Klimaschutz, umweltfreundliche Lieferketten, Menschenrechte, Inklusion … die Themen haben gerade global wenig Konjunktur. In Deutschland ist das Lieferkettengesetz eingestampft, europaweit sollen die Abgasvorgaben gelockert werden; in den USA bestraft die Regierung Trump sogar Firmen, die offensiv Minderheiten fördern. Nachhaltigkeit scheint gerade kein Verkaufsargument zu sein, mit dem sich erfolgreich Autos verkaufen lassen.
"Das ist falsch und kurzsichtig", sagt Fredrika Klarén. Und die Nachhaltigkeitsbeauftragte des chinesisch-schwedischen Autoherstellers Polestar würde sich dafür sogar mit der US-Regierung anlegen. "Nur weil Trump so laut ist, hat ja noch nicht das ganze Land seine Meinung", erklärt die Schwedin – und weist auch im neuen Nachhaltigkeitsbericht ihre globalen Bemühungen in Sachen Inklusion oder Diversität aus; also auch für das US-Werk Charleston und obwohl der US-Präsident den Verfechtern solcher Programme Strafen androht. Mit seinen nachhaltigen Überzeugungen will Polestar aber auf beiden Seiten des Atlantiks Kundinnen und Kunden überzeugen – die brauchen ja bloß einen Blick auf Polster oder Kopfstützen werfen.
Denn an solch auffälligen Stellen druckt der Autobauer auf Englisch Angaben ins vegane Leder wie: "Produziert für Null Abfall – 100 % rPET" oder "8,1 kg CO2e/m² Material – Tierschutz gesichert". Nicht gerade leichtgängige Botschaften an die Kundschaft. Aber die Marke ist sich sicher, genau mit solcher Offenheit bei Materialauswahl, Naturschutz oder ökologischem Fußabdruck einen bestimmten Kundenkreis besonders für sich einzunehmen. "Design, Sportlichkeit oder Preis-Leistungs-Verhältnis sind natürlich auch wichtige Auswahlkriterien für unsere Kundinnen und Kunden – aber Nachhaltigkeit liegt eben schon auf Platz drei der Kriterien", sagt die gelernte Bauingenieurin. Die CO2-Bilanz jedes Modells werde darum im Gegensatz zum Wettbewerb öffentlich kommuniziert. "Und wir zeigen auch, wie genau wir diese Bilanz gemessen haben – diese Kriterien halten viele Konkurrenten bisher unter der Decke."
Polestar 3 Test (2024)

Der Öffentlichkeit will die Polestar-Managerin aber auch nichts vormachen: "Elektroautos sind nicht sauber." Bei der Gesamtbilanz vom Schürfen der Metalle bis zum Recycling gebe es noch sehr viel zu tun. Über den gesamten Wertschöpfungsweg inklusive Rohstoffförderung und Logistik gerechnet, verursache etwa der Crossover Polestar 4 insgesamt umgerechnet 21,3 Tonnen CO2 an Umweltbelastung. Dass das vergleichbare Verbrennermodell eines deutschen Mitbewerbers mehr als dreimal so viel Umweltbelastung übertragen auf das klimaschädliche Gas verursacht, sei da kein Ruhekissen. „"Wir könnten schon heute auf weniger als 15 Tonnen kommen, wenn alle technisch möglichen Maßnahmen umgesetzt würden." Allein, das wäre schlicht zu teuer.
Polestar versucht die "Mondlandung"
Aber daran arbeiten die Beschäftigten am Standort Göteborg. Seit 2021 wurden allein beim ältesten Modell Polestar 2 im Zuge einer Überarbeitung rund drei Tonnen CO2 pro Fahrzeug eingespart. Und das zentrale Ziel der Marke ist es, bis 2030 ein vollständig klimaneutrales Auto zu entwickeln – das sogenannte "Polestar 0 Projekt". Und das ohne Notlösungen wie die Kompensation durch Zertifikate oder Aufforstungsprojekte. Stattdessen sollen sämtliche Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette eliminiert werden. "Unser Versuch einer Mondlandung", so Klarén.
Polestar 4 Test

Im vergangenen Jahr gelang es immerhin schon, den CO2-Fußabdruck pro verkauftem Fahrzeug um ein Viertel gegenüber dem Basisjahr 2020 zu reduzieren. Größter Hebel dabei sind die Rohstoffe. Besonders die Materialien Aluminium und Stahl, die zusammen etwa 45 Prozent der Emissionen eines Autos ausmachen, stehen im Fokus. Durch den Einsatz von kohlenstoffarmem Aluminium und die Umstellung auf erneuerbare Energien in der Produktion wurden deutliche Fortschritte erzielt. Die absoluten Treibhausgasemissionen sanken im Vergleich zum Vorjahr um 24,7 Prozent. Mit Blockchain-Technologie werden außerdem kritische Rohstoffe wie Kobalt, Mica, Lithium und Nickel nachverfolgt. "Bergbau ist schließlich ein besonders kritisches Geschäft – beim Umweltschutz oder bei Menschenrechten", sagt Klarén. Kreislaufwirtschaft ist daher ein weiteres wichtiges Ziel: Batterien und andere Bauteile sollen recycelt und wiederverwendet werden. Polestar ist dazu der Initiative für verantwortungsvolles Mining beigetreten, um die Nachhaltigkeit der Lieferkette weiter zu verbessern.
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Die größte Herausforderung: "Ein Auto besteht aus rund 30.000 Einzelteilen, die von zahlreichen Zulieferern stammen." Die Komplexität sei enorm, doch Polestar setzt auf Kooperation, Innovation – und auch politischen Druck. "Wir wünschen uns klare gesetzliche Vorgaben zu Nachhaltigkeitszielen und den Wegen dorthin." Sonst bleibe es bei vielen Unternehmen noch zu lange bei "vagen Versprechen von Klimaneutralität im Jahr XY" – ohne klar die Etappen auf dem Weg dahin zu benennen.
Ob dass die aktuelle Politiker-Generation, viele Kunden und Manager auch so sehen? Immerhin ist sich Klarén im eigenen Unternehmen der Rückendeckung sicher. Polestar-Chef Michael Lohscheller pflichtet seiner Nachhaltigkeitsverantwortlichen bei: "Wir verstärken wir unsere Verpflichtungen – auch, wenn vieles in der Welt in die falsche Richtung zu laufen scheint."
Audi A6 Avant e-tron vs. Polestar 4

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