Bisher ermittelte das Statistische Bundesamt Zahlen zur Armut nach zwei Methoden. Zuletzt wurden offenbar die Ergebnisse einer davon gelöscht. Mehr als eine Million Arme seien deshalb aus der Statistik verschwunden, so Kritiker.
30 teils prominente Armutsforscher werfen dem Statistischen Bundesamt vor, die Armutsquoten in Deutschland kleinrechnen zu wollen. Experten wie der langjährige Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, und der Kölner Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge beklagen in einem Protestbrief an die Präsidentin des Bundesamtes, Ruth Brand, die Statistiker hätten ihre Berechnungsmethode auf eine mögliche Variante reduziert und die Ergebnisse einer anderen Variante von der Homepage gelöscht.
Knapp eine Million Arme aus Statistik verschwunden
Schneider sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, der Vorgang sei brisant, da nach der verbliebenen Berechnungsmethode die Armutsquote deutschlandweit 2023 bei 15,5 Prozent gelegen habe, nach der gelöschten aber bei 16,6 Prozent. Die Armut sei damit "mal eben um mehr als eine Millionen Menschen geringer". Es dränge sich die Frage nach Manipulation oder zumindest einem interessengeleiteten Vorgehen auf.
Dass die Ergebnisse der zweiten Berechnungsmethode nicht mehr veröffentlicht würden und nach Darstellung der Autoren sogar rückwirkend gelöscht wurden, betrachten die Unterzeichner als einen nicht akzeptablen Eingriff in die wissenschaftliche Freiheit.
Behördliche Willkür?
Es grenze "an behördliche Willkür, wenn ein Bundesamt Ergebnisse von allgemeinem wissenschaftlichen und öffentlichen Interesse zurückhält und damit die gesamte Fachdiskussion und öffentliche Rezeption beschnitten werden". Die Autoren des Briefes fordern Brand auf, die Entscheidung rückgängig zu machen.
Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens hat. Die Berechnungsmethoden unterscheiden sich insbesondere bei der Definition und Erfassung des Haushaltsnettoeinkommens.
Bundesamt: Bessere Vergleichbarkeit durch Umstellung
Das Statistische Bundesamt begründet die Umstellung mit einer EU-weiten Vergleichbarkeit. Bei dieser Methode würden die Einkommensarten jeweils einzeln und ausführlich abgefragt, statt nur als Gesamtsumme, so die Behörde.
So könne eher als im bisherigen Verfahren vermieden werden, dass Auskunftspflichtige Einkommen, die insbesondere nicht aus Erwerbsarbeit stammen, unberücksichtigt bleiben. Das betreffe zum Beispiel staatliche Leistungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag, BAföG, Pflegegeld oder Wohngeld.
Die Armutsforscher lassen das nicht gelten. In ihrem Protestbrief kritisieren sie die Ansicht, wonach die neue Methode methodisch überlegen sei.
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