Sie filmen Verletzte mit dem Handy, behindern Retter bei der Arbeit und blockieren Straßen: Gaffer sorgen bei Unfällen immer wieder für Ärger. Helfen härtere Strafen weiter?

"Während des Einsatzes sind wir immer wieder konfrontiert worden mit Gaffern beziehungsweise mit Leuten, die unsere Absperrung ignoriert oder beiseitegestellt haben und in die Unfallstelle eingefahren sind", berichtet Alexander Jodeleit von der Freiwilligen Feuerwehr Bad Kreuznach.

Er ist Einsatzleiter an einem Sonntag im Juni, als es am Rande der rheinland-pfälzischen Stadt zu einem schweren Unfall kommt. Ein 70 Jahre alter Mann erleidet während der Autofahrt einen Herzinfarkt und kracht gegen einen Baum. Feuerwehr und Rettungskräfte sind schnell vor Ort. Sie sichern erst das Auto ab, weil es droht, einen Hang hinabzustürzen. Dann holen sie die leicht verletzte Ehefrau aus dem Wagen und versuchen, das Leben des Mannes zu retten.

Jede Sekunde zählt. Doch während des Einsatzes werden die Rettungskräfte von anderen Verkehrsteilnehmern und Schaulustigen bedrängt und behindert. Es bildet sich schnell eine Autoschlange. Einige Fahrer schimpfen durchs geöffnete Fenster, andere durchfahren einfach die Polizeiabsperrungen.

Fußgänger fragen bei den Rettungskräften immer wieder ungeduldig nach, wie lange die Sperrung noch andauert. Andere machen Handyvideos von dem Unfall, auch davon, wie die Helfer versuchen, den verunglückten Mann wiederzubeleben. Er stirbt später im Krankenhaus.

"Diskussionen machen einen wahnsinnig"

Die Polizei sperrt den Unfallort weiträumig ab, weil die Rettungskräfte viel Platz brauchen. "Viele Leute haben nicht respektieren können, dass es da jetzt einfach nicht langgeht", berichtet Polizeikommissarin Silvia Hartwig-Engelmann, die bei dem Einsatz dabei ist. "Wenn man dann 20, 30 Mal immer wieder sagen muss: 'Nein, Sie können jetzt hier nicht lang!' - mit den Erlebnissen im Hintergrund, dass man selbst gerade versucht hat, einen Menschen zu reanimieren."

Feuerwehrmann Alexander Jodeleit sagt: "Diese Diskussionen, die machen einen wahnsinnig, weil man sich auf den Einsatz konzentrieren muss und nicht mit den Bürgern oder mit den Gaffern sprechen und denen erklären, warum sie jetzt nicht filmen."

Lücken bei der Strafverfolgung

Der ADAC geht davon aus, dass das Gaffen und Behindern in den vergangenen Jahren insgesamt zugenommen hat. Dies bedeute für Polizei und Rettungskräfte eine zusätzliche emotionale und logistische Belastung.

Polizeibeamte sind meist diejenigen, die als Erste am Unfallort eintreffen. Sie sind vor allem damit beschäftigt, sich um Verletzte zu kümmern und die Unfallstelle abzusichern, sagt ein Polizeibeamter aus Rheinland-Pfalz. Um zusätzlich Gaffer verfolgen zu können, bräuchte es mehr Polizeikräfte. Doch dafür gebe es oft einfach zu wenig Personal.

Im vergangenen Jahr gab es in Deutschland rund 2,5 Millionen polizeilich erfasste Verkehrsunfälle. Bei wie vielen davon es Gaffer gab, die auch Rettungsmaßnahmen behindert haben, ist schwer zu ermitteln. Das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen teilte im Juni aktuelle Zahlen dazu mit: Demnach gab es im Jahr 2024 einen Anstieg auf knapp 2.900 Fälle, in denen gegen Gaffer wegen Filmaufnahmen oder Störung von Rettungseinsätzen ermittelt wird. Das sind 5,5 Prozent mehr als im Vorjahr.

Debatte um härtere Strafen

Gaffen bei Unfällen kann als Ordnungswidrigkeit oder als Straftat ausgelegt werden und zu empfindlichen Geld- oder Freiheitsstrafen führen. Wer etwa nach einem Unfall Verletzte fotografiert oder filmt, kann mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden. Oder einem Bußgeld von bis zu 1.000 Euro. Dabei ist es egal, ob die Aufnahmen weitergegeben oder veröffentlicht werden - allein die Anfertigung zählt. Wer Rettungskräfte behindert oder im Notfall keine Hilfe leistet, dem drohen bis zu einem Jahr Haft oder eine Geldstrafe.

Doch wirken die Strafen auch? Michael Ebling, SPD-Innenminister von Rheinland-Pfalz, sagt dazu: "Natürlich gibt es auch Sicherstellungen von Handys an Unfallstellen durch die Polizei und natürlich gibt es auch Strafanzeigen." Allerdings, so Ebling, gehe es bei Unfällen erst "nachgeordnet" darum, Gaffer zu verfolgen. Priorität bei Rettungseinsätzen habe die Versorgung von Verletzten.

Braucht es mehr Kontrollen?

Die Bundestagsfraktionen von Union und SPD unterstützen jüngste Forderungen des Deutschen Feuerwehrverbands nach einer weiteren Verschärfung der Strafen. Die bisherigen Sanktionen reichten nicht aus und wirkten nicht abschreckend genug. Der Verband spricht sich daher für einen Führerscheinentzug für Schaulustige bei Verkehrsunfällen aus.

Andreas Hellwich von der Autobahnpolizei Ruchheim findet nicht, dass es härtere Strafen braucht. Er plädiert für mehr Kontrollen. Strafbares Verhalten bei Unfällen etwa durch Gaffen müsse konsequent geahndet werden.

Eine Zunahme solcher Fälle stellt er nicht fest. Das Gaffen habe es schon immer gegeben, das habe mit der Neugier der Menschen zu tun, so Hellwich. Neu sei vielmehr, dass heutzutage sofort das Handy gezückt und draufgehalten wird.

"Gaffen und Blockieren kein Kavaliersdelikt"

Auch die Kommissare Lisa Ludwig und Stefan Gehring von der Polizeiautobahn Gau-Bickelheim erleben immer wieder solche Situationen. Wie kürzlich bei einem Einsatz auf der A61. Zwei Autos sind zusammengeprallt, zwei Verletzte liegen auf dem Seitenstreifen, bis Ersthelfer eintreffen. Doch statt Hilfe anzubieten, seien Autofahrer einfach vorbeigefahren und hätten die Unfallopfer mit ihren Smartphones gefilmt, berichten die Beamten.

"Rücksichtslos", findet Ersthelfer Enrico Degener. Er kümmert sich am Unfallort um einen der Verletzten und ist froh, dass die Polizei zu Hilfe kommt. Autos und Lkw fahren dicht an der noch nicht gesicherten Unfallstelle vorbei - ein beklemmendes und beängstigendes Gefühl für Degener. Hinzukomme der Voyeurismus: "Die Leute sind einfach vorbeigefahren und haben geguckt, Lkw-Fahrer, die auf der Gegenfahrbahn gefahren sind, haben einfach das Handy aus dem Fenster gehalten."

Weil es vielen der beteiligten Einsatzkräfte inzwischen reicht, sind Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste aus der Region mit einer Aufklärungskampagne an die Öffentlichkeit gegangen, unter dem Titel "Gaffen und Blockieren ist kein Kavaliersdelikt". Sie fordern mehr Rücksichtnahme und wollen auf drohende Strafen aufmerksam machen.

Feuerwehrmann Alexander Jodeleit hofft auf mehr Rücksichtnahme und appelliert an das Gewissen: "Man muss sich immer mal selber vorstellen, wenn ich aus einem Fahrzeug befreit werde, ich habe Verletzungen, bin vielleicht auch blutüberströmt. Will ich, dass mich irgendjemand Fremdes filmt und das dann irgendwo verteilt oder hochlädt. Will man das?"

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