Der Brandenburger Verfassungsschutzes begründet auf 142 Seiten, warum er die Brandenburger AfD als "gesichert extremistische Bestrebung" einstuft. Wie genau argumentieren die Verfassungsschützer? Von Andreas B. Hewel und Christoph Hölscher.

  • Verfassungsschutz-Gutachten online geleakt
  • Brandenburger Landesverband der AfD darin als "gesichert extremistische Bestrebung" eingestuft
  • Vor allem Verstöße gegen die Menschenwürde, das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip werden als Gründe angeführt
  • Äußerungen von Brandenburger AfD-Vertretern deuten darauf hin, dass sie auf Sturz des politischen Systems hinarbeite
Brandenburger AfD-Gutachten angeblich im Internet einsehbar Am Donnerstag soll das Gutachten zur Brandenburger AfD durch den Verfassungsschutz öffentlich gemacht werden. Doch bereits am Montag veröffentlichte ein Onlineportal den angeblichen Vermerk. Das Innenministerium will die 142 Seiten zunächst prüfen.mehr

Das Gutachten des Brandenburger Verfassungsschutzes wurde auf einer Onlineplattform vorzeitig geleakt. Nach rbb-Informationen ist das Dokument authentisch. 622 Belege hat der Verfassungsschutz für seine Einschätzung gesammelt: vor allem Äußerungen von führenden Mitgliedern auf Pressekonferenzen, Parteitagen, Versammlungen, in Diskussionsrunden oder auf sozialen Medien. Sie belegen nach Ansicht des Verfassungsschutzes "eklatante Verstöße gegen Schutzgüter der freiheitlich demokratischen Grundordnung".
 
Die Behörde ist der Überzeugung, dass die AfD Brandenburg ihre verfassungsfeindlichen Bestrebungen seit der Einstufung als "extremistischer Verdachtsfall" im Jahr 2020 "weiter fortgesetzt und zuletzt erheblich intensiviert" habe. Dabei sei nicht entscheidend, ob sie ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen versuche. Auch sei es nach Ansicht des Verfassungsschutzes zulässig, Kritik an der Regierung und den "herrschenden Verhältnissen - am sogenannten System oder Regime" zu üben.
 
Allerdings deuteten Äußerungen von Vertretern der Brandenburger AfD darauf hin, dass sie auf eine "Abschaffung bzw. einen Sturz des politischen Systems" hinarbeite. Daher kommt der Verfassungsschutz in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass "keine Zweifel mehr an der extremistischen Ausrichtung des gesamten Landesverbandes" bestehen könnten. Er macht dies vor allem an Verstößen gegen die durch das Grundgesetz geschützte Menschenwürde sowie das dort verankerte Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip fest

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Verstöße gegen die Menschenwürde

Vor allem in den zahlreichen abwertenden und diskriminierenden Äußerungen von Brandenburger AfD-Vertretern gegenüber Migranten und Deutschen mit Migrationshintergrund sieht das Gutachten Verstöße gegen die Menschenwürde gemäß Artikel 1 des Grundgesetzes. Dabei ist die Thematisierung von "realen Problemen" wie "Terroranschlägen, Kriminalität und Gewaltereignisse" vor dem Hintergrund der "stark zugenommenen Zuwanderung" aus Sicht des Verfassungsschutzes als "unproblematisch anzusehen."
 
Problematisch seien aber pauschal herabsetzende Äußerungen gegenüber Zuwanderern. Das Gutachten listet dafür zahlreiche Belege auf: Der heutige Landtagsabgeordnete Roman Kuffert habe im August 2021 davon gesprochen, dass "Mörder, Terroristen und Vergewaltiger […] bald schon die deutschen Innenstädte bereichern" würden. Der Landtagsabgeordnete Volker Nothing habe im Mai 2023 auf Telegram von "kulturfremden und teils nicht integrierbaren und kriminellen Invasoren" geschrieben, der Landesvorsitzende René Springer im März 2023 von "Messermännern" gesprochen, die "irgendwann unsere Kinder töten". Von dem Brandenburger Bundestagsabgeordneten Steffen Kotré wird ein Post auf X von Januar 2025 zitiert: "Einwanderung ist immer auch Messereinwanderung."
 
Darüber hinaus bescheinigt der Verfassungsschutz führenden Vertretern des AfD-Landesverbands ein "ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis", das die Diskriminierung und Ungleichbehandlung deutscher Staatsbürger zur Folge habe. Vor allem letzteres führe dazu, dass Deutsche mit Migrationshintergrund aus Sicht "maßgeblicher Vertreter" der Brandenburger AfD "keine vollwertigen Mitglieder der Gesellschaft" seien.

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AfD-Abgeordnete spricht von "Passdeutschen"

So habe die Landtagsabgeordnete Lena Kotré bei einer Pressekonferenz im Februar 2025 abschätzig von "Passdeutschen" gesprochen. Bereits im September 2024 habe sie gefordert, dass einbürgerte Migranten, wenn sie nicht "unsere Werte hier" anerkennen, dieses Land, "genau wie die anderen auch, zu verlassen" hätten. Der Vorsitzende der Landtagsfraktion, Hans-Christoph Berndt, wird mit einer Aussage von August 2023 zitiert: "Volk hat etwas mit Abstammung zu tun und die Staatsbürgerschaft, die Summe der Staatsbürger […] sind nicht das Gleiche wie ein Volk".
 
Der Bundestagsabgeordnete Hannes Gnauck habe im August 2024 behauptet: "Es gehört mehr dazu, Deutscher zu sein, als einfach nur eine Staatsbürgerurkunde in der Hand zu haben." Der Landesvorsitzende René Springer wird mit einem Facebook-Eintrag von Januar 2024 zitiert, dass mit Migration eine "Zerstörung der natürlichen, nationalen Identität der einheimischen Mehrheitsbevölkerung" betrieben werde.
 
Das Fazit des Verfassungsschutzes: Mit der Menschenwürde gemäß Artikel 1 des Grundgesetzes sei ein "rechtlich abgewerteter Status oder demütigende Ungleichbehandlung" von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund nicht vereinbar. Außerdem verstoße eine Unterscheidung und Schlechterstellung von angeblichen "Passdeutschen" gegen das Diskriminierungsverbot, das in Artikel 3 des Grundgesetzes festgeschrieben ist.

Verstöße gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip

Ein weiterer Fokus der Beobachtung des AfD-Landesverbandes Brandenburg durch den Verfassungsschutz liegt darin, wie die AfD im gesamten Beobachtungszeitraum gegen Grundsätze des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips verstoßen habe. Durch Verächtlichmachung des Parlamentarismus und der politischen Verhältnisse, so der Bericht, ziele die AfD darauf ab, politische Gegner oder Regierungen zu delegitimieren.
 
"Auch durch Verwendung von Begriffen wie 'Systemparteien' / 'Kartellparteien' werden wesentliche Bestandteile der verfassungsmäßigen Ordnung diffamiert und in Frage gestellt", heißt es in dem Bericht. "Politische Gegner wurden von AfD-Politikern im Wahlkampf 2024 mehrfach als Verbrecher, Verräter und Geisteskranke bezeichnet."

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AfD postuliert "homogenen Volkswillen"

Eine Mäßigung kann der Verfassungsschutz nicht ausmachen. Im Gegenteil. Die AfD, so der Bericht, habe ihre Kritik an den etablierten Parteien zu einer Grundsatzkritik des "Parteienstaates" ausgebaut. Den wolle sie abschaffen oder zum Einsturz bringen. Auch Meinungsvielfalt scheint von der AfD nicht gewünscht zu sein. So postuliert die AfD laut Bericht einen vermeintlich homogenen Volkswillen, den nur die AfD repräsentiere und den es gegen "volksverneinende" Eliten in Parteien, Staat und Medien durchzusetzen gälte.
 
So ruft der AfD-Bundestagsabgeordnete Hannes Gnauck dazu auf, keine "Volksverräter" nach Berlin zu schicken. Den Bundestag bezeichnet er als eine "Versammlungsstätte von Befehlsempfängern" und spricht von "Tyrannei" in der Bundesrepublik.
 
Der Fraktionschef der AfD im Brandenburger Landtag, Hans-Christoph Berndt, denunziert politische Gegner als "volksverneinende Eliten", die sich den Staat zur Beute gemacht hätten. Der Landtagsabgeordnete Marlon Deter attestiert: "Wir werden das Imperium der Kartellparteien zum Einsturz bringen." Dennis Hohloch, der parlamentarische Geschäftsführer der AfD im Landtag, lehnt gar "diesen Parteienstaat grundsätzlich ab". Der Landtagsabgeordnete Lars Hünich verkündet, "wenn wir morgen in der Regierung sind, werden wir diesen Parteienstaat abschaffen".

Rote Linie überschritten

Explizit erklärt der Verfassungsschutz im Bericht, "dass scharfe oder polemische Kritik an der Regierung nicht gegen das Demokratieprinzip verstößt". Auch dürften grundlegende Veränderungen der politischen Verhältnisse angestrebt werden.
 
Doch es gebe eine rote Linie, die nicht überschritten werden dürfe: "den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung", so der Bericht. "Verlässt eine Partei jedoch dann, wenn sie den Parlamentarismus und die politischen Verhältnisse verächtlich macht, ohne aufzuzeigen, auf welchem Weg sie sonst dem Grundsatz der Volkssouveränität Rechnung tragen und die Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses gewährleisten will". Mit der Vorstellung eines homogenen Volkswillens, wie ihn die AfD postuliert, ist dieser Grundsatz der Volkssouveränität nicht vereinbar.
 
Auch das Rechtsstaatsprinzip zieht die AfD laut Gutachten regelmäßig in Zweifel. Immer wieder stelle sie die Unabhängigkeit von Gerichten in Frage und unterstelle den Staatsanwaltschaften willfähriges Agieren nach Parteipolitik. Gleichwohl kündigen AfD-Politiker an, wie sie, sollten sie an die Regierung kommen, Polizei und Gerichte gegen politische Gegner hoffen, vorgehen lassen zu können.
 
Damit suggerieren sie, so der Bericht, dass die Gerichte nicht unabhängig seien und "eine ihnen ergebene Polizei und Justiz – nach einer Machtübernahme – Urteile fällen und Politiker zur Rechenschaft ziehen müsse". So wird der Landesvorsitzende René Springer zitiert. "Wir (die AfD) vertreten die Vernunft in diesem Land, die tagtäglich von dieser irren Regierung in Berlin verraten wird. Die Extremisten sitzen in Berlin auf der Regierungsbank, und die müssen weg und die Hälfte von denen muss in Handschellen abgeführt werden". Und auch der Landtagsabgeordnete Lars Hünich, kündigt an, nach einer erfolgreichen Wahl, dafür zu sorgen, dass "die Handschellen klicken".

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Vernetzung mit rechtsextremen Organisationen

Neben der Ausrichtung der AfD nimmt der Verfassungsschutz auch Berührungspunkte mit anderen, erwiesen rechtsextremen Organisationen oder Personen in den Blick. So ist der Fraktionsvorsitzende Hans-Christoph Berndt nach wie vor eng vernetzt mit der rechtsextremen Organisation "Zukunft Heimat", die er selbst mitgegründet hat.
 
Weitere Kontakte, oft Zusammenarbeit gibt es mit Organisationen wie "Ein Prozent", "Institut für Staatspolitik", dem "Compact-Magazin" oder der "Identitären Bewegung". Neben gemeinsamen Auftritten geht es über geteilte Inhalte und Solidaritätsbekundungen bis hin zu Geldspenden. Der Bericht führt hierfür seitenweise Belege an.

"Als erwiesen rechtsextremistisch einzustufen"

Im Fazit ergibt sich daraus für den Verfassungsschutz: "Die verfassungsfeindlichen Äußerungen und Verhaltensweisen prägen den Gesamtcharakter des AfD Landesverbandes".
 
Er fasst ebenfalls zusammen, dass dies kein Zufall oder nur vereinzelte Entgleisungen seien. "Maßgebliche Vertreter des AfD-Landesverbandes verunglimpfen politische Gegner und Vertreter des Staates, ziehen die Legitimität rechtsstaatlicher Verfahren und Entscheidungen in Zweifel, und dies in einer Weise, dass es nicht – und sei es polemisch – der Auseinandersetzung in der Sache dient, sondern auf eine generelle Verächtlichmachung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland zielt."
 
Der AfD-Landesverband, so lautet der Schlusssatz des Verfassungsschutzberichtes, sei "nunmehr nicht mehr als Verdachtsfall, sondern als erwiesen rechtsextremistisch einzustufen."

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 12.08.2025, 19:30 Uhr

Quelle: rbb24

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