AfD-Chefin Weidel behauptete im ARD-Sommerinterview, Ausländer würden das Bürgergeldsystem belasten, ohne je eingezahlt zu haben. Das ist zu pauschal. Zudem überschätzt sie den Anteil Deutscher mit Migrationshintergrund im Bürgergeld.

Seit der Einführung im Jahr 2023 ist das Bürgergeld ein heiß diskutiertes Thema in der Politik. Mitunter wird die Diskussion jedoch mit falschen Aussagen und Behauptungen geführt. So thematisierte auch AfD-Parteichefin Alice Weidel das Bürgergeld im ARD-Sommerinterview am Sonntag.

Weidel sagte: "Die Hälfte der Bürgergeldempfänger sind Ausländer. Die haben nie in dieses Sozialsystem eingezahlt. Und die andere Hälfte hat zu drei Viertel einen Doppelpass. Sie haben Migrationshintergrund." Der Steuerzahler alimentiere Menschen, die nie ins deutsche Sozialsystem eingezahlt hätten, sagte sie weiter und forderte im Laufe des Gesprächs die Streichung des Bürgergelds für Ausländer.

Weidels Annahme, dass nur ein Bruchteil Deutscher ohne Migrationshintergrund Bürgergeld bezieht, ist falsch und lässt sich anhand der erfassten Daten nicht belegen.

Falsche Grafik suggeriert Ähnliches

Auch eine Grafik des rechtsalternativen Blogs "Tichys Einblick" verbreitet ähnliche Aussagen. Der Post, der alleine bei X mehr als 400.000 Aufrufe hat, soll belegen, dass lediglich 17,4 Prozent der Bürgergeldbeziehenden Deutsche seien. 34,8 Prozent seien zwar Deutsche, hätten aber einen Migrationshintergrund und 47,8 Prozent seien Ausländer.

Als Quellen werden die Bundesagentur für Arbeit (BA) und das Statistische Bundesamt (Destatis) angegeben. Doch diese Zahlen lassen sich so gar nicht in den jeweiligen Datensätzen finden. Zudem zeigt sich: Die Angaben zum Anteil an Deutschen ohne Migrationshintergrund und der Anteil an Deutschen mit Migrationshintergrund sind anscheinend vertauscht worden.

Die gezeigten Zahlen der Grafik von "Tichys Einblick" weichen von den Angaben der Bundesagentur für Arbeit und dem Statistischen Bundesamt ab.

Keine Daten zu Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit

Daten zum Migrationshintergrund veröffentlicht die BA vierteljährlich. Doch "Daten zu Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit liegen nicht vor", teilt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auf Anfrage mit, da das BA diese Daten gar nicht erhebe.

Zum Migrationshintergrund befragt werden erwerbsfähige Leistungsberechtigte (ELB) bei Antragstellung des Bürgergelds. Dazu zählen Menschen, die zwischen 15 und 67 Jahren alt sind, in Deutschland leben, mindestens drei Stunden pro Tag arbeiten können oder hilfsbedürftig sind, weil sie so wenig verdienen, dass sie unter dem Existenzminimum bleiben.

Die Angaben zum Migrationshintergrund sind freiwillig und werden nicht überprüft, so dass ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit gegenüber dem ARD-faktenfinder betont, dass die Zahlen mit Unsicherheiten behaftet seien. Als Migrationshintergrund werden sowohl Personen gezählt, die selbst zugewandert sind als auch Personen, bei denen mindestens ein Elternteil zugewandert ist.

Die aktuellsten verfügbaren Zahlen zeigen: Im Dezember 2024 wurden rund 3,94 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtige erfasst, darunter etwas mehr als 2 Millionen (51 Prozent) Deutsche und 1,86 Millionen Ausländer (47 Prozent). 15 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten gaben an, die deutsche Staatsbürgerschaft und einen Migrationshintergrund zu haben, 36 Prozent verneinten dies, 2 Prozent gaben dazu keine nähere Auskunft. Das bedeutet, dass unter den 2 Millionen deutschen Staatsbürgern 71 Prozent (1,43 Millionen) keinen Migrationshintergrund haben, 29 Prozent (590.007) hingegen schon.

Im Vergleich zu diesen hochgerechneten Angaben kommt die Statistik "Migration und Arbeitsmarkt" der Bundesagentur für Arbeit aus Dezember 2024 mit leichten Abweichungen zu ähnlichen Ergebnissen: 52,5 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten sind Deutsche und 47,5 Prozent Ausländer.

Auch Zahlen des Statistischen Bundesamts unterscheiden sich nicht groß von denen der BA: 49,5 Prozent der Personen im Bürgergeld sind demnach Ausländer und 50,5 Prozent Deutsche. Knapp 34 Prozent der Personen geben an, deutsche Staatsangehörige zu sein und keinen Migrationshintergrund zu haben, 16,74 Prozent hingegen schon.

Das Statistische Bundesamt teilt allerdings auf Anfrage mit, dass die Zahlen nicht geeignet seien, "die absolute und vollständige Zahl der Bürgergeldempfänger/-innen zu ermitteln", da es sich beim Mikrozensus um "hochgerechnete Werte einer Stichprobe" von einem Prozent der Gesamtbevölkerung handele. Konkret wurden die Befragten gefragt, woraus sie überwiegend die Mittel ihres Lebensunterhaltes speisen. Setzen sich diese aus verschiedenen Quellen zusammen, wie beispielsweise bei sogenannten Einkommensaufstockern, wird das in der Erhebung nicht erfasst.

Weidels Vorwurf "zu pauschal"

826.000 Personen haben ihr Einkommen im Jahr 2024 mit Bürgergeld aufgestockt - das sind rund 21 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsbeziehenden (ELB). Im November 2024 waren rund 410.000 ausländische ELB erwerbstätig und darunter seien 210.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte gewesen, teilt Andreas Hauptmann vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) auf Anfrage mit. Insgesamt standen rund 1,8 Millionen aller Bürgergeldempfänger dem Arbeitsmarkt zur Verfügung - ein Anteil von 45 Prozent.

Der Vorwurf Weidels, alle ausländischen Staatsangehörigen im Bürgergeld hätten nie in die Sozialsysteme eingezahlt haben, sei also zu pauschal, sagt Hauptmann. Auch eine ausländische Person, die Bürgergeld bezieht, kann in die Sozialsysteme eingezahlt haben. "Ein Teil der ausländischen Staatsangehörigen hat vorher gearbeitet und Beiträge gezahlt", so der wissenschaftliche Mitarbeiter des IAB.

Zudem sei der Bürgergeldbezug nicht an eine vorherige Einzahlung gekoppelt. Dies gelte für alle Personen, deutsche wie ausländische Staatsangehörige. Kinder und Jugendliche könnten beispielsweise noch gar nicht eingezahlt haben, unabhängig von der Staatsangehörigkeit, erläutert Hauptmann.

Bürgergeld ist "das verfassungsmäßige Existenzminimum"

"Das Bürgergeld ist keine Versicherungsleistung sondern das verfassungsmäßige Existenzminimum, damit niemand in Deutschland verhungern muss", sagt auch Helena Steinhaus, Gründerin und Geschäftsführerin des Vereins Sanktionsfrei. Es sei ein soziales Netz für Menschen in Not - unabhängig von ihrer Herkunft. "Wer Bürgergeld bezieht, tut das nicht leichtfertig und schon gar nicht freiwillig", sagt Steinhaus.

Bürgergeld richtet sich an Menschen, die keinen Anspruch auf Leistungen aus einer beitragsfinanzierten Versicherung wie der Arbeitslosenversicherung haben. Aufgrund dessen werde das Bürgergeld auch nicht aus Sozialversicherungsbeiträgen gezahlt, sondern aus Steuern.

Geregelt ist dies in §46 des zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Bund trägt die Kosten für das Bürgergeld sowie die Verwaltungskosten der Bundesagentur für Arbeit. Das Bürgergeld finanziert sich also direkt aus dem Bundeshaushalt, anders als das Arbeitslosengeld I, das mithilfe der Arbeitslosenversicherung gezahlt wird.

Hoher Anteil ukrainischer Geflüchtete

Asylbewerber sind vom Bürgergeld ausgeschlossen. Sie erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die jedoch niedriger ausfallen als das Bürgergeld. "Erst, wenn der Aufenthaltsstatus geklärt ist bzw. der Asylantrag genehmigt wurde, hat man Anrecht auf Bürgergeld", erläutert Steinhaus.

Eine Ausnahme bilden ukrainische Kriegsgeflüchtete, was sich erheblich auf die Statistik der Bürgergeldbezieher auswirkt. So lag der Anteil der Ukrainer bei ausländischen ELB im Januar 2022 noch bei 1,1 Prozent. Mit Ausbruch des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine stieg der Anteil im Juni 2022 auf 18,8 Prozent. Für die Jahre 2023 und 2024 machen sie rund 26 Prozent der Ausländer im Bürgergeld aus, wobei Frauen fast 70 Prozent der Ukrainer in Deutschland ausmachen. Das spiegelt sich dementsprechend auch in der Anzahl der Ausländer in Bürgergeldbezug wider.

Im März 2025 lag der Anteil der erwerbsfähigen Bürgergeldempfänger an der gleichaltrigen Bevölkerung, die sogenannte ELB-Quote, bei 4,6 Prozent unter deutschen und bei 17,4 Prozent unter ausländischen Staatsangehörigen.

Das BMAS schreibt auf Anfrage: "Die aktuell hohe Zahl insbesondere ausländischer SGB II-Leistungsberechtigter ist vor allem auf die verstärkte Zuwanderung von Geflüchteten infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sowie auf Staatsangehörige der acht wichtigsten Asylherkunftsländer (TOP 8) zurückzuführen."

Gleichzeitig würden Staatsangehörige aus der Ukraine und den wichtigsten Asylherkunftsländern einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung der Sozialversicherung in Deutschland leisten. "So entfällt der gesamte Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung derzeit auf Personen aus diesen Staaten", schreibt das BMAS.

Beschäftigungsquote ausländischer Staatsangehöriger gestiegen

Auch Hauptmann bestätigt dies. "Die Beschäftigungsquote der ausländischen Staatsangehörigen ist von 39,7 Prozent im Januar 2010 auf 56,4 Prozent im April 2025 gestiegen. Berücksichtigt man nur die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gab es einen Anstieg von 31,6 Prozent auf 50,9 Prozent." Auch in absoluten Zahlen habe der deutsche Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren durch ausländische Beschäftigte profitiert. "Die Beschäftigung von ausländischen Staatsangehörigen ist im Zeitraum von 2010 bis 2022 um 3,3 Millionen Personen gestiegen und hat sich damit mehr als verdoppelt", so Hauptmann.

Gleichzeitig brauche die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten Zeit. "Für Personen, die seit 2013 als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind, liegt die Erwerbstätigenquote ab sieben Jahre nach dem Zuzug bei über 60 Prozent, während es ein Jahr nach der Ankunft nicht einmal 10 Prozent waren. Die Entwicklung des Leistungsbezugs verläuft genau umgekehrt", sagt Hauptmann.

Hinzu käme laut Steinhaus, dass viele Menschen mit Fluchterfahrung oder ohne deutschen Pass geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt oft trotz guter Qualifikation hätten. "Aus Armut macht Weidel hier ein moralisches Versagen. Dabei sind es oft strukturelle Gründe - prekäre Arbeitsverhältnisse, Krankheit, Diskriminierung -, die Menschen ins Bürgergeld bringen."

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