Die EU arbeitet wieder einmal an einer neuen Liste für mögliche Gegenzölle. Deadlines werden verschoben, Zölle angedroht und teilweise wieder aufgehoben. In diesem Chaos geht leicht der Überblick verloren, wie weit die EU gegenüber Donald Trump bereits ins Hintertreffen geraten ist.

Maro Sefcovic gibt sich entschlossen: Die EU arbeite an einer Liste für mögliche Gegenzölle auf US-Importe im Wert von 72 Milliarden Euro, gab der EU-Handelskommissar nach einem Treffen mit den zuständigen Ministern bekannt. Auf den ersten Blick erscheint das wie eine knallharte Drohung im Zollstreit mit US-Präsident Donald Trump. Doch diese neue große Zahl ändert nichts daran, dass die EU in diesem Konflikt seit Monaten immer wieder zurückweicht, während Trump weiter eskaliert und schon Fakten geschaffen hat.

Seitdem er im vergangenen Januar seine zweite Amtszeit antrat, hat Trump schon Dutzende Male neue Zölle verhängt, und noch viel öfter mit weiteren Zöllen gedroht. Deadlines wurden gesetzt und immer wieder verschoben. Auch die EU hat im Gegenzug mehrfach mit Strafzöllen gedroht und ihre eigenen Fristen ebenfalls nach hinten gerückt. In diesem Chaos geht leicht die Übersicht verloren, welcher Stand im Ringen zwischen den Handelsmächten herrscht, und welche Regeln aktuell gelten.

Ein Blick auf die bisherigen Maßnahmen und Drohungen zeigt deutlich das gegensätzliche Agieren beider Seiten: Auf Importe aus der EU gelten in den USA bereits teils hohe, neue Zölle. So wird seit April ein sogenannter Basis- oder Mindestzoll in Höhe von zehn Prozent auf alle EU-Warenimporte fällig. Im vergangenen Jahr hatten die Importe einen Gesamtwert von gut 532 Milliarden Euro. In der Gegenrichtung wurden Waren im Wert von 335 Milliarden Euro aus den USA in die EU eingeführt.

Neben diesem Basiszoll hat Trump höhere Importsteuern für bestimmte Waren erlassen, die auch Hersteller in der EU treffen. Auf Stahl- und Aluminiumprodukte galt ab März bereits ein Zoll von 25 Prozent, der inzwischen auf 50 Prozent erhöht wurde. Besonders schmerzhaft für die deutsche Industrie sind die Zölle von 25 Prozent auf Autos und Autoteile.

Bescheidene EU-Drohkulisse

Weitere massive Zölle hat Trump angedroht. Zuletzt kündigte er in einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an, den allgemeinen Zollsatz für alle Importe aus der EU auf 50 Prozent heraufzusetzen, sollte es nicht bis zum 1. August zu einer Handelsvereinbarung kommen. Damit hat der US-Präsident die Drohkulisse noch einmal verschärft. Zuvor hatte Trump einen 30-prozentigen Zoll angekündigt.

Zuvor hatte Trump aber auch die Frist für eine Verhandlungslösung vom 9. Juli auf den 1. August verschoben. Daneben hat Trump zahlreiche weitere Zölle angedroht, die teilweise Europa und speziell Deutschland hart treffen könnten. Dazu gehört eine 200-prozentige Steuer auf die Einfuhr von Pharmaprodukten und ein 200-Prozent-Zoll auf Wein, Sekt und andere alkoholische Getränke. Auch für Flugzeuge und Flugzeugteile, Holzprodukte, Halbleiter, Filme und viele weitere Produkte hat Trump bereits neue Zölle angekündigt.

Im Vergleich dazu nimmt sich die Drohkulisse, die die EU in den seit Wochen laufenden Verhandlungen aufgebaut hat, bescheiden aus. Zwar bereitete die Kommission schon im Frühjahr ein Paket mit Gegenzöllen auf symbolträchtige US-Produkte wie Jeans und Harley-Davidson-Motorräder vor, das beginnend ab 15. April in Kraft treten und Schritt für Schritt immer mehr Waren umfassen sollte. Vorgesehen waren Zollsätze zwischen 10 und 50 Prozent auf Handelsgüter im Wert von bis zu gut 20 Milliarden Euro.

Digitalsteuer ohne Gegenleistung vom Tisch

Doch während Trump seine Zölle Anfang April nur teilweise für zunächst 90 Tage aufschob, verschob die EU-Kommission ihre Gegenmaßnahmen komplett um denselben Zeitraum. Gleichzeitig soll sie die Erweiterung der betroffenen US-Warenliste auf ein Volumen von rund 95 Milliarden Euro vorbereitet haben. Doch als diese Frist nun auslief, entschied sich die Kommission wieder dagegen, die Zölle in Kraft zu setzen. Wie Kommissar Sefcovic bekanntgab, wird eine Ausdehnung der möglichen Gegenzölle statt auf 95 zudem nur auf höchstens 72 Milliarden Euro erwogen. Einen konkreten Termin dafür, wann die entsprechende Liste vorliegen oder in Kraft treten könnte, gibt es auch noch nicht.

Kein Zoll, aber teuer vor allem für die auch in Europa dominierenden US-Technologieriesen wäre eine Digitalsteuer, wie die EU sie zeitweise erwog. Berichten zufolge hat die Kommission ihre entsprechenden Pläne allerdings jüngst wieder beerdigt - ohne dafür in den Zollverhandlungen irgendwelche Zugeständnisse erreicht zu haben. Im Gegenteil: Die EU-Verhandler gehen inzwischen davon aus, dass sie etwa den Basis-Zoll von zehn Prozent als unumstößlich hinnehmen müssen, und hoffen höchstens, bei den weiteren Zöllen vor allem für europäische Autos Erleichterungen erwirken zu können.

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