Altkanzlerin Merkel ist verwundert darüber, dass sie für ihren Satz "Wir schaffen das" bis heute kritisiert wird. Sie stehe dazu, denn es gehe ihr um die Menschenwürde, sagt sie in der ARD-Doku "10 Jahre 'Wir schaffen das!'".
"Ich muss es menschenwürdig schaffen", sagt Angela Merkel am Ende des Gesprächs mit Ingo Zamperoni. "Für mich ist der Angang an das Thema wichtig." Es klingt wie eine Botschaft, die die ehemalige Bundeskanzlerin mit Blick auf die Flüchtlingspolitik der Regierung von Bundeskanzler Friedrich Merz aussenden will: Für sie bleiben Menschenwürde und Menschlichkeit weiterhin die zentralen Leitplanken für die Flüchtlingspolitik.
Fast zehn Jahre ist es her, dass die damalige Kanzlerin Merkel am 31. August 2015 die legendären drei Worte "Wir schaffen das" sagte, nachdem sie die Grenzen offen und Hunderttausende Geflüchtete ins Land gelassen hatte. Zehn Jahre, in denen viel passiert ist - und nicht nur Gutes. Zehn Jahre, in denen die CDU mit Merkels Flüchtlingspolitik gebrochen hat.

Merkels Erbe – 10 Jahre "Wir schaffen das!"
Der Satz beflügelte Merkels Anhänger, provozierte ihre Gegner und trug zum Erstarken der AfD bei. Haben wir es geschafft oder sind wir gescheitert? ardmediathek
Enorme Herausforderungen
"Ich blicke darauf zurück, dass es schon eine besondere Entscheidung war, vor der ich stand", sagt sie heute in dem einzigen Fernsehinterview, das sie zum Jahrestag gibt. "Ich war aber auch immer wieder verwundert in den letzten Jahren, wie sehr mir diese drei Worte 'Wir schaffen das' auch um die Ohren gehauen wurden. Sie sollten ja nichts anderes ausdrücken, als dass wir vor einer großen Aufgabe stehen."
Die Folgen von Merkels Entscheidung stellten Deutschland vor enorme Herausforderungen: mehr als eine Million Asylanträge 2015/2016, überfüllte Flüchtlingsunterkünfte, Schulen und Kitas sowie fehlende Wohnungen. Die Kommunen in Deutschland waren vielfach überfordert.
Dann kam die Silvesternacht 2015. In Köln auf der Domplatte wurden Hunderte Frauen sexuell belästigt oder ausgeraubt. All das führte zur Polarisierung der politischen Stimmung im Land und zum erneuten Erstarken der AfD, die 2010 wegen der Euro-Rettungspolitik gegründet worden und eigentlich auf dem absteigenden Ast war.
Große Willkommenskultur
"Natürlich hat die Entscheidung von mir, Menschen dazu gebracht, sich der AfD anzuschließen", sagt Merkel heute. "Und dadurch ist die AfD sicherlich auch stärker geworden." Aber sei das ein Grund, etwas nicht zu tun, das sie für richtig, wichtig und menschenwürdig gehalten habe?
Merkel verweist in diesem Zusammenhang auf die große Willkommenskultur, die es in Deutschland auch gegeben habe. Menschen, die nicht wollten, "dass wir unsere Werte verraten, was die Menschenwürde anbelangt", die gerne geholfen haben, wie sie sagt. "Da, zwischen Maß und Mitte, die Sorgen aller im Land aufzunehmen, das war meine Aufgabe. Und da spielte die AfD eine Rolle, da spielten aber auch die anderen eine Rolle."
Merz ruft "Asylwende" aus
Doch in ihrer eigenen Partei, der CDU, bröckelte die Unterstützung rasant - auch aufgrund sinkender eigener Umfragezahlen. "Also, es war ja kein Geheimnis, dass es seit dem September 2015 Streit in der Union gab. Das war insgesamt, glaube ich, auch nicht hilfreich bei der Frage, wie bewältigen wir diese Aufgabe."
Der Streit ist, seit Friedrich Merz 2022 zum Vorsitzenden der CDU gewählt wurde, entschieden. Die Union hat mit Merkels Flüchtlingspolitik gebrochen und die "Asylwende" ausgerufen.
Und Merkel? Sie bleibt sich treu. Wohl auch deswegen traf sie sich im Juni zu einem Gespräch mit Geflüchteten, das der WDR dokumentierte. Dabei distanzierte sie sich von den Zurückweisungen an der Grenze.
Europa und die Flüchtlingspolitik
Auch jetzt bleibt das für sie der große Dissens in der Flüchtlingspolitik. "Ich habe von Anfang an gesagt, dieses Thema werden wir nur gut für Europa und für die Europäische Union lösen, wenn wir es europäisch gemeinsam denken, obwohl das fürchterlich schwierig ist, weil natürlich jedes Mitgliedsland denkt, vielleicht könnte der andere noch etwas mehr tun. Aber das ist dann eben Staatskunst oder diplomatische Kunst."
Angela Merkel ist in ihrer Regierungszeit das Kunststück jedenfalls nicht geglückt, Europa in der Flüchtlingspolitik zu einen. Im Gegenteil. Sie war unter den Regierungschefs zunehmend isoliert.
Anschläge und Messerattentate durch Geflüchtete in den vergangenen Jahren haben mutmaßlich auch ein Übriges getan, dass sich in Meinungsumfragen immer mehr Menschen für eine restriktivere Flüchtlingspolitik ausgesprochen haben. Im DeutschlandTrend von Januar 2025 waren es 68 Prozent.
Merz stellt Merkel ein schlechtes Zeugnis aus
Der Bilanz seiner CDU-Vorgängerin stellte Bundeskanzler Friedrich Merz jüngst bei seiner Sommerpressekonferenz ein schlechtes Zeugnis aus, als er gefragt wurde, ob "wir es denn geschafft haben". "Heute wissen wir, dass wir es in diesem Bereich, den sie damals gemeint hat, offenkundig nicht geschafft haben", sagte Merz. Auch bei der Integration sprächen die Zahlen eine eindeutige Sprache.
Angela Merkel sieht das etwas anders: "Das ist ein Prozess, aber bis jetzt haben wir viel geschafft. Und was noch zu tun ist, muss weiter getan werden."
Die ARD-Doku "Merkels Erbe - 10 Jahre "Wir schaffen das!" von Birgit Wärnke und Ingo Zamperoni sehen Sie in der ARD-Mediathek und heute Abend um 20.15 Uhr im Ersten.
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