Coburg war ein frühes Zentrum des Nationalsozialismus. Nach langer Auseinandersetzung erinnern Gedenktafeln an das jüdische Leben in der Stadt. Angereist ist auch eine Israelin, deren Großmutter 1938 fliehen musste.
Dana Levy steht inmitten von Grabsteinen, auf dem alten jüdischen Friedhof in Coburg. Ihre Hände zittern etwas, sie hält ihr Handy, liest ein Gebet ab. "Das ist ein emotionaler Tag für mich", sagt sie. Dana ist aus Israel in die oberfränkische Stadt gereist, sie will mehr über das Schicksal ihrer Großmutter Edith herausfinden. Diese musste aus Coburg fliehen, als sie zwölf Jahre alt war, im Jahr 1938. Lange wusste Dana nicht, was Edith als Kind erlebt hat.
Begleitet wird sie von Gaby Schuller, Coburgerin. Zu lange sei über den dunklen Teil der Coburger Stadtgeschichte geschwiegen worden. Jetzt blicken Gaby und Dana auf eine großen Metallstele, noch in schwarze Folie verhüllt, die hier am Tor des jüdischen Friedhofs aufgestellt wurde. Mit den Erinnerungstafeln will sich Coburg jetzt der Geschichte stellen, in wenigen Stunden sollen sie enthüllt werden. "Endlich!", sagt Gaby Schuller, "Noch wissen wir ja nicht, wie sie aussehen wird, was genau draufsteht, aber es ist wichtig. Und großartig."

Neben Dana sind 24 weitere Nachfahren Coburger Jüdinnen und Juden in die Stadt gereist.
"Auch hier auf dem Markt ist es passiert"
Für die feierliche Eröffnung der Stelen sind neben Dana 24 andere Nachfahren Coburger Jüdinnen und Juden angereist, aus den USA, Großbritannien, der Schweiz. Gaby Schuller führt sie durch die historische Innenstadt. "Wow, wie konnte in so einer schönen Stadt so Furchtbares passieren?", fragt einer der Nachfahren.
Auf dem Coburger Marktplatz stoppt die Gruppe. In der Mitte thront prominent ein Denkmal, seit 160 Jahren: der Coburger Prinz Albert. Als Ehemann der englischen Queen Victoria verhalf er dem einstigen Herzogtum zu Weltruhm. Doch jetzt stehen auch auf dem Markt, nur wenige Meter entfernt, neue Denkmäler, ebenfalls noch verhüllt.
Gaby Schuller zeigt auf sie. Auf den Stelen wird zu lesen sein, wie Coburg frühes Zentrum der Nationalsozialisten wurde. "Auch hier auf dem Markt ist es passiert", sagt sie. "Die jüdischen Familien wurden zusammengetrieben, Kinder, Frauen, Männer, hier vor dem Rathaus. Außenrum standen die anderen Coburger, meine Leute, haben sie angeschrien und angebrüllt. Das ist für mich noch immer eine furchtbare Vorstellung."

Gaby Schuller und die Historikerin Eva Karl erinnern an die NS-Vergangenheit der Stadt.
Etwas später, in einem Coburger Wirtshaus. Coburger Klös und Sauberbraten werden serviert, dazu Kellerbier. Die Stadt Coburg hat für die Gruppe eine Fragestunde mit der Historikerin Eva Karl organisiert. Sie hat im Auftrag der Stadt die Rolle Coburgs in der NS-Zeit erforscht und ein Buch dazu geschrieben, Titel: "Coburg voran." Schon im Jahr 1922 entdeckte Adolf Hitler die Stadt für sich, probte in Coburg Straßenterror und Aufmärsche, besuchte die Stadt 14 mal. Als erste deutsche Stadt wählte Coburg die NSDAP zur stärksten Partei im Rathaus.
Dana kämpft immer wieder mit den Tränen. Ihre Großmutter erzählte wenig von der Kindheit in Coburg, eine Geschichte aber ist geblieben. "Da haben Männer mit schwarzen Mänteln an der Tür geklopft", sagt Dana. "Sie haben nach ihrem Vater gefragt. So hat es unsere Oma erzählt, sie hatte sich im Schrank versteckt. Ich denke, das war der Wendepunkt. Sie haben entschieden, aus Deutschland zu fliehen."
Mehr als 300 Jüdinnen und Juden lebten vor dem Holocaust in Coburg. 36 wurden direkt in Konzentrationslager deportiert, das jüdische Leben in der Stadt komplett ausgelöscht.
Langer Weg zur Aufarbeitung
Mit der Aufarbeitung habe sich Coburg lange schwergetan, sagt Historikerin Karl. "Letztendlich waren es Privatinitiativen und Einzelpersonen, die diesen Teil der Geschichte aufdecken wollten, das Schweigen brechen wollten. Es war dafür aber nötig, dass die Generation, die damals beteiligt war, gestorben ist und man nun etwas neutraler an die Sache herangehen kann." Seit einigen Jahren schließlich treibt auch das SPD-geführte Rathaus die Aufarbeitung der Geschichte voran.
Später Nachmittag, Spitalgasse, vor einem opulenten Gebäude, einst ein jüdisches Kaufhaus. Nachfahre Jeffrey enthüllt im Beisein des Oberbürgermeisters offiziell die erste Stele. Auf 14 Stationen ist ab sofort zu sehen und zu lesen, wie integriert die jüdische Gemeinde in Coburg war, und wie all das zerstört wurde.
Dana und Gaby stehen unmittelbar daneben, sind zufrieden. Für Dana ist der Pfad der Erinnerung wichtig. "Mir gibt das tatsächlich auch Hoffnung", sagt die Israelin. "Dass sich Bildung lohnt, dass so ein gewaltfreies Leben möglich ist, auch nach großen Kriegen und dunklen Zeiten, dass Ko-Existenz wirklich gelingen kann." Dana will wiederkommen, dann mit ihren Kindern, um auch ihnen die Heimat der Großmutter zu zeigen.
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