Der Kampf um die Milliarden dauerte bis in die frühen Morgenstunden. Wie groß soll Europas neuer Haushalt werden? Was soll mit dem Geld finanziert werden? Wo kann man sparen, wo neue Einnahmen generieren? Bei all diesen Fragen, so hört man aus der EU-Kommission in Brüssel, herrschte am Mittwoch noch bis wenige Stunden vor der Präsentation des Budgets keine Einigkeit.
Die Kommission plant den europäischen Etat immer für längere Zeiträume, EU-Beamte sprechen deshalb von einem „mehrjährigen Finanzrahmen“, kurz MFR. Der nächste soll von 2028 bis 2034 gelten. Über Monate hatte die Behörde intern daran gearbeitet, am Mittwochabend schließlich präsentierte ihre Chefin Ursula von der Leyen in Brüssel die entscheidende Zahl: zwei Billionen Euro. Das sind rund 800 Milliarden Euro mehr, als der laufende MFR umfasst. Noch nie in ihrer Geschichte sollte die EU ein so hohes Budget bekommen.
„Das ist ein Etat für die Realität von heute und die Herausforderungen von morgen“, sagte von der Leyen. Ihr Entwurf ist historisch – und umstritten. Denn er sieht vor, was EU-Beamte blumig „neue Eigenmittel“ nennen: Steuern. Konkret schlägt die Kommission eine Abgabe für Unternehmen mit mehr als 50 Millionen Euro Jahresumsatz und eine Abgabe auf Elektroschrott vor. Zudem soll ein Teil der Einnahmen aus den Tabaksteuern der Mitgliedsländer nach Brüssel fließen.
Haushalt soll radikal umgebaut werden
Seit bald 50 Jahren sieht der europäische Haushalt ungefähr so aus: Ein Drittel fließt an Landwirte, ein Drittel an ärmere Regionen, ein Drittel in den Rest. Das passt nicht mehr zu der Welt von heute. Die EU befindet sich in einem globalen Wettrennen um Technologien wie Quantencomputer und künstliche Intelligenz. Es droht ein wirtschaftlicher Schlagabtausch mit Amerika – und eines Tages vielleicht ein militärischer mit Russland. Der Klimawandel soll bekämpft werden. Zudem muss Brüssel Schulden aus der Zeit der Pandemie begleichen.
Die EU-Staaten müssen den Entwurf der Kommission einstimmig verabschieden, für die Verhandlungen sind zwei Jahre eingeplant, selbst für Brüssel ein ungewöhnlich langer Zeitraum. Der MFR ist wohl das komplizierteste Projekt der bisherigen Amtszeit Ursula von der Leyens, jede Regierung hat ihre Interessen und ihre Tabus, keine dürfte am Ende wirklich zufrieden sein.
Es geht bei all dem um nicht weniger als das Wesen der EU. Was soll sie sein? Ein großer Markt und eine Freihandelszone? Ein Geldtopf für Bauern und Regionen im Osten? Ursula von der Leyen hat höhere Ziele: Sie will Europa in eine Gemeinschaft verwandeln, die ökonomisch mit Amerika und China konkurrieren und sich im Notfall selbst verteidigen kann.
Vieles von dem, was an diesem Sommertag in Brüssel vorgestellt wird, ist historisch. Die Größe des Budgets. Die Struktur. Und die Sache mit den Steuern.
Der europäische Haushalt speist sich aus zwei Quellen: den Beiträgen der 27 EU-Länder und den Eigenmitteln. Das sind bisher etwa Zölle und Strafzahlungen von Unternehmen. Nach dem Plan der Kommission soll der Etat nun zwar von 1,2 auf zwei Billionen Euro wachsen – aber die Mitgliedstaaten sollen alle ungefähr so viel Geld wie bisher überweisen. Von der Leyen will die Lücke mit Steuern füllen. Die müssten erheblich ausfallen, schließlich gilt es, 800 Milliarden Euro zu beschaffen.
„Mit dem Vorschlag zur Unternehmensabgabe wird sich die Kommission keine Freunde machen“, sagt der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. Sie sei „vollkommen konträr“ zu der Idee eines wettbewerbsfähigeren Europas und dürfte bei vielen EU-Staaten schlecht ankommen. Zudem bedeute sie einen „zusätzlichen Kostenfaktor“ für die Wirtschaft.
Europaweit wären 50.000 Firmen betroffen, hierzulande 20.000, schätzt die Deutsche Industrie- und Handelskammer. Hauptgeschäftsführerin Helena Melnikov sagt: „Wir können vor diesem Vorstoß nur warnen.“ Doch Brüssel sieht keine Alternative. Die Bundesregierung – größter Zahler in der EU – wehrt sich gegen eine Erhöhung des Haushalts. Frankreich, Italien und Spanien sind zwar dafür, aber finanziell eingeschränkt durch ihre Defizite. Sie dürften sich höhere Beiträge kaum leisten können.
Und eine Kürzung des Haushalts ist unrealistisch – schon wegen des mehr als 800 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds aus dem Jahr 2020. Er sollte die Folgen der Pandemie lindern, die Energiewende vorantreiben und die Digitalisierung beschleunigen. Für den Topf verschuldete sich die EU zum ersten Mal in großem Umfang. Manche Offizielle sprachen damals von einer „kopernikanischen Wende“, sahen den Beginn einer Ära, in der die Nationen Europas gemeinsam Kredite aufnehmen und so enger zusammenwachsen.
In Wahrheit verursacht der Topf viele Probleme. Die Rückzahlung von Schulden und Zinsen soll 2028 beginnen und dürfte ein Fünftel der jährlichen Ausgaben betragen – das wären 25 bis 30 Milliarden Euro.
Wie sieht die sonstige Struktur des Haushalts aus? Rund 300 Milliarden Euro sollen in die Landwirtschaft fließen, das wären 87 Milliarden weniger als bisher, neue Proteste der Bauern scheinen damit sicher. 200 Milliarden sind für ärmere Regionen vorgesehen, 130 Milliarden – eine Steigerung um das Fünffache – für Verteidigung und Raumfahrt. Und mehr als 400 Milliarden kommen nach dem Entwurf von der Leyens in einen Fonds zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.
„Der stärkere Fokus weg von Biomilch hin zu Biotech ist richtig“, sagt der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner. „Die teilweise Umschichtung von Agrar- und Regionalhilfen hin zu wachstumsorientierten Zukunftsinvestitionen wird die EU global wettbewerbsfähiger und die EU-Bürger wohlhabender machen.“ Der Haushaltsvorschlag sei ein Lichtblick. „Endlich“, so Körner, „wagt sich die Kommission daran, heilige Kühe zu schlachten.“
Stefan Beutelsbacher ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet über die Wirtschafts-, Handels- und Klimapolitik der EU. Hier finden Sie alle seine Artikel.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.