Viele der Ministerpräsidenten zeigten sich nach dem Treffen mit Kanzler Friedrich Merz (CDU) am Mittwochabend zufrieden. Kein Wunder, sie hatten bekommen, was sie wollten: freie Hand bei der Verwendung der 100 Milliarden Euro aus dem gewaltigen Schuldentopf des Bundes für die Sanierung der Infrastruktur.
Die Länder müssen sich, anderes als ursprünglich geplant, nicht erst beim Bund die Genehmigung für einzelne Projekte einholen. Ihnen wird das Geld pauschal zugewiesen. Damit entfällt auch das Kriterium der „Zusätzlichkeit“, wie es im Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz heißt. Die Länder dürfen auch Projekte mit den Extra-Schulden des Bundes finanzieren, die bereits geplant sind.
Und das ist noch nicht alles: Auch der Verwendungszweck wurde noch einmal deutlich erweitert. Nicht nur Straßen, Schienen, Krankenhäuser, Kindertagesstätten, Schulen und Energienetze sollen mit den Milliarden saniert, gebaut und erweitert werden, es kann auch in andere Bereiche fließen. Als Beispiele werden in dem Beschluss die Bereiche „Sport, Kultur, innere Sicherheit, Wasserwirtschaft und Wohnungsbau“ genannt.
Blankoscheck für die Länder
Kurzum: Die Länder können mit dem Geld recht weitgehend machen, was sie wollen. Ganz gleich, ob die getätigten Investitionen den Wirtschaftsstandort dauerhaft stärken und den Wohlstand sichern.
Das kommt einem Blankoscheck für die Länder gleich. Zumal dem Vernehmen nach ein weiterer Punkt im Referentenentwurf des entsprechenden Gesetzes wegfallen soll: Dass die Länder „mindestens 60 Prozent“ der Mittel an die Kommunen weiterreichen müssen. Die meisten Infrastrukturinvestitionen werden in der Regel vor Ort in den Gemeinden umgesetzt.
Für Friedrich Merz könnten all diese Zugeständnisse an die Länder noch zum Problem werden. In der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag wächst der Ärger über den laxen Schuldenkurs, der sich nun auch in den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz zeigt. Offen äußern wollen sich kurz vor jenem Wochenende, an dem nicht nur der Haushalt festgezurrt werden muss, sondern auch weitere Gespräche zwischen Bund und Ländern zum Ausgleich für Steuerausfälle wegen des „Investitions-Booster“ laufen, nur wenige.
Der Haushaltspolitiker Yannick Bury (CDU), der der Jungen Gruppe der Fraktion angehört, fordert beim Umgang mit den insgesamt 500 Milliarden Euro im sogenannten Sondervermögen eine eindeutige Definition, welche Ausgaben überhaupt unter Infrastrukturinvestitionen fallen. „Wir brauchen eine klarere Abgrenzung des Investitionsbegriffs, statt ihn immer weiter zu fassen“, sagt er. Aktuell bestehe die Gefahr, dass über das Sondervermögen auch Aufgaben, die eigentlich zu den Kernaufgaben von Bund und Ländern zählen, aus diesem Schuldentopf finanziert werden.
Den Spielraum der Politik will auch Ralph Brinkhaus (CDU), immerhin einst Fraktionschef und heute digitalpolitischer Sprecher, lieber einengen als weiten. „Das Sondervermögen an sich ist schon kritisch genug. Wenn man es macht, dann muss man im ersten Schritt den Investitionsbedarf genau analysieren, Projekte definieren und sie dann priorisieren“, sagt er. Im Sinne eines modernen handlungsfähigen Staates sei ein ziel- und wirkungsorientierter Einsatz der Mittel unerlässlich. „Eine Verteilung nach politischer Durchsetzungskraft, Parteiproporz und regionalen Kriterien halte ich für falsch“, sagte er mit Blick auf den gemeinsamen Beschluss der Ministerpräsidenten und des Kanzlers.
Der Verdacht bestand von Anfang an, dass der Schuldentopf weniger für die Modernisierung des Landes geschaffen wurde, als vielmehr, um sich zusätzliche Spielräume in den Kernhaushalten des Bundes und der Länder zu schaffen und Lücken zu schließen. Beim Bund beläuft sich der mögliche Entlastungseffekt durch das Sondervermögen Infrastruktur und die Ausnahmeregel für Verteidigungsausgaben allein in diesem Jahr grob gerechnet auf 30 Milliarden Euro.
Der Entwurf des noch ausstehenden Bundeshaushalts für 2025, der am kommenden Dienstag vom Kabinett verabschiedet werden soll, wird zeigen, inwiefern die Möglichkeiten für Verschiebe-Manöver tatsächlich genutzt werden. Wobei wahrscheinlich das Zahlenwerk für 2026, das Ende Juli fertig sein soll, erst endgültigen Aufschluss bringt.
Bei den Grünen reagiert man in jedem Fall zunehmend gereizt, wenn es um das Sondervermögen geht. Sie hatten ihre Zustimmung zur Grundgesetzänderung im März daran geknüpft, dass es sich bei den Infrastrukturausgaben des Bundes um „zusätzliche“ Investitionen handeln muss. Viel gebracht hat der Einsatz womöglich nicht.
„Immer deutlicher wird, dass der Kanzler und sein Finanzminister das Sondervermögen allein für den inneren Zusammenhalt ihrer Koalition nutzen wollen, aber nicht für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes“, sagt der haushaltspolitische Sprecher Sebastian Schäfer (Grüne). Jetzt solle mithilfe des Sondervermögens auch die Zustimmung der Ministerpräsidenten für Steuersenkungen eingekauft werden, die keinerlei Wachstumseffekte haben, wie die Erhöhung der Pendlerpauschale. „Das neue Sondervermögen droht so vollständig zu verpuffen. Das können wir uns einfach nicht mehr leisten“, sagt er.
Für zusätzliche Skepsis sorgt in dem Zusammenhang ein weiterer Absatz im Beschlusspapier zur Ministerpräsidentenkonferenz. Darin kommt der Bund den Ländern in einem weiteren Punkt entgegen. Er erklärt sich bereit, aus seinen 400 Milliarden Euro des Sondervermögens Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern zu finanzieren. Dazu gehört unter anderem der Küstenschutz und die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur.
Für Friedrich Merz steht offensichtlich über allem, dass die Ministerpräsidenten der Länder am 11. Juli seinem ersten wichtigen Gesetz zur Ankurbelung der Wirtschaft im Bundesrat zustimmen: dem Investitions-Booster mit umfangreichen Sofortabschreibungen für Unternehmen.
Die Länder sind sich dessen bewusst. Die Ministerpräsidenten gingen, wie es heißt, gut vorbereitet in das Treffen mit Merz diese Woche. Sie können auf leere Kassen gerade in den Kommunen verweisen, für deren Finanzierung sie zuständig sind. Auch Merz verwies im Anschluss an die Ministerpräsidentenkonferenz darauf, dass nur noch jede fünfte Kommune einen ausgeglichenen Haushalt habe. Es klang, als wollte er damit die weiteren Zugeständnisse an die Länder rechtfertigen.
Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.
Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur und berichtet für WELT über wirtschaftspolitische Themen.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.