Bundestagspräsidentin Klöckner hat eine Parteiveranstaltung in den Räumen eines Unternehmers besucht, der die umstrittene Internetseite Nius finanziert. Wie sie mit Kritik daran umgeht, wirft Fragen auf.
Mehrmals wehte am Christopher Street Day auf dem Reichstagsgebäude die Regenbogenfahne. Dieses Jahr nicht. Und wenn Abgeordnete mit dem Symbol für Vielfalt die eher fahlen Büroräume um einen solchen politischen Farbklecks bereichern wollten, kommt seit kurzer Zeit laut Linken-Abgeordnete Stella Meredino auch mal die im Bundestag zuständige Bundespolizei zu Besuch.
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner begründet den neuen Flaggen-Umgang mit der gebotenen Neutralitätspflicht ihres Hauses.
CDU-Sommerfest mit Nius-Finanzier
Schon seit Längerem wird Klöckner jedoch selbst ihr Verhältnis zur Neutralität vorgeworfen. Jetzt erheben Kritiker neue Vorwürfe, nachdem die Bundestagspräsidentin und CDU-Bundestagsabgeordnete am Sonntag den "Sommerempfang der CDU Koblenz" in ihrem Nachbar-Wahlkreis besuchte.
Veranstaltungsort war das "Innovationszentrum" des Koblenzer Unternehmens CompuGroup Medical (CGM). Software für Arztpraxen und Apotheken machte CGM zu einem der größten Arbeitgeber in der Region. CGM-Gründer und Verwaltungsratsvorsitzender ist Frank Gotthardt, parteilos und Ehrenvorsitzender des rheinland-pfälzischen CDU-Wirtschaftsrats.
Gotthardt gründete und finanziert aber auch die als rechtspopulistisch geltende Internetseite Nius, der Medienaufsicht, Journalistenverbände und Medienbeobachter mangelhafte journalistische Sorgfalt vorwerfen. Nius bezeichnet die Regenbogenflagge als "ein Machtinstrument linker Identitätspolitik", sie stehe für "den Machtanspruch einer linken und kollektivistischen Elite".

Der Unternehmer Gotthardt ist parteilos und Ehrenvorsitzender des rheinland-pfälzischen CDU-Wirtschaftsrats.
Zuletzt war die Internetseite in die Kritik geraten, weil sie an der Kampagne mit diffamierenden Aussagen gegen die SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf, beteiligt gewesen sein soll. Aus der Uneinigkeit der Union erwuchs eine Belastungsprobe für die Koalition.
Kritik am Koblenzer Stelldichein kam nicht nur aus anderen politischen Lagern, auch aus der eigenen Partei: "Der 'erfolgreiche Mittelständler' finanziert das Hetzportal Nius, das die AfD promotet und mit Kampagnen gegen die CDU zu Felde zieht", schrieb beispielsweise der CDU-Politiker Ruprecht Polenz auf Facebook. "Bei Gotthardt mag feiern wer will. Die CDU sollte das nicht sein."
Appell zu Meinungsvielfalt
Nach diesen Vorgeschichten stand Klöckner nun am Rednerpult. Die Einladung hatte einen Rede über die ersten 100 Tage neuer Bundespolitik erwarten lassen: "Die Politik in Berlin ist in Bewegung und es gibt viel zu berichten", hieß es auf der Faltkarte.
Doch Klöckner redete über ihre Vorstellungen von Meinungsvielfalt und Medien. Die anwesenden Journalisten sprach sie eingangs direkt an: "Ich kann erahnen, warum sie da sind: Es ist kein politisches, inhaltliches Thema wie Rente oder Wirtschaftsstandort. Sondern: Gibt es hier eine Kontroverse oder etwas, das sich aufschaukeln lässt?"
Die Neutralitätspflicht ihres Amtes schien sie mit einem Appell zu Meinungsvielfalt an die beiden politischen Ränder erfüllen zu wollen: "Gruppierungen" sollten sich nicht mit einer Partei der Mitte bei einem erfolgreichen Unternehmer, Arbeitgeber und Steuerzahler beschäftigen, sondern damit, wie die Demokratie stabilisiert werden könne. Meinungen seien zu respektieren, solange sie der Verfassung entsprächen. Man müsse weg von Gesinnungsschubladen für rechts oder links: "Blockbildungen tun unserer Gesellschaft nicht gut", sagte Klöckner.
Im selben Atemzug stellte sie Gotthardts Nius und die Tageszeitung taz gegenüber: Die taz vertrete das sehr linke Spektrum, das Medium von Herrn Gotthardt sei auf der anderen Seite. Aber in der Methodik seien sich beide "nicht so sehr unähnlich", sagte Klöckner. "Aber das ist ausdrücklich in unserer Demokratie erlaubt. Deshalb cancele ich weder einen Finanzier der taz noch cancele ich Frank Gotthardt ab."
Kritik des Journalistenverbandes
taz und Nius zu vergleichen ist nach Ansicht des Deutschen Journalistenverbands für eine Person im zweithöchsten Amt des Staates medienpolitisch ein Übergriff: "Ich frage mich, ob die Bundestagspräsidentin das deutsche Medienspektrum so wenig kennt, wie ihre Aussage vermuten lässt, oder ob sie politisches Kalkül verfolgt, indem sie die renommierte taz in die linksextreme Ecke schiebt", sagt DJV-Bundesvorsitzender Mika Beuster.
"Wenn das der Befreiungsschlag sein sollte, weil Julia Klöckner vor dem vom Nius-Geldgeber gesponserten Sommerempfang der CDU Koblenz zurecht massiv in der Kritik stand, ist er in die Hose gegangen. Ich empfehle der Bundestagspräsidentin, sich von populistischen Medien fernzuhalten. Die taz gehört eindeutig nicht dazu."
Rede teils wortgleich übernommen
Klöckners Rede schien sehr kurzfristig entstanden zu sein. Dafür spricht die von der Einladung abweichende Schwerpunktsetzung. Und einige Passagen ihrer Rede finden sich wortgleich in einer Mitteilung des Umfrageinstituts INSA von Anfang August, wie Journalisten von t-online entdeckten.
Klöckner hatte in ihrer Rede aus einer INSA-Umfrage zitiert, dann aber - ohne weiteren Verweis - gesagt: "Das Thema Meinungsfreiheit hat das Potenzial", so laute eine ihrer Thesen, "so prägend zu werden wie die Migration ab dem Jahr 2015 und Corona ab dem Jahr 2020." Eben jene These und weitere Passagen finden sich auch in der INSA-Mitteilung.
Gotthardt kritisiert NGOs
Außer mit einer Würdigung seines Engagements ging Klöckner nicht auf die Rede ihres Vorredners Gotthardts ein. Er hatte zuvor seine Sicht auf den vergangenen Wahlkampf geschildert: Linke und Grüne hätten "ihr Vorfeld, auch bekannt als die Zivilgesellschaft oder NGOs" gegen die CDU auf die Straße gerufen. "CDU-Geschäftsstellen wurden gestürmt, besetzt und beschmiert."
Tatsächlich nahm die politisch motivierte Kriminalität bundesweit deutlich zu: Vergangenes Jahr wurden gut 40 Prozent mehr Fälle erfasst. Besonders stark war der Anstieg allerdings bei rechtsextremen Straf- und Gewalttaten, hier wuchs laut Bundeskriminalamt die Zahl fast um die Hälfte.
Gotthardt sagte, Gewalt gegen die CDU sei eine "zutiefst antidemokratische Einschüchterung gewesen, finanziert mit Steuergeld". Er knüpfte damit offensichtlich an eine Diskussion im März an: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte am ersten Tag nach der gewonnenen Bundestagswahl mit einer Kleinen Anfrage verschiedene Nichtregierungsorganisationen in ein fragwürdiges Licht gerückt.
Bei Redepassagen wie diesen fiel der Beifall leiser aus. Manche Zuhörer hielten sich dann offensichtlich zurück. Unter ihnen auch der amtierende SPD-Oberbürgermeister von Koblenz David Langner. Was er in den Händen an Energie einsparte, schien er dann in die Beine umzulenken: Das eine Bein über das andere geschlagen, wippte das obere mehrmals. Sichtbar wurden buntgestreifte Socken. Da war er wieder, der Regenbogen.
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