Kein anderes Land in Europa leistet sich so hohe Ausgaben für die medizinische Versorgung wie Deutschland. Auf mehr als 500 Milliarden Euro beliefen sich die Gesundheitsausgaben im Jahr 2023. Das Vertrauen der Deutschen auf faire medizinische Behandlung scheint diese Rekordsumme jedoch nicht gestärkt zu haben.

So halten nur 53 Prozent der Bevölkerung das hiesige Gesundheitssystem laut einer aktuellen Studie für fair. Einer von drei Bundesbürgern (36 Prozent) vertraut im Falle einer ernsthaften Erkrankung demnach nicht darauf, dass ihm eine adäquate Behandlung zur Verfügung steht.

Zu diesem Ergebnis kommt der am Donnerstag vorgestellte Health Report des Pharmaunternehmens Stada, für den zwischen Februar und März 2025 repräsentativ Menschen aus 22 europäischen Ländern befragt wurden.

„Mit dem Stada Health Report gewinnen wir mit unabhängigen, anonymen Daten wertvolle Erkenntnisse von 27.000 Befragten und verstehen zukünftige Entwicklungen besser. Indem wir diese Daten mit Akteuren aus der Politik und dem Gesundheitswesen teilen, tragen wir dazu bei, noch bessere Entscheidungen im Sinne der Patienten zu treffen“, erklärte Stada-Vorstandsvorsitzender Peter Goldschmidt bei der Präsentation der Zahlen.

Die Zahlen des Reports bergen Stoff für unangenehmen Fragen an die Gesundheitspolitik in europäischen Ländern. Denn nicht nur in Deutschland empfinden Bürger den Zugang zu medizinischen Leistungen laut der Erhebung als ungerecht. Nur eine knappe Mehrheit von 51 Prozent bezeichnet das Gesundheitssystem des jeweiligen Landes als gerecht. 44 Prozent verneinen diese Aussage sogar ausdrücklich.

Angesichts dieser Zahlen wirft der Stada Health Report die Frage auf, wie weit hochwertige Medizin mit fairem Zugang kollidiert. „Es scheint, dass eine hochwertige Gesundheitsversorgung ihren Preis hat: Exklusivität“, heißt es in dem Report. Denn die Zufriedenheit mit dem eigenen Gesundheitssystem weicht von der Einschätzung nach dessen Fairness in vielen Ländern markant voneinander ab.

So sind etwa in Belgien und der Schweiz rund 81 Prozent mit dem jeweiligen Gesundheitssystem zufrieden. Aber ein deutlich geringerer Anteil bezeichnet das jeweilige System auch als gerecht. In Belgien bejahen die Frage nach Fairness 63 Prozent, in der Schweiz 68 Prozent.

Das Vertrauen in die jeweiligen Gesundheitssysteme unterscheidet sich dabei innerhalb Europas stark. In Dänemark (78 Prozent) und Spanien (77 Prozent) ist das Vertrauen besonders groß, wobei jeweils fast ein Drittel sogar völliges Vertrauen äußert (32 Prozent bzw. 24 Prozent). In Ländern wie Ungarn (42 Prozent), Serbien und Kasachstan (je 34 Prozent) sowie in Rumänien (31 Prozent), der Slowakei (29 Prozent) und Bulgarien (28 Prozent) fürchtet ein erheblicher Teil der Bevölkerung, im Ernstfall allein gelassen zu werden.

Europaweit betrachtet sind nur 15 Prozent uneingeschränkt davon überzeugt, dass sie im Fall einer schweren Erkrankung die notwendige Versorgung erhalten würden. Weitere 43 Prozent haben leichte Vorbehalte, und 42 Prozent bringen größere Zweifel zum Ausdruck.

Hausärzte genießen großes Vertrauen

Der Report gibt dabei zu bedenken, dass Vorbehalte gegenüber der Systembereitschaft stark mit den finanziellen Lebensumständen und der mentalen Gesundheit der Befragten korrelieren. „Wer psychisch leidet oder mit finanziellen Engpässen kämpft, hat eher Angst, durch das Raster überlasteter Systeme zu fallen“, heißt es im Stada Health Report, der dazu zu einem bitteren Fazit findet: „Es scheint, dass ausgerechnet die Menschen, die am dringendsten auf Unterstützung des Gesundheitssystems angewiesen sind, von ihm enttäuscht werden.“

Unabhängig vom ausgeprägten Mangel an Vertrauen in viele europäische Gesundheitssysteme werden deren Akteuren laut dem Report hohe Vertrauenswerte entgegengebracht. So genießen Hausärzte in Gesundheitsfragen in Europa nach wie vor das größte Vertrauen (69 Prozent), insbesondere in Dänemark (81 Prozent), Belgien (80 Prozent) und Portugal (79 Prozent). Andere medizinische Fachkräfte (61 Prozent) sowie Apotheker (58 Prozent) folgen dicht dahinter. Auch in Deutschland zählen Allgemeinmediziner (76 Prozent) und Apotheker (63 Prozent) zu den vertrauenswürdigsten Personen im Gesundheitswesen.

Weit abgeschlagen im Vertrauen der Europäer firmieren digitale Gesundheitsberater. Google als Quelle für Gesundheitsinformationen bringen rund 20 Prozent der Europäer volles Vertrauen entgegen. Bei Künstlicher Intelligenz (KI) sind es europaweit rund 15 Prozent. Am wenigsten Vertrauen in Gesundheitsfragen bringen Europäer Politikern entgegen. Mit acht Prozent stehen sie nach Gesundheits-Influencern (11 Prozent) an letzter Stelle.

Andreas Macho ist WELT-Wirtschaftsreporter in Berlin mit dem Schwerpunkt Gesundheit. Zudem covert er den Konzern Siemens.

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