 Euro auf 33.500 Euro an. Das entspricht einem Anstieg von 24,07 Prozent. In Kroatien stieg die Gehaltsgrenze von 23.670 Euro auf 28.513 Euro – und damit um 20,46 Prozent.

Deutlich lockerer geworden seien die Voraussetzungen dagegen in Bulgarien, Rumänien und den Niederlanden. In Bulgarien wurde das Mindesteinkommen um 52,99 Prozent gesenkt – von 21.132 Euro auf 9933 Euro. In Rumänien wurden im Jahr 2024 noch 40.324 Euro vorausgesetzt, dieses Jahr nur noch 20.782 Euro. Das entspricht einer Senkung von 48,46 Prozent. Die Niederlande senkten die Grenze um 43,93 Prozent – von 63.972 Euro im Vorjahr auf aktuell 35.868 Euro.

Deutschland muss seine Attraktivität für qualifizierte Fachkräfte nachhaltig stärken

„Die starken Schwankungen bei den Mindesteinkommensanforderungen für die Blue Card spiegeln die unterschiedlichen wirtschaftlichen Realitäten und Strategien der EU-Länder wider“, erklärt Prof. Dr. Ramon O´Callaghan, Präsident an der Gisma University. Demnach würden einige Staaten durch das Senken der Gehaltsanforderungen versuchen, mehr Fachkräfte anzuziehen. Andere wiederum würden auf höhere Werte setzen, um „bestimmte Qualifikationsniveaus sicherzustellen“.

Die aktuelle Entwicklung zeige deutlich, dass die EU-Länder zunehmend eigenständige Wege in der Migrationspolitik einschlagen würden. Vor diesem Hintergrund müsse Deutschland darauf achten, „durch weitere Reformen nicht ins Hintertreffen zu geraten und seine Attraktivität für qualifizierte Fachkräfte nachhaltig zu stärken“, so O´Callaghan.

Wie Eurostat im Mai dieses Jahres mitteilte, erhielten im Jahr 2023 rund 89.000 hochqualifizierte Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Ländern eine Blue Card. Zusätzlich vergab die EU im selben Jahr 451.000 Genehmigungen für Studierende und Forschende sowie 10.800 Genehmigungen für Mitarbeitende, die konzernintern versetzt wurden.

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