Fahrzeuge mit Level 3 sind bereits auf europäischen Straßen zu finden. Pilotprojekte mit Level 4 – also Fahrzeuge, die sich innerhalb definierter Umgebungen vollständig selbstständig bewegen –, sind ebenfalls schon in Städten wie Hamburg, München, Oslo und Shanghai im Einsatz.

"Autonome Mobilität ist keine Frage mehr des ,Ob‘. Es geht darum, wie schnell, wie sicher und wie fair sie sein wird. Jeder technologische Fortschritt muss zu weniger Unfällen, weniger Opfern und mehr Unabhängigkeit für Millionen von Menschen führen. Gemeinsam mit dem Allianz Zentrum für Technik, Herstellern und Regulierungsbehörden werden wir Sicherheitsstandards gestalten und innovative Versicherungslösungen pilotieren. Die Zukunft der Mobilität mag autonom sein, aber die Sicherheit muss immer in menschlicher Hand bleiben", sagt Klaus-Peter Röhler, Mitglied des Vorstands der Allianz SE, verantwortlich für das Versicherungsgeschäft in den deutschsprachigen Ländern, Zentraleuropa und die globale Sach- und Unfallversicherung.

Autonom fahrende Autos brauchen Köpfchen

Damit autonome Fahrzeuge künftig die europäischen Straßen nutzen können, benötigen sie eine Straßenzulassung. Da das Fahrzeug viele Fahrsituationen autonom bewältigen muss, sollte es nach Auffassung der Allianz für die Zulassung beweisen, dass es die Fahraufgaben auch in kritischen Situationen sicher beherrscht. Welche Anforderungen das Fahrzeug erfüllen muss, ist für Level 4 in der EU Durchführungsverordnung EU 2022/1426 bereits geregelt.

Noch nicht geregelt sind aus Sicht der Allianz die Details zu den durchzuführenden Simulationen und Tests im Rahmen des Prüfverfahrens. Die Allianz schlägt hier eine Kombination aus digitalen Fahrsimulationen, einem Praxistest unter identischen definierten Bedingungen (z. B. Brems-­ oder Ausweichverhalten) und einem Praxistest im normalen Straßenverkehr unter variierenden realistischen Bedingungen (z. B. Echtfahrt im Stadtverkehr, auf der Autobahn, bei Nacht) vor.

"Damit ist eine verlässliche Überprüfung der erforderlichen Sicherheitsstandards in der EU gewährleistet. So wie bisher der Mensch beweisen muss, dass er das Fahrzeug sicher führen kann, muss künftig das autonome Fahrzeug beweisen, dass es in allen Fahrsituationen richtig und sicher agieren kann", so Röhler.

Rückgang der Verkehrsunfälle in Europa

Das Allianz Zentrum für Technik (AZT) hat prognostiziert, dass die Automatisierung Unfälle aufgrund menschlicher Fehler wie z.B. Müdigkeit, Ablenkung und Fehleinschätzungen drastisch reduzieren wird.

"Wir erwarten für Europa bis 2035 eine Reduktion der Verkehrsunfälle von 20 Prozent und von über 50 Prozent ab 2060", sagt Frank Sommerfeld, CEO der Allianz Versicherungs-AG. "Dabei wurde berücksichtigt, welche Marktdurchdringung aktiv agierende Systeme zukünftig haben werden und welchen Einfluss die zu erwartende Entwicklung des Mischverkehrs mit Fahrzeugen ohne autonome Systeme auf das gesamte Unfallrisiko hat."

Notbrems-FAS drückt Schäden drastisch

Eine AZT-Studie über das Unfallvermeidungspotential von aktuell in Fahrzeugen verbauten Notbremsassistenten (NBA) zeigt das hohe Potential der aktiv arbeitenden Systeme. Für Fahrzeuge mit einem NBA im Frontbereich zeige sich ein Rückgang der Auffahrunfälle im fließenden Verkehr um durchschnittlich 30 Prozent. Treiber dieser Entwicklung ist die seit 2022 geltende gesetzliche Ausstattungspflicht mit diesem Assistenzsystem für Pkw. NBA im Heckbereich zur Vermeidung von Park- und Rangierunfällen sind noch nicht gesetzlich vorgeschrieben.

"Unsere Schadenanalyse auf der Grundlage realer Verkehrsunfälle zeigt, dass bis zu 66 Prozent aller Kollisionen beim Rückwärtsfahren vermieden werden können, wenn aktiv eingreifende NBA serienmäßig verbaut werden. Deshalb sollte der Gesetzgeber den Einbau dieser Systeme auch im Heckbereich gesetzlich vorschreiben", fordert Sommerfeld.

Dennoch würden die Schadenaufwände künftig weiter steigen: Eine geringere Schadenhäufigkeit werde „durch höhere Reparaturkosten ausgeglichen, die hauptsächlich auf die Kosten für Sensoren und steigende Preise für Ersatzteile und Arbeitsleistungen zurückzuführen sind“. Neue Risikoformen – von Softwarefehlern bis hin zu Cyberangriffen – erfordern zudem neue Arten von Versicherungsschutz.

Vertrauen und Vorsicht zugleich bei Verbrauchern

Um das Vertrauen und die Akzeptanz von autonomen Fahrzeugen zu messen, führte die Allianz eine repräsentative Verbraucherumfrage in sieben europäischen Ländern (Österreich, Deutschland, Frankreich, Italien, Schweiz, Tschechische Republik und Vereinigtes Königreich) durch. Die Ergebnisse zeigen ein breites Vertrauen in Sicherheitsverbesserungen, aber auch Unsicherheit in Bezug auf die Reife der Technologie.

Durchschnittlich erwarten mehr als die Hälfte der in den sieben Ländern Befragten (56 Prozent) bei autonomen Fahrzeugen ein höheres oder mindestens genauso hohes Sicherheitsniveau als bei von Menschen gesteuerten Fahrzeugen.

"Es ist klar, dass Vertrauen in Europa stark von Beweisen abhängt. Die Menschen wollen nicht nur, dass autonome Fahrzeuge die Sicherheit von menschlichen Fahrern erreichen oder übertreffen, sie wollen auch, dass dies durch transparente Daten, strenge Aufsicht und klare Verantwortlichkeiten untermauert wird", sagt Röhler.

"Technologie noch zu neu"

Gleichzeitig bleiben Bedenken bestehen: 69 Prozent der Befragten sorgen sich um die Zuverlässigkeit des Systems in unerwarteten Situationen, und 72 Prozent halten die Technologie noch für "zu neu und ungetestet".

Frank Sommerfeld ist der Ansicht, dass das Misstrauen gegenüber der neuen Technik vor allem aus „fehlender Vertrautheit, Angst vor Kontrollverlust, aus den oft negativen Schlagzeilen in den Medien und aus dem Bauchgefühl“ rührt. "Deshalb brauchen wir vor allem mehr Transparenz, klare Kommunikation zu den Vor- und Nachteilen und Alltagserfahrungen, um noch mehr Vertrauen zu schaffen." Schließlich wären da auch entsprechende Vorteile: "Ein automatisches System reagiert meist deutlich schneller und besser als der Mensch. Autonome Technik rettet Leben, bietet mindestens die gleiche Sicherheit wie herkömmliche Autos und reduziert durch vorsichtigere Fahrstrategien das Risiko schwerer Unfälle.“

Die Zukunft der Autoversicherung

Mit der zunehmenden Verbreitung autonomer Fahrzeuge werde immer wieder die Frage gestellt, ob autonomes Fahren ein neues Haftungssystem benötigt oder die Autoversicherung künftig durch eine Produkthaftpflichtversicherung des Herstellers/Betreibers ersetzt wird. Die Experten auf dem 13. Allianz Autotag waren sich allerdings einig: Das bewährte deutsche Modell der Gefährdungshaftung und der Kfz-Haftpflichtversicherung bietet auch bei autonomen Fahrzeugen den besten Schutz für das Verkehrsopfer.

"Bei der Deckung muss sich im Vergleich zum aktuellen Versicherungsschutz nichts ändern. Wir behandeln den virtuellen Fahrer analog zum menschlichen Fahrer",  sagt Frank Sommerfeld.

Zu den Vorteilen meinte er: Die Gefährdungshaftung des Halters biete dem Verkehrsopfer eine einfache Anspruchsgrundlage. Das Opfer müsse hier nämlich lediglich beweisen, dass es beim Betrieb eines Kfz geschädigt wurde. Der haftende Halter sei weiter durch eine Kfz-Haftpflichtversicherung geschützt, die streng europarechtlich reguliert ist (durch inzwischen sieben EU KH-Richtlinien). Das Verkehrsopfer könne sich darauf verlassen, dass der Halter versichert ist. Es sei "durch das bewährte Pflichtversicherungssystem auch bei Fahrzeugen ohne Versicherungsschutz, Unfällen aufgrund von Cyberangriffen, Terrorfahrten und selbst bei Insolvenz des Versicherers geschützt".

Bloß keine Produkthaftung!

Bei der Produkthaftung hingegen muss das Unfallopfer dem Hersteller einen Fehler seines Produkts nachweisen –  trotz Beweiserleichterungen durch die neue Produkthaftungsrichtlinie. "Als Hersteller kommen bei autonomen Fahrzeugen eine Vielzahl von Beteiligten in Betracht. Neben dem Fahrzeughersteller beispielsweise auch die Hersteller des autonomen KI-Systems und die Hersteller der Assistenten und Sensoren, was eine Haftungsklärung deutlich erschwert. Zudem besteht eine Pflichtversicherung für die Produkthaftung der Hersteller ebenso wenig wie ein Annahmezwang des Versicherers, der sicherstellt, dass jeder auch einen Versicherer findet", fasste Sommerfeld die prekäre Situation im Falle einer Produkthaftung zusammen.

Das bewährte derzeitige System aus Gefährdungshaftung des Halters und der dazugehörigen Kfz-Haftpflichtversicherung bilde nach seiner Überzeugung "auch für die Zeit des autonomen Fahrens die ideale rechtliche Grundlage. Es braucht weder ein neues Haftungs-oder Versicherungssystem“.

Die Position der Allianz macht auch SE-Vorstand Röhler nochmals deutlich: Der Schutz der Geschädigten müsse im Mittelpunkt der Versicherung für autonome Fahrzeuge stehen und die Haftung beim Fahrzeughalter verbleiben – unabhängig davon, ob ein menschlicher Fahrer oder eine Maschine die Kontrolle hat. Außerdem sieht er Kfz-Versicherer weiterhin als "erste Anlaufstelle", da diese dafür einsetzen, dass Geschädigte mit komplexen Haftungsstreitigkeiten nicht alleine gelassen werden und schnell und unkompliziert eine Entschädigung von ihrem Versicherer erhalten“.

Europäische Datenbank für kritische Verkehrssituationen

Versicherer spielen auch eine entscheidende Rolle bei der Unfallrekonstruktion und der Haftungsbewertung, so Röhler weiter. Bei Verkehrsunfällen, bei dem sich das Fahrzeug im autonomen Fahrmodus befunden hat, sei der offene Zugang zu unfall- und sicherheitsrelevanten Fahrzeugdaten „unerlässlich, um die Rechenschaftspflicht zu gewährleisten und das Vertrauen der Öffentlichkeit aufrechtzuerhalten“. Zur Unfallklärung und um aus kritischen Fahrsituation und Unfällen zu lernen, fordert die Allianz, dass alle Unfälle im autonomen Modus und

Beinaheunfälle, bei denen Crash knapp vermieden werden konnten, in einer von Herstellern, Regulierungsbehörden und Versicherern betriebenen europaweiten Datenbank erfasst werden.

Demokratisierung der Mobilität

Bei autonomer Mobilität geht es nach Auffassung des Allianz Autotags um Umweltverantwortung mit leiseren Straßen, weniger Emissionen und intelligenter Logistik. Es gehe aber auch um Unabhängigkeit für ältere Menschen, die zu medizinischen Einrichtungen fahren, für junge Menschen, die sicher zwischen Schule und Zuhause pendeln, für ländliche Gemeinden, die besser an Möglichkeiten angebunden sind. "Wir werden autonome Shuttles als erstes auf unseren Straßen in Ergänzung des öffentlichen Nahverkehrs sehen, idealerweise im Angebot des ÖPNV-Monatsticket preislich enthalten", ist Sommerfeld überzeugt.

Zusammenfassung der Forderungen an autonomes Fahren

Auf ihrem Autotag in Ismaning hat die Allianz final drei Forderungen aufgestellt, um die sichere Einführung der autonomen Mobilität zu beschleunigen, die Verbraucher zu schützen und die Führungsrolle Europas bei Mobilitätsinnovationen zu stärken:

1. Europaweiter "Führerschein" für automatisierte Fahrzeuge: Ein europäisches Zulassungsmodell mit einheitlichen technischen Homologations- und Prüfverfahren – eine Art "Führerschein" für autonome Fahrzeuge. Nicht nur die Anforderungen, welche das autonome Fahrzeug erfüllen muss, sondern auch, welche Simulationen und Prüfungen es bestehen muss, sollten geregelt werden. Damit wäre ein grenzüberschreitender Einsatz ohne wiederholte Zertifizierung möglich, der Marktzugang vereinfacht und die Sicherheit erhöht.

2. EU-weite, einheitliche Standards für den Zugang zu unfall- und sicherheitsrelevanten Fahrzeugdaten für Versicherer und Regulierungsbehörden, wobei kritische Daten innerhalb der europäischen Gerichtsbarkeit verbleiben und als strategisches Gut behandelt werden:

Der Vorschlag der Europäischen Kommission zum Austausch von Fahrzeugdaten im Rahmen des EU-Datengesetzes (Verordnung 2023/2854) bildet hierfür eine wichtige Grundlage. Die Allianz ist der Ansicht, dass Anwendungsfälle für den Datenaustausch sowohl hinsichtlich ihres Nutzens als auch ihrer Kosten bewertet werden sollten.

Pauschal alle verfügbaren Daten zu teilen, ist mit Blick auf die erheblichen Aufwendungen nicht sinnvoll. Auch Verbraucher sollten davor geschützt werden, unüberlegt all ihre Autodaten pauschal an Dritte weiterzugeben. Bei unfall- und sicherheitsrelevanten Fahrzeugdaten liegen die Vorteile hingegen auf der Hand: Ein gemeinsam von Versicherern, Herstellern und Regulierungsbehörden entwickelter Rahmen würde die Verkehrssicherheit verbessern, das Vertrauen der Öffentlichkeit stärken und die Akzeptanz der autonomen Mobilität beschleunigen.

3. Gemeinsame europäische Datenbank für kritische Verkehrssituationen für autonome Fahrzeuge (Level 4): Diese muss alle Unfälle im autonomen Modus und Beinaheunfälle, bei denen Unfälle knapp vermieden werden konnten, erfassen. Die Kriterien hierfür müssen von den Regulierungsbehörden festgelegt werden.

V. l.: Moderatorin Kathrin-Cécile Ziegler, Schadenvorständin Lucie Bakker, Frank Sommerfeld, Verena Bentele, Susan Poynor, Sascha Meyer und Christian Sahr © Foto: Allianz
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