In Washington hat Merz gezeigt, dass er sogar gegenüber US-Präsident Trump diplomatisch glänzen kann. Innenpolitisch könnten seine Vorhaben schwieriger durchzusetzen sein.

Friedrich Merz auf außenpolitischer Mission. Bei seiner Ankunft im Weißen Haus lässt er sich keine Anspannung anmerken. Freundlich lächelnd, zugewandt - der Bundeskanzler ist in seiner Rolle angekommen.

"Eine sehr starke Person, ein sehr starker Anführer, hoch respektiert in Deutschland, ein Freund", so stellt US-Präsident Donald Trump den deutschen Regierungschef vor, als er mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und den sieben aus Europa angereisten Politikerinnen und Politikern um einen Tisch sitzt.

Jeder Gast bekommt ein paar nette Worte, wird umschmeichelt: "Sie sehen großartig aus mit Ihrer Bräune. Wo haben Sie die her?" Merz nimmt das mit einem Grinsen im Gesicht entgegen. Er macht gute Miene zu dieser Tändelei, auch wenn sie wohl aus seiner Sicht die dem Thema angemessene Ernsthaftigkeit vermissen lässt.

Merz will eine führende Rolle

Seit die Diplomatie auf Hochtouren läuft, wird deutlich, dass Kanzler Merz eine führende Rolle will. Und die auch immer wieder übernimmt, wenn er zu Schaltkonferenzen eines engeren Kreises an Europäern einlädt oder wenn er und sein Team Erklärungen vorbereiten und so versuchen, den Ton zu setzen.

Ein einiges Europa, das geschlossen hinter der Ukraine steht, das dem US-Präsidenten auf Augenhöhe begegnen will und zugleich klare Forderungen an den Aggressor Wladimir Putin hat. Dass dafür in Windeseile eine Art Kerneuropa zum Akteur gemacht wurde, geht bisher gut: Dem engen Kern um Merz, den französischen Präsidenten Emmanuel Macron und den britischen Premierminister Keir Starmer ist es bisher gelungen, alle anderen Europäer mitzunehmen, auch indem sie sich eng mit der EU-Kommission und der NATO abstimmen.

Dazu gehört viel Fingerspitzengefühl gegenüber allen und Rücksichtnahme auf die jeweiligen Eitelkeiten beziehungsweise Eigeninteressen, gerade auch unter den drei Staaten, die jetzt im europäischen Fokus stehen - die sogenannten "E3".

Ehrliche Deutlichkeit

Merz weiß aus der Erfahrung seines Antrittsbesuchs in Washington, wie man Trump am besten begegnet. Mit einer Mischung aus Respekt und Dankbarkeit auf der einen Seite, aber zugleich entschieden bei Punkten, die ihm besonders wichtig sind. Sich als zu schwach zu präsentieren, bietet bei diesem US-Präsidenten keine automatische Garantie auf Erfolg.

Diese Erfahrung scheint Merz auch bei seinem Auftritt im Weißen Haus geleitet zu haben. Ein vergleichsweise knappes Dankeschön an Trump, "thanks for having us", die amerikanische Freundlichkeitsfloskel, die in keinem Gespräch fehlen darf. Trumps Bemühungen seien "extrem hilfreich". Aber dann setzt Merz auf ehrliche Deutlichkeit: Die nächsten Schritte würden komplizierter sein. Merz beharrt auf einem Waffenstillstand und fordert die Runde auf: "Lasst uns Druck auf Russland ausüben." Er wolle diesen Aspekt betonen.

Tandem mit Macron

Trump sieht sich herausgefordert, entgegnet, ihm sei in sechs Fällen ein Friedensschluss gelungen, ohne vorherigen Waffenstillstand, aber die Stimmung kippt nicht. Auch nicht, als der französische Präsident analog zu Merz auf einem Waffenstillstand beharrt.

Alles deutet darauf hin, dass die Europäer sich im Vorfeld genau überlegt haben, wer welche Rolle spielt, wer vor allem lobt und wer die kritischen Punkte anspricht; wie viel Schmeichelei es braucht, um Trump ins Feld der Europäer und der Ukraine zurückziehen zu können, und wo der Schmusekurs seine Grenze haben muss. Merz will auf der weltpolitischen Bühne definitiv nicht als zu unterwürfig erscheinen, und er weiß, es ist ein schmaler Grat. Damit das funktioniert, setzt Merz auf das Tandem mit Macron. Den Deutschen wie den Franzosen bezeichnet Trump als Freunde, beide wagen in Teilen eine klare Sprache.

Dass Merz notfalls bereit gewesen wäre, in die offene Konfrontation mit dem mächtigen US-Präsidenten zu gehen, wird in der Pressekonferenz nach dem Treffen, die er alleine abhält, deutlich: "Ich will nicht verhehlen", räumt Merz da ein, "dass ich nicht sicher war, dass das heute so verläuft, das hätte auch anders verlaufen können, aber meine Erwartungen sind eigentlich nicht nur getroffen, sondern übertroffen worden."

Viel Zustimmung in der Union

In der Ukraine-Politik weiß der Kanzler seine Partei hinter sich, anders als bei manch anderer politischen Frage. Seine Krisendiplomatie findet viel Zustimmung in der Union.

Armin Laschet, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, spricht von einer Sternstunde europäischer Außenpolitik. Auch CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt lobt die europäische Geschlossenheit. Und Norbert Röttgen spricht von einer sehr erfolgreichen Aktion.

Wer die Lorbeeren dafür ernten sollte, macht CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn klar: "Dank Friedrich Merz tritt Europa geschlossen und mit einer starken Stimme auf", sagt er der dpa. Nur von der CSU ist bisher nichts zu hören.

Das Problem von Friedrich Merz: Er glänzt bei Auftritten auf der internationalen Bühne, aber in Deutschland grummelt es an vielen Ecken. In der Bevölkerung ist seine Beliebtheit bei Umfragen auf einem Tiefpunkt. In seiner Partei und in der Koalition kritisieren viele seine schlechte Kommunikation.

Innenpolitisch könnte es schwieriger werden

Das, was ihm unter europäischen Regierungschefs zu gelingen scheint - sie mitzunehmen und einzubinden, ohne dass sie sich vor den Kopf gestoßen fühlen - das gelingt ihm zu Hause nicht so gut. Doch gerade jetzt, wo beim Ukraine-Thema so viel in Bewegung kommt, müsste Merz die Kommunikation besonders intensiv vorantreiben.

Der Kanzler hat es selbst gesagt: Jetzt kommen die schwierigen Fragen. Wie genau sollen Sicherheitsgarantien aussehen? Was genau wird Deutschland beitragen? Die Debatte, ob dazu auch die Stationierung von Bundeswehrsoldaten in der Ukraine gehören könnte, ist bereits entfacht.

Auch ein zeitliches Dilemma

Merz sagte dazu in der Nacht, es gehe nicht um das Territorium der Ukraine, sondern um die politische Ordnung Europas. Dass die Bundesrepublik daran ein hohes Interesse und eine hohe Verantwortung habe, sei für ihn klar.

In welchem Umfang, das müsse jetzt besprochen werden, in Europa und mit der Koalition in Berlin. "Bis hin zu der Frage, ob wir hier vielleicht mandatspflichtige Beschlüsse zu fassen haben." Ein Hinweis darauf, dass auch der Gedanke an deutsche Truppen für Merz nicht komplett abwegig ist, denn ein solcher Einsatz bräuchte ein Bundestagsmandat. Und genau dafür braucht er eine möglichst breite Unterstützung, zumindest beim Koalitionspartner.

Das Dilemma für den manchmal ungeduldigen Merz ist auch ein zeitliches: Er muss einen Weg finden, die schwierigen Fragen in Ruhe zu bearbeiten und zugleich eine öffentliche Diskussion zu führen, in der er die anderen mitnimmt. Es reicht nicht, wenn er selbst überzeugt ist.

Gabor Halasz, ARD Berlin, tagesschau, 19.08.2025 17:02 Uhr

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