Ein Jahr nach dem Gefangenenaustausch des Westens mit Russland haben einige der Freigelassenen mehr Einsatz für noch immer inhaftierte Polithäftlinge gefordert. Gemeinsam unterzeichneten sie einen Appell.
Es war German Moyzhes' Idee, ein Treffen zu organisieren - mit den "Ausgetauschten", wie er selbst sagt. Der Deutsch-Russe gehört zu den 16 politischen Häftlingen, die der Westen vor einem Jahr mit Russland austauschte. An diesem Freitagmittag koordiniert er Gäste und Medienvertreter gleichzeitig auf Deutsch und Russisch.
Moyzhes ist aus Berlin hergekommen, wo er mittlerweile als Geschäftsführer der Synagoge an der Brunnenstraße arbeitet. Vor ein paar Tagen war sein 40. Geburtstag, den hatte er im letzten Jahr noch mit seinem Zellennachbarn verbracht. Damals habe er gedacht, in einem Jahr werde vielleicht der Prozess gegen ihn eröffnet worden sein. Stattdessen die plötzliche Befreiung. "Ich hatte großes Glück", sagt Moyzhes.

"Ich hatte großes Glück", sagt German Moyzhes.
Russische Opposition besteht im Exil weiter
Eingeladen hat der Verein "Zukunft Memorial" mit Sitz in Berlin, der die Arbeit der mittlerweile in Russland verbotenen Menschenrechtsorganisation Memorial fortführen will. Auch Memorial-Mitbegründer Oleg Orlow kam über den Deal vor einem Jahr frei, wohnt mittlerweile in Deutschland und organisiert von hier aus den Widerstand gegen die russische Führung mit. "Vor dem Krieg gegen die Ukraine haben Russland und Belarus einen Krieg gegen ihre eigene Zivilbevölkerung begonnen", sagt er. Die politischen Repressionen im Inland würden den Krieg gegen die Ukraine erst ermöglichen.
Der jüngste Freigelassene, der Deutsch-Russe Kevin Lick, zerreißt vor der Presse seinen russischen Pass. Er fühle sich dem Staat, der ihn wegen Hochverrat verurteilte, nicht zugehörig.
Größter Gefangenenaustausch seit dem Kalten Krieg
Am 1. August 2024 kam es für die Öffentlichkeit völlig unerwartet zu einem historischen Deal, bei dem der Westen und Russland 26 Häftlinge austauschten. Der Westen übergab zehn russische Inhaftierte - unter anderem Spione und einen verurteilten Mörder. Im Gegenzug kamen 16 politische Häftlinge frei, darunter Journalisten, politische Aktivisten und Privatpersonen - unter anderem mit amerikanischem, deutschen und russischen Pass.
Der bekannteste Häftling: der russisch-amerikanische Journalist des Wall Street Journals, Evan Gershkovich. Die Übergabe erfolgte in der Türkei. Im Gegenzug durfte der sogenannte Tiergartenmörder Wadim Krassikow aus einem deutschen Gefängnis nach Russland ausreisen. Noch im August 2024 wurden Spiegel-Recherchen öffentlich, laut denen ursprünglich auch der bekannteste Putin-Kritiker Alexej Nawalny befreit werden sollte. Er war jedoch im Februar desselben Jahres in einem russischen Straflager in Sibirien gestorben. Die Umstände seines Todes sind bis heute nicht geklärt.
Offener Brief an Staats- und Regierungschefs
In ihren Reden am Freitag in Köln bedanken sich die sechs anwesenden Befreiten zunächst bei der vorherigen deutschen Regierung und den Ärzten des Bundeswehrkrankenhauses in Koblenz, die sich in den Tagen nach dem Austausch um sie kümmerten. Gleichzeitig appellieren sie an die "Staats- und Regierungschefs der Welt". Jedes Mal, wenn der Westen mit Putin verhandele, müsse er auch über die noch inhaftierten Gefangenen in Russland und in Belarus sprechen.
"Das Wichtigste in Haft ist das Gefühl, nicht vergessen zu werden", sagt der belarusische Menschenrechtsaktivist Leonid Sudalenka von Memorial. Am Schluss unterschreiben neun ehemals Gefangene und Mitstreiter von Memorial vor laufenden Kameras einen offenen Brief. Für den russischen Oppositionspolitiker und Journalisten Wladimir Kara-Mursa, der sich in den USA einem medizinischen Eingriff unterziehen muss, unterschreibt dessen Mutter Elena Gordon. Außerdem unterschreibt ein ehemaliges befreites Team-Mitglied von Alexej Nawalny, Vadim Ostanin.
Anklage wegen Hochverrats
German Moyzhes war bis zu seinem Austausch nicht öffentlich bekannt. Der Deutsch-Russe war als Kind aus Russland nach Deutschland gekommen und bei Köln aufgewachsen. Nach dem Abitur und einem Wirtschaftsrecht-Studium in Deutschland habe er die letzten zehn Jahre vor allem in St. Petersburg gewohnt und dort als Jurist russische Top-Manager und Führungskräfte in Visa-Angelegenheiten beraten. Außerdem gründete er einen Verein, mit dem er sich für mehr Radwege in St. Petersburg einsetzte und kam damit sogar ins russische Fernsehen.
Seine internationalen Kontakte und sein deutscher Pass, so vermutet er heute, seien im Hinblick auf den Gefangenaustausch attraktiv gewesen für den Kreml. Genau wisse er es aber nicht. Etwa zwei Monate vor dem Austausch sei er, ironischerweise auf dem Fahrrad, auf offener Straße festgenommen worden. Die Anschuldigung gegen ihn lautete damals Hochverrat, die Strafe dafür sei lebenslang. Die zwei Monate Untersuchungshaft im Lefortowo-Gefängnis in Moskau beschreibt er als Zeit, in der er fair behandelt wurde. Allerdings habe er nicht damit gerechnet, so schnell freizukommen.
Er denke nicht mehr jeden Tag an seine Haft. Dennoch sei er seitdem sensibilisiert für das Schicksal vieler anderer Inhaftierter, habe auch viel an die israelischen Geiseln denken müssen, die am 6. Oktober 2023 von der palästinensischen Terrororganisation Hamas verschleppt wurden. German Moyzhes hofft, dass er eines Tages wieder nach Russland zurückkehren kann.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.