Die Bundesregierung will Israel keine Rüstungsgüter mehr liefern, die im Gaza-Krieg zum Einsatz kommen könnten. Das stößt vor allem in CDU und CSU auf massive Kritik. Einige sehen gar eine Abkehr von der deutschen Staatsräson.
Die Entscheidung der Bundesregierung, Israel keine Rüstungsgüter für den Gaza-Krieg mehr zu liefern, trifft in CDU und CSU auf geteilte Reaktionen. Nach Angaben von ARD-Hauptstadtkorrespondent Jan-Peter Bartels "rumort es ziemlich". In den internen WhatsApp-Gruppen gebe es viel Empörung, so die Aussage eines Unions-Politikers, mit dem er gesprochen habe. Das habe dieser lange nicht erlebt.

Jan-Peter Bartels, ARD Berlin, Kritik aus der Union gegen teilweisen Waffenstopp für Israel
tagesschau, 09.08.2025 17:00 Uhr"Schwerer Fehler und verheerendes Signal"
Öffentlich äußerte sich der CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter. Er bezeichnete die Entscheidung als "schweren politischen und strategischen Fehler Deutschlands". Die Glaubwürdigkeit der deutschen Staatsräson bemesse sich gerade an der Sicherheitskooperation und der Zusage, jüdisches Leben und den Staat Israel zu schützen, schrieb Kiesewetter auf der Plattform X.
Deutschland beuge sich einem "antisemitischen Mob der Straße" und der "kognitiven Kriegsführung einer gnadenlosen Hamas-Propaganda". Damit werde keine einzige Geisel befreit und keinem Kind in Gaza geholfen. Deutschland verliere an Glaubwürdigkeit und belaste die gewachsene Freundschaft zu Israel.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, Matthias Hauer (CDU), schrieb ebenfalls auf X: "Ich halte es für einen schweren Fehler und ein verheerendes Signal, dass Deutschland seine Waffenlieferungen an Israel einschränkt." Laut Bild wurde für Sonntag eine Sitzung per Video der Arbeitsgruppe für Außenpolitik der Unionsfraktion angesetzt.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Müller verurteilte die Entscheidung der Bundesregierung "aufs Schärfste". Sie übersehe auch, "wie wichtig die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Israel für Deutschland ist, um die Bundeswehr und die NATO zu stärken", schrieb er auf X.
"Zumindest erklärungsbedürftig"
Auch in der Schwesterpartei CSU stieß die Entscheidung auf heftige Kritik. Bemängelt wurde, dass die Partei an der Entscheidung nicht beteiligt gewesen und davon überrascht worden sei.
Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Hoffmann, hatte der Bild-Zeitung gesagt, er halte die Entscheidung zudem für bedenklich. "Das wäre eine Abkehr von Jahrzehnten außenpolitischer Kontinuität gegenüber Israel und als solche zumindest erklärungsbedürftig." Hoffmann kündigte dazu interne Gespräche in der Koalition an.
Ähnlich ablehnend zur Entscheidung der Regierung äußerte sich der CSU-Ehrenvorsitzende und langjährige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. Er sprach in der Bild von einer "Fehlentscheidung". "Dieser außenpolitische Fehler wird lange fortwirken", sagte er.
CSU offenbar über Entscheidung nicht informiert
Der Münchner Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger warnte in der Augsburger Allgemeinen: Man müsse sich fragen, "was passiert, wenn die israelische Regierung den Spieß umdreht und wir auch keine Unterstützung mehr aus Israel bekommen - sei es bei der Luftabwehr oder bei Mossad-Informationen zur Terrorabwehr".
Der außenpolitische Experte der CSU, Stephan Mayer, forderte eine klare Differenzierung: "Für mich ist es entscheidend, zwischen offensiven Waffen und defensiven Systemen wie Luft- und Raketenabwehr klar zu unterscheiden", betonte er im Gespräch mit der Zeitung. "Solche Schutzsysteme müssen weiterhin möglich sein - selbstverständlich nach strenger Einzelfallprüfung und in enger Abstimmung mit unseren Partnern."
ARD-Hauptstadtkorrespondent Bartels berichtete, kritisiert werde der Kommunikationsstil des Kanzlers. Ein CSU-Politiker habe ihm gesagt, Merz habe eine "so große Sache aus dem Stegreif" gemacht - es hätte besser vorbereitet werden können. Viele hätten sich gewünscht, eingebunden zu sein. Bei einer geplanten Videokonferenz am Sonntag könnte das Gesprächsklima belastet sein, da Kanzler Merz seine Entscheidung nicht zurücknehmen könne.
"Staatsräson abgehakt?"
Eine scharfe Reaktion kam auch von der Jungen Union. "Staatsräson abgehakt? Ein Bruch mit den Grundsätzen der Unionspolitik", schrieb die Nachwuchsorganisation auf Instagram. Der JU-Vorsitzende und CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Winkel schrieb auf X: "Israel macht ab heute die Drecksarbeit für uns, nur ohne deutsche Waffen."
"Abweichende Meinungen in Demokratie normal"
Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Thomas Röwekamp, verteidigte den Beschluss von Merz hingegen. "Diese Entscheidung ist eine Entscheidung, die die deutsche Bundesregierung gemeinsam getroffen hat und die auch gemeinsam getragen wird", sagte der CDU-Politiker in den tagesthemen. Dies sei "kein Bruch mit bisheriger Tradition und auch keine Einschränkung unserer uneingeschränkten Solidarität mit Israel".
Der Kritik daran vor allem aus den eigenen Reihen der Union wollte Röwekamp kein großes Gewicht beimessen: "Dass es dazu auch abweichende Meinungen gibt, ist in einer Demokratie normal", betonte er.
Die Entscheidung der israelischen Regierung, neben dem Kampf gegen den Terror nun auch zum Beispiel die Einnahme einzelner Städte im Gazastreifen auf die Agenda zu setzen, nannte er "eine neue Qualität" - und die werde man aus Deutschland "mit militärischen Lieferungen nicht unterstützen".
Der Chef des Kanzleramts, Thorsten Frei, stellte klar: "Es darf überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass die Grundlinien der deutschen Israel-Politik unverändert bleiben." Das Aussetzen bestimmter Exporte beziehe sich auf Rüstungsgüter, die im Gazastreifen eingesetzt werden könnten, so der CDU-Politiker. Nicht betroffen sei "all das, was der Selbstverteidigung Israels dient, also beispielsweise im Bereich der Luftabwehr, der Seeabwehr".
Merz vollzieht Kurswechsel
Israel hatte am Freitag angekündigt, seinen Militäreinsatz im Gazastreifen auszuweiten und die Stadt Gaza einnehmen zu wollen. Dies stieß im eigenen Land, darunter auch bei Angehörigen der in der Gewalt der Terrororganisation Hamas befindlichen Geiseln, zum Teil auf heftige Ablehnung.
Die Bundesregierung vollzog daraufhin einen Kurswechsel bei den Waffenlieferungen an das Partnerland. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) kündigte an, dass vorerst keine Ausfuhren von Rüstungsgütern genehmigt würden, die in diesem Krieg verwendet werden könnten. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu warf Deutschland daraufhin vor, mit der Entscheidung die militant-islamistische Hamas zu belohnen.
Die Bundesregierung hatte bislang einen Stopp von Rüstungsexporten nach Israel abgelehnt. Im Oktober vergangenen Jahres wurden die Genehmigungen für Rüstungslieferungen von der Ampelkoalition sogar ausgeweitet. Seit dem Terrorangriff der Hamas vor fast zwei Jahren, der zum Gaza-Krieg geführt hatte, genehmigte sie Rüstungsexporte für fast eine halbe Milliarde Euro.
Unterstützung aus der SPD
Unterstützung erhielt Merz für sein Vorgehen von Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD): "Dem Staat Israel gilt unsere volle Solidarität, aber Falsches muss benannt werden", erklärte der Bundesfinanzminister. Die SPD-Fraktion hatte seit längerem auf mehr Härte gegen Israel gedrungen und verschiedene Sanktionen, darunter auch den Militär-Boykott, ins Gespräch gebracht.
Dem SPD-Außenexperten Adis Ahmetovic ging die Entscheidung nicht weit genug: "Es müssen noch weitere folgen, wie eine Ganz- oder Teilaussetzung des EU-Assoziierungsabkommens oder die medizinische Evakuierung insbesondere von schwer verletzten Kindern", sagte er dem Magazin Stern. Zudem dürften Sanktionen gegen israelische Minister kein Tabu mehr sein.
Georg Schwarte, ARD Berlin, tagesschau, 09.08.2025 11:02 UhrHaftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.