Gerade sah es so aus, als sei im Volkswagen-Konzern Ruhe eingekehrt. Kurz vor dem Jahreswechsel hatten sich Management und Betriebsrat auf ein Abbauprogramm für 35.000 Jobs geeinigt – ohne große neue Werkschließungen in Deutschland, über großzügige Altersteilzeitregelungen und sechsstellige Abfindungen, sogar mit partiellen Arbeitsplatzgarantien. Der Betriebsfrieden war gesichert, Besserung in der Bilanz in Sicht.

Doch jetzt muss ausgerechnet derjenige gehen, der den Plan eigentlich umsetzen sollte: Personalchef Gunnar Kilian verlässt Knall auf Fall den Vorstand. „Der Rückhalt für eine weitere Amtszeit fehlte“, teilt der Betriebsrat unverblümt mit. Pflichtschuldig gibt es ein paar warme Worte, aber auch den Anwurf, mit der Aufkündigung eines komfortablen Haustarifs habe Kilian „einen historischen Tabubruch“ begangen. Kleiner geht es beim Betriebsrat nicht.

Volkswagen ist seit jeher ein politisierter Konzern – nicht nur, weil das Land Niedersachsen mit 20 Prozent der Stimmrechte beteiligt ist. Volkswagen ist für die Gewerkschaft IG Metall der Vorzeigekonzern schlechthin, wenn es um die eigene Macht geht. Und die ist zwar innerbetrieblich vorhanden – gegen die harte globale wirtschaftliche Realität kann sich aber auch die größte deutsche Industriegewerkschaft nicht dauerhaft stemmen.

Die Europäer kaufen seit der Corona-Krise schlichtweg viel weniger Autos, die Umstellung auf Elektro läuft langsamer als erwartet, China überholt. Das trifft die ohnehin schwache Marge des Konzerns. Auch wenn der Betriebsrat einiges erreicht hat: Er musste den Mitarbeiter zuletzt wegen der ökonomischen Realität einige unangenehme Wahrheiten zumuten. Die Werke in Dresden und perspektivisch wohl auch Osnabrück werden bald nicht mehr zu VW gehören. Einstige große Wachstumshoffnungen für die Zentrale in Wolfsburg und anderswo sind passé. Und der alte Haustarif sowieso.

Internes Gesicht der Zumutungen ist Vorstand Kilian, der regelmäßig zum Fortgang berichtet – ausgerechnet ein Mann des Betriebsrats. Denn nicht nur bei VW, sondern bei allen großen deutschen Konzernen schlagen die Arbeitnehmer den obersten Personalchef vor, nicht die Eigentümer. Das ist im Betriebsverfassungsgesetz so geregelt – nur läuft es anderswo geräuschloser als in Wolfsburg. Insofern ist es nicht ungewöhnlich, dass der Betriebsrat entscheidend mitmischt, wenn wie im Fall von Kilian der Vertrag des Personalers absehbar ausläuft. Ungewöhnlich ist allerdings die schrille Lautstärke.

Bei VW steht kein Nachfolger bereit

Denn die IG Metall hat in Kilian jemanden gefunden, dem sie die unliebsamen Kompromisse anhaften kann. Gewerkschaftschefin Christiane Benner selbst kann sich als Mitglied des Aufsichtsrats auf Nachfolgesuche machen. Dieser Neue, dessen Name womöglich erst weit nach den Sommer-Werksferien feststeht, wird die Vereinbarung zum Jobabbau ebenso umsetzen müssen, wie es Kilian gemusst hätte. Aber: Die Belegschaft wird sie ihm nicht genauso sehr ankreiden. Diese Distanz nutzt dem Betriebsrat und der Gewerkschaft, die stets um Mitglieder und Stimmen kämpft. Für die Zukunft von VW als erfolgreicher Konzern aber wird viel davon abhängen, wie kompromissbereit der Neue angesichts des Rauswurfs seines Vorgängers sein kann.

Kilian konnte früher gut mit den übrigen Vorständen, wurde wohl auch deshalb 2021 zusätzlich Chef der Truck-Marken. Doch zuletzt trübte sich auch dieses Verhältnis ein. Kilian soll, so heißt es im Konzern, mit den übrigen Vorständen aneinandergeraten sein, als um die Zukunft von Beteiligungen ging, die einige Konzernmanager wohl gern loswerden würden. Deshalb fehlte Kilian auch der Rückhalt seiner Vorstandskollegen, der ihn vielleicht noch hätte retten können. So kam es zum Knall des unvorbereiteten Wechsels. Ein Nachfolger steht nicht bereit.

Volkswagen-Pkw-Chef Arne Meiswinkel übernimmt kommissarisch das Personalressort. Ein komplettes Vakuum ist das nicht – aber mitten im Stellenabbau, während die Umsetzung des Abfindungsprogramms in den Werken noch aussteht, bräuchte es eigentlich einen stabilen, eingearbeiteten Personalvorstand. Denn es sollte zügig gehen: VW hat mehr als genug Baustellen.

Der plötzliche Abschied des lang gedienten Kilian mag also in den Augen der Arbeitnehmervertreter und sogar seiner Vorstandskollegen eine gute Nachricht sein. Für den gesamten Konzern sein überstürzter Abschied alles andere als ein gutes Signal.

Christoph Kapalschinski ist Wirtschaftsredakteur und schreibt über die Automobilwirtschaft.

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