Die Urteile gegen SS-Täter beim Auschwitz-Prozess in Frankfurt vor 60 Jahren waren ein wichtiger Schritt der Aufarbeitung der deutschen NS-Verbrechen. Die allermeisten KZ-Täter kamen dennoch ohne Strafe davon.

"Hinter diesem Tor begann eine Hölle, die zu schildern die Worte fehlen", sagte der Vorsitzende Richter Hans Hofmeyer zu Beginn der Urteilsverkündung im Frankfurter Auschwitz-Prozess. Und als Richter Hofmeyer mit der Verkündung des Urteils am 20. August 1965 zum Ende kam, brach ihm vor Erschütterung die Stimme: "Es wird wohl mancher unter uns sein, der auf lange Zeit nicht mehr in die frohen und gläubigen Augen eines Kindes sehen kann, ohne dass ihm im Geist die hohlen, fragenden, verständnislosen und angsterfüllten Augen der Kinder auftauchen, die in Auschwitz ihren letzten Weg gegangen sind."

Der deutschen Nachkriegsgesellschaft fehlten lange die Worte, um sich der Verantwortung für die eigene NS-Geschichte zu stellen. Im Gericht in Frankfurt am Main waren es vor allem die Stimmen der überlebenden Zeugen, die dieser Gesellschaft ein Bild der "Hölle" von Auschwitz vermittelten.

Die Stimmen der Überlebenden vor Gericht

"Die Leute wurden aus den Waggons herausgetrieben von der SS. Und wir standen in einer Kette und unter Androhung der Todesstrafe wurde uns verboten, sich mit jemandem von den 'Zugängen' zu unterhalten." So schilderte Rudolf Vrba am 117. Verhandlungstag im Auschwitz-Prozess die Ankunft der Gefangenen im Konzentrationslager (KZ).

Rudolf Vrba war 18 Jahre alt, als er nach Auschwitz verschleppt wurde. Nach zwei Jahren im Lager konnte er fliehen. Der Bericht, den er 1944 verfasste, war einer der ersten gewesen, der die westlichen Alliierten über die Mordmaschinerie der Vernichtungslager und über die Gaskammern informiert hatte.

Zum Prozess in Frankfurt war Rudolf Vrba aus London angereist. Vor dem Frankfurter Schwurgericht bezeugte er, wie die Transporte mit mehreren Tausend Menschen in Auschwitz ankamen, wie die Ankommenden an der Rampe selektiert und viele sofort ermordet wurden.

"Der Rest der Leute wurde dann auf vorbereitete Lastwagen geladen und auf die andere Seite, das heißt nach Birkenau, direkt in die Gaskammern verschickt." Mit beeindruckend gefasster Stimme berichtete Rudolf Vrba von den alltäglichen Abläufen des Mordens im Vernichtungslager Auschwitz.

Ein Prozess gegen die Verdrängung

Dass es überhaupt zu diesem Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main gekommen war, grenzte an ein Wunder im Deutschland der Nachkriegszeit. Denn nach den Kriegsverbrecher-Prozessen von Nürnberg direkt nach dem Krieg wurden nur wenige Mörder zur Verantwortung gezogen.

Im Gegenteil: Hochrangige Nazis machten in der Bundesrepublik Karriere. So zum Beispiel Konrad Adenauers Kanzleramtschef Hans Globke oder BND-Chef Reinhard Gehlen.

Auch im Frankfurter Gerichtssaal - zunächst im Rathaus am Römer, dann im Bürgerhaus Gallus - wurden die starken Widerstände gegen die Aufarbeitung spürbar. Besucher konnten beobachten, dass Polizisten salutierten, als die angeklagten SS-Täter das Gericht betraten.

Der Mann hinter dem Prozess

Hinter dem Auschwitz-Prozess in Frankfurt stand der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Als Jude und Sozialdemokrat musste er selbst aus Nazi-Deutschland fliehen. Nach dem Krieg war er der Motor einer Vergangenheitsaufarbeitung mit den Mitteln des Rechts. Ein Einzelkämpfer in einer Justiz, die an der Bestrafung des NS-Unrechts wenig Interesse zeigte.

Fritz Bauer war auch auf den einen oder anderen Zufall angewiesen. Ein Beispiel: Bei Kriegsende wurden bei einem Brand des SS- und Polizeigerichts in Breslau Dokumente auf die Straße geweht. Der Holocaust-Überlebende Emil Wulkan sammelte die Papiere auf. Es waren detaillierte Erschießungslisten, die die SS in Auschwitz angefertigt hatte und die im Auschwitz-Prozess zu wichtigen Beweisstücken wurden.

Deutsche Geschichte vor Gericht

Die "Strafsache gegen Mulka u.a.", wie der Auschwitz-Prozess offiziell hieß, war ein Mammutprozess. Vier Staatsanwälten und drei Nebenklagevertretern saßen 22 Angeklagte mit 19 Strafverteidigern gegenüber.

Der Kommandant von Auschwitz Rudolf Höß war 1947 in Polen zum Tode verurteilt worden. Der Angeklagte Robert Mulka war sein Adjutant gewesen. Nach 183 Verhandlungstagen ergingen 1965 die Urteile des Frankfurter Schwurgerichts. Sechs Mal lebenslange Freiheitsstrafe, ansonsten Haftstrafen von 3 bis 14 Jahren und drei Freisprüche aus Mangel an Beweisen.

Doch nicht nur die Bestrafung der einzelnen Auschwitz-Täter war das Ziel von Fritz Bauer. Er wollte, dass Auschwitz endlich Thema wird in der Gesellschaft der Täter.

Dass die Deutschen sich endlich dem stellen, was Mauritius Berner am 78. Verhandlungstag schilderte - das, was ihm der SS-Apotheker Victor Capesius bei der Ankunft in Auschwitz gesagt hatte: "Dr. Capesius sagte: Weinen Sie nicht, die gehen nur baden. In einer Stunde werden sie sich wiedersehen. Da schrie ich meiner Frau und meinen Kindern noch auf Ungarisch nach. Nie habe ich sie mehr gesehen."

Mauritius Berners Frau und seine drei Töchter wurden gleich nach ihrer Ankunft in den Gaskammern von Auschwitz ermordet.

Historische Zeugenaussagen auf Tonband

Der Auschwitz-Prozess war auch deshalb ein wichtiger Schritt der Aufklärung der deutschen Verbrechen, weil die Aussagen von 318 der insgesamt 360 Zeugen auf Tonband aufgenommen wurden.

Ursprünglich waren sie nur für das Gericht und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Doch der Generalsekretär des Internationalen Auschwitz-Komitees in Wien, Hermann Langbein, hakte beim damaligen hessischen Justizminister nach. Und der sorgte dafür, dass die Aufnahmen erhalten blieben. Heute sind sie Teil des Weltdokumentenerbes der UNESCO und können über die Internetseite des Fritz-Bauer-Instituts angehört werden.

 

Die Rechtsprechung des BGH schützte viele Täter

Juristisch war der Auschwitz-Prozess wenig erfolgreich. Zwar wurden 16 Angeklagte verurteilt und es gab auch Folge-Prozesse. Aber die große Mehrheit der SS-Täter von Auschwitz - mehr als 8.000 Mann zählte die Wachmannschaft - mussten sich für ihre Verbrechen nie vor Gericht verantworten.

Das lag auch am Bundesgerichtshof (BGH). Der verlangte damals für eine Verurteilung, dass jedem Einzelnen eine konkrete Tatbeteiligung nachgewiesen wurde.

Erst 2016 änderte der BGH diese Linie und erkannte: Die KZs waren Teil einer "industriellen Tötungsmaschine". Schon untergeordnete Tätigkeiten wie als SS-Buchhalter oder SS-Sekretärin konnten Beihilfe zum Mord im Gesamtsystem des "organisierten Tötungsapparates" gewesen sein, so der BGH.

Seit diesem Urteil gab es einige wenige Prozesse gegen ehemalige KZ-Täterinnen und -Täter wegen Beihilfe zum Massenmord. 2024 wurde die frühere KZ-Sekretärin Irmgard Furchner verurteilt. Aus Altersgründen war es aber wohl das letzte KZ-Verfahren vor einem deutschen Gericht. Die allermeisten SS-Täterinnen und -Täter von Auschwitz und anderer KZs wurden damit strafrechtlich nie zur Verantwortung gezogen.

Kein "menschliches Wort" der NS-Täter

Dass die juristische und gesellschaftliche Aufarbeitung der deutschen NS-Verbrechen ein langer und steiniger Weg werden würde, hatte Fritz Bauer bereits 1964 geahnt. Ihn hatte das Verhalten der Angeklagten im ersten Auschwitz-Prozess ernüchtert:

Fritz Bauer sollte Recht behalten. Bis zum Ende des Prozesses schützten sich die SS-Täter gegenseitig. Aufklärung war nur durch die Aussagen der überlebenden Zeugen möglich. Umso wichtiger ist es für das Geschichtsbewusstsein in Deutschland, dass die Zeugenaussagen des Frankfurter Auschwitz-Prozesses erhalten und damit die Stimmen der Überlebenden heute noch hörbar sind.

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